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Für den Buchhalter steht unterm Strich die Summe – und für den Zeichner? Genau genommen befindet sich unterm Strich das Papier – ohne Papier kein Strich. In dem Freiraum zwischen dieser banalen Erkenntnis und dem gedanklichen Vergnügen, das die Striche des guten Zeichners auslösen, genießen wir die Arbeiten von Christoph Niemann. Der international renommierte Illustrator lebt – nach gut elf Jahren New York – heute in Berlin und denkt sich die Titelseiten für die schönsten Hefte der Welt aus, vom New Yorker bis zum Zeit Magazin. Christoph Niemanns Kunst ist in erster Linie Gedankenarbeit – dass sie darüber hinaus in hohem Maße gekonnt sind, sparsam und präzise kalkuliert, überraschend realisiert, das bemerkt vor allem der professionelle Blick. Der Betrachter darf sich freuen und fühlt sich unterhalten, weil er mit dem Zeichner an seiner Seite an der Vielfalt der Welt und ihrem Widersinn teilhat. Die Werkauswahl der Ausstellung Christoph Niemann. Unterm Strich im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) wurde vom Künstler selbst zusammengestellt: Es sind über 200 Cartoons und Fotos, Animationen und Drucke, Zeichnungen und Texte. Christoph Niemann wird auch direkt auf die Wand zeichnen. Die Ausstellung begleitet sein letztes Buch Abstract City. Mein Leben unterm Strich, in dem die Beiträge für das New York Times Magazine und für den dazugehörigen Blog versammelt sind. Und obendrein verleiht dieser Buchtitel dem Strich weitere Bedeutungen. Denn wenn es das Leben ist, das unterm Strich steht: Ist es dann bedroht wie von einem Fallbeil oder käuflich wie auf der Straße? Es hilft nichts, man muss selber nachsehen.

Christoph Niemann, 1970 in Waiblingen geboren, ist Illustrator, Künstler und Autor. Nach seiner Ausbildung geht er 1997 nach New York. Seine Arbeiten erscheinen auf den Titelseiten von The New Yorker, New York Times Magazine, von Time, Wired und vielen anderen Zeitschriften, in Deutschland vor allem auf dem ZEIT Magazin und der Weltkunst. Seit 2008 schreibt und zeichnet er an dem Blog der New York Times „Abstract City“. Neben seinen redaktionellen Arbeiten schreibt und zeichnet er Bücher, animiert Kurzfilme, erstellt interaktive Web-Essays, macht animierte Apps für Kinder und zeichnete den New York Marathon … während er ihn rannte. Ebenfalls seit 2008 lebt er mit seiner Frau, der Journalistin Lisa Zeitz, und den drei Söhnen in Berlin. Christoph Niemann erhielt zahlreiche Auszeichnungen und ist Mitglied der internationalen Elite-Vereinigung von Grafikern, der Alliance Graphique Internationale sowie der „Hall of Fame“ des Art Directors Club.

Wenn man dem Stil und dem Erfolg von Christoph Niemann auf die Schliche kommen möchte, so begegnet man einer Vielfalt, die Programm zu sein scheint. Er tritt als ehrlicher Illustrator auf, der mit Bleistift oder Kohle figürlich arbeitet, der pointiert zeichnet und den klassischen Cartoon liefert. Genauso gut verwendet er aber auch Fotos aus dem Alltag, zeigt belanglose Details oder überraschende Ansichten, denen er durch die Beschriftung eine andere Bedeutung gibt und sie so interessant und unterhaltsam macht. Das frappierendste Beispiel hierfür ist die Lego-Serie zu New York mit dem nicht wirklich zu übersetzenden Titel „I lego New York“. Aus zwei oder drei Legosteinchen, passend gebaut und farblich gewählt und vor allem betitelt, entstehen Stadtteile und Alltagssituationen. Es gibt Serien mit kleinen Geschichten, die gebacken, und andere, die genäht werden. Isaac Newton und die Erkenntnis von der Schwerkraft können wir unmittelbar nachvollziehen, wenn wir sehen, wie sich der kleine Sohn des gerade schlafenden Zeichners mit Schwung auf dessen Bauch niederlässt. Sehr oft ist es, wie auch hier, der klug kalkulierte Text, der mindestens die Hälfte der lustbringenden Erkenntnis herbeischafft.

Die Ausstellung Abstract City. Mein Leben unterm Strich war in ähnlicher Form im Sommer 2015 im Museum für Angewandte Kunst in Wien zu sehen, wurde aber nun vom Künstler völlig neu zusammengestellt.

Kurator: Dr. Jürgen Döring