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Christian Vogt (geb. 1946) gehört zu jenen Schweizer Fotografen, die im Fahrwasser der 68er Bewegung, die Schweizer Fotografie gründlich durchschüttelten. Fotografen, denen der Glaube an die Wahrheit des Einzelbildes abhanden gekommen war und die versuchten, die festgefahrenen Grenzen der journalistischen Reportagefotografie und der sachlich-distanzierten Sachfotografie zu sprengen. Sie praktizierten Fotografie als ein unabhängiges, mit spezifischen Mitteln ausgestattetes Bildmedium, dessen gestalterische Strategien sich der Kunst und der Literatur annäherten.

Nach seiner fotografischen Ausbildung in Basel, München und London rebellierte er schnell gegen alles Konventionelle und begann seine eigene Suche nach Bildern, die ganz seinem Innern entsprachen. Mit Erfolg, denn schon in den frühen 70er Jahren publizierte er erste Sequenzen in der renommierten Zeitschrift Camera und im Du eine Bilderserie über eine fotografische Spurensuche entlang einer stillgelegten Eisenbahnlinie im Elsass. Diese Arbeit schärfte seinen Blick für Orte, deren Wahrnehmung durch das Wissen um ihre Vergangenheit bestimmt wurde. 1975 gewann Vogt den Grand Prix an der Ersten Triennale der Fotografie in Fribourg mit einer Serie von blau getonten, vom Surrealismus inspirierten Wolkenbildern. Und im Jahr darauf stellte er in einer der ersten Ausstellungen der Fotostiftung Schweiz im Kunsthaus Zürich unter anderem seine Serie «Rahmenbilder» aus, mit der er sich auch in Künstlerkreisen einen Namen schuf. In dieser Bildrecherche hinterfragte er auf spielerische und visuell überzeugende Art gängige fotografische Abbildungsstrategien, um darauf hinzuweisen, dass Fotografie doch vielmehr als Bild denn als Abbild zu verstehen sei. Vogt ist sich bis heute treu geblieben und lotet mit seiner künstlerischen Arbeit seit nunmehr vierzig Jahren das Verhältnis zwischen der sichtbaren Realität und ihrem fotografischen Abbild, zwischen Bild und Text, zwischen Schauen und Wissen immer wieder neu aus. Mit grosser gestalterischer Erfindungskraft treibt er sein Werk in Serien und Werkzyklen weiter, wobei ihm die konzeptionelle Arbeit so wichtig ist wie das Bildermachen selbst. Immer wieder kreisen seine Arbeiten um die gleichen Themen: die Darstellung von Zeit und Raum, die Verhältnisse von Körpern zueinander, die Veränderungen von Körpern und Orten über eine gewisse Zeit, Gleichzeitigkeit und Dauer, Text und Bild. Polaritäten, die aufeinander treffen und Spannungsfelder aufbauen, in denen sich plötzlich auftretende Ereignisse oder Zufälle zu geheimnisvollen Bildern verdichten.

Die Ausstellung «Today I’ve been you», die in enger Zusammenarbeit mit Christian Vogt entstanden ist, will keine Retrospektive sein, sondern für einen Moment den aktuellen Stand seiner Arbeit festhalten – ohne die historische Perspektive ganz zu verlieren. So enthalten beide, die 1981 begonnene und bis heute weiter geführte Serie «Fotografische Notizen» und die neuste Arbeit «Skinprints» (2008/09) Textelemente, wie sie Vogt schon in den 70er Jahren eingeführt hat. Wenn in den «Notizen» kurze Haiku-artige Texte handschriftlich wie Tagebuchnotizen unter den kleinformatigen Fotografien erscheinen, so wird bei den präzise gesetzten Stempelbildern der Text zum Bild und die Haut, auf der er eingeschrieben ist, zum existenziellen Hintergrund für Fragen wie «Am I what I think others think I am.» Vogt schreibt oft englisch, da sich vieles so für ihn sehr einfach sagen lässt, oder deutsch, wenn es ihm besser gefällt. Im Gegensatz poetisch-assoziativen Texten der «Notizen» hat Vogt die Texte der «Skinprints» über lange Zeit entwickelt. Es sind Versuche, Verletzungen zu verarbeiten und Einsichten und Erfahrungen in knapper Form mitzuteilen. Wie Martin R. Dean in seinem Katalogessay schreibt, ist «Today I've been you» der vielleicht bestürzendste Satz: «Das liest sich, als brächte die Haut – die Haut eines Liebenden – sich selbst zum Sprechen. Zugleich bildet der Satz einen der härtesten Widersprüche, auch deshalb, weil der Liebende immer dann diesen Wunschsatz ausspricht, wenn die Liebe am Vergehen ist.»

Die «Photographischen Notizen» und die «Skinprints» bilden den Rahmen, in dem drei weitere grossformatige Arbeiten aus den letzten Jahren gezeigt werden: «Flaxen Diary», «Nebelbilder» (beide 2003–09) sowie «Naturräume» (2008/09). Die Bilder der Serie «Flaxen Diary» entwickeln ihre eigenwillige Wirkung unter anderem durch den Gebrauch eines direkt am Objektiv befestigten Ringblitzes, der einen Moment oder eine Bewegung einfriert. Aber nicht im Sinn des «entscheidenden Augenblicks», der den Höhepunkt eines nachvollziehbaren Ablaufs darstellt, sondern eher wie unter dem Operationsmikroskop oder auf dem Seziertisch. Eine Szene wird aus dem räumlichen und zeitlichen Gefüge ausgeschnitten, schattenlos und präzise – wie vom Blitz getroffen, wobei das Vorher und Nachher im Dunkeln bleibt. Im Gegensatz zu diesen Farbbildern, denen eine innere Spannung eignet, erscheinen die grossformatigen «Naturräume» in Panoramaformat vorerst als dunkle und fast undurchdringbare Werke. Bei näherer Betrachtung eröffnet sich einem jedoch eine unerwartete Dreidimensionalität, eine Tiefe, in die man fast unmerklich hineingezogen wird, weil Vogt weder Horizont, noch Himmel oder Boden als visuellen Halt anbietet. Den Detailreichtum der Bildoberfläche hinter sich lassend, findet man sich in einem Universum, in dem Vogts Erinnerung an den geheimnisvoll verflochtenen Gartens seiner Grossmutter nachklingt. Vor lauter Verästelungen sieht man das Dickicht nicht mehr, droht man den Überblick und damit sich selbst zu verlieren. Die Serie «Nebelbilder» erreicht auf gegenteilige Art eine ähnliche Wirkung. Durch die blosse Andeutung von räumlicher Tiefe und Landschaft hinter einem dichten Nebelschleier bietet Vogt einerseits verführerische Projektionsflächen für innere Bilder. Und andererseits machen diese Fotografien dem Betrachter fast schmerzlich bewusst, dass er nur ein mit unendlich vielen mikroskopisch kleinen Tintentröpfchen bespritzten Stück Papier vor sich hat. Wir heben innerlich ab und stossen gleichzeitig äusserlich an. Innen und aussen: auch diese zwei Polaritäten versucht Vogt in seinen Bildern immer wieder miteinander zu verbinden.

Christian Vogt sagte einmal im Zusammenhang mit den «Nebelbildern»: «Fotografie ist immer sehen, sehen wollen – und sich nun irgendwo hinzubegeben, wo man nichts sieht, ist spannend.» Fotografie ist für ihn also nie nur Abbild, sondern immer auch eine Frage nach dem, was sich an Bedeutung oder Geschichte hinter der Oberfläche verbirgt, eine Reflexion über die Subjektivität des fotografischen Blicks, im Bewusstsein, dass das eigentliche Bild erst in der Wahrnehmung des Betrachtes entsteht. Sein ganzes Werk, von dem wir hier nur einen Ausschnitt zeigen, kann als eine Art Erforschung des Sehens im Verhältnis zur Fotografie begriffen werden. Sehen aber vor allem im Sinn des englischen Verbs «to see», das auch verstehen und wahr-nehmen bedeutet. Und Vogt weiss genau, dass es da unüberwindliche Grenzen gibt: «You don't see it, if you don't know it.»

Martin Gasser

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