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Der deutsche Künstler, Film- und Theaterregisseur Christoph Schlingensief entwickelte für das Reykjavik Arts Festival 2005 die mobile Drehbühneninstallation "Der Animatograph". Erstmals präsentiert wird der für das isländische Festival von Thyssen-Bornemisza Art Contemporary koproduzierte Beitrag am 14. Mai 2005 mit einer Performance von Christoph Schlingensief in der Klink og Bank Galerie in Reykjavik.

"Da tat sich die Erde auf und riss einen Spalt."

"Hier an dieser Stelle, wo sich Neue und Alte Welt jedes Jahr um 8 mm von einander entfernen, entsteht der Prototyp des Animatographen. Ein Seelenschreiber. Eine begehbare Fotoplatte. Ein organischer Körper zwischen dem ältesten Menschheitswunsch nach Verwaltung (Thingvellir) und dem Haus der unverwaltbaren Obsessionen (Holmur). Hier, an dieser Erdkruste, reiten die Geister mit unseren Körpern; hier beginnt der größte Film, den ich jemals drehen werde. Vom Rand der Kruste reisen wir durch die Erde, durchqueren kulturelle und zivile Vergewaltigungen, erreichen im Oktober die afrikanische Unterwelt, suchen den Hammer, öffnen Löcher in den Wänden zur Nachbarwohnung und fliegen nach der Weltverkündung des Straußeneis nach Nepal, von da aus zu den Plastiksärgen in der amerikanischen Zwillingsgruft ... Ein Traum, den ich mir erfülle. Denn jeder, der den Animatographen sieht, belichtet ihn. Und jeder, der ihn betritt, wird belichtet." Christoph Schlingensief

In Thingvellir, östlich der isländischen Hauptstadt Reykjavik, wurde das älteste bestehende Nationalparlament der Welt gegründet, gelegen am Rande einer tiefen Abbruchspalte, wo die nordamerikanische und die eurasische Kontinentalplatten pro Jahr um wenige Zentimeter auseinander driften. Hier treffen jene Ausformungen von Ordnung und Obsession zusammen, aus denen die Welt der Verwaltung und die Kräfte der Natur uns ihre Boten aussenden.

An diesem magischen Ort entwickelt Christoph Schlingensief seine jüngste Arbeit: "Der Animatograph - Iceland Edition. Destroy Thingvellir". In dieser legt er die paranoide, klaustrophobische, obsessive Veranlagung der menschlichen Natur offen, zeigt den Menschen in jenem Zwiespalt zwischen dem Guten und dem Bösen. Die Auseinandersetzung mit höheren Mächten wie Geistern, Göttern und Helden ist Ausdruck dieses Kampfes, in dem auch Rituale der Reinigung und der symbolischen Verwandlung eine wichtige Rolle spielen. Schlingensief verbindet nordisch-europäische, afrikanische und asiatische spirituelle Überlieferungen und verwebt filmische Visionen der Wagner`schen Deutung der Legende um den Heiligen Gral mit schamanistischen Traditionen und isländischen Sagas wie der "Edda".

"Der Animatograph", ein Apparat der frühen Filmgeschichte, verbindet Elemente der bildenden und darstellenden Kunst zu einem neuen Format. Die Drehbühnenkonstruktion, eine "aktionistische Fotoplatte", wird als Aufnahme- bzw. filmisches und akustisches Wiedergabegerät eingesetzt. Liveinterventionen werden durch einander überlagernde Filmprojektionen und Tonlandschaften ergänzt.

"Und die Gräber taten sich auf und viele Leiber der Entschlafenen standen auf und gingen aus ihren Gräbern in die Stadt und erschienen vielen. Sie nahmen die Menschen und umwickelten sie mit Leinwand, um ein Abbild ihrer selbst zu machen."

"Der Animatograph" beruht auf einer Serie neuer Filme, die in Zusammenarbeit mit isländischen Künstlern, Musikern und (Laien-)Darstellern an verschiedenen Schauplätzen in Island gedreht werden. Der Performancecharakter der Arbeit lässt den Betrachter zum Mitwirkenden werden und verweigert sich theatralischer Festschreibungen: Schlingensief entfaltet die Erzählung primär durch den Einsatz filmischer und medialer Paradigmen.

Christoph Schlingensief versteht sein Projekt als lebenden Organismus, der sich auf seinen weiteren Stationen immer wieder aufs Neue auflädt. Mit seinen "isländischen Sammlerstücken" zieht "Der Animatograph" weiter nach Namibia, Nepal und in die USA.

"Jede Belichtung benötigt das Dunkel. "Der Animatograph" ist die dunkle Seite dieser Belichtung." Christoph Schlingensief

Mit Unterstützung von: Hauser & Wirth, Zürich London, isländisches Nationaltheater, Reyjavik, Klink og Bank, Reykjavik, sowie Landsbanki Islands

CHRISTOPH SCHLINGENSIEF Geboren am 24. Oktober 1960 in Oberhausen. 1981 Studienbeginn in München (Germanistik, Philosophie, Kunstgeschichte), daneben Kamera-Assistentz und erste Kurzfilme. 1983 drehte er seinen ersten Spielfilm: "Tunguska - Die Kisten sind da". Im Anschluss dreht er eigene, kontrovers diskutierte Filme wie "100 Jahre Adolf Hitler - Die letzte Stunde im Führerbunker" (1988/89), "Das deutsche Kettensägenmassaker" (1990) und "Terror 2000 - Intensivstation Deutschland" (1992). 1993 debütierte er mit "100 Jahre CDU - Spiel ohne Grenzen" als Theaterregisseur an der Berliner Volksbühne, der er bis heute als Regisseur angehört. Es folgen diverse Projekte außerhalb des Theaters, etwa 1997 das Bahnhofs-Missions-Projekt für Junkies und Obdachlose am Hamburger Hauptbahnhof "Passion Impossible - 7 Tage Notruf für Deutschland. Eine Bahnhofsmission" oder 2000 in Wien an der Staatsoper, der "Big Brother-Container für Asylanten": "Bitte, liebt Österreich! - Erste österreichische Koalitionswoche!", in der er die Absetzung der rechtsgerichteten ÖVP/FPÖ-Regierung forderte und ganz Österreich an den Rand einer Staatskrise brachte. 1997 Aktion: "Mein Filz, mein Fett, mein Hase - 48 Stunden überleben für Deutschland" auf der documenta X. 1998 gründet er die Partei "Chance 2000" und zieht mit ihr in den Bundestagswahlkampf. Thema: "Partei der Minderheiten, die die Mehrheit haben!" Weitere Arbeiten für TV, Film und Theater. Schlingensief arbeitet mittlerweile an den großen Staats- und Stadttheatern in Wien, Berlin, Zürich und Frankfurt und inszenierte 2004 bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth den "Parsifal".

Neben seinen Arbeiten als Filme- und Theatermacher hat Schlingensief eine Reihe von Werken und Projekten im Kontext der zeitgenössischen Kunst realisiert. Zu den bekanntesten Werken in diesem Bereich zählt Church of Fear, eine Arbeit, in der er sich mit Begriffen wie Weltanschauung, Sektierertum und religiösem Glauben auseinander setzt und die nach ihrer Aufführung bei der Biennale von Venedig 2003 im Kölner Ludwig-Museum gezeigt werden wird. Christoph Schlingensief lebt und arbeitet in Berlin.

Pressetext

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Reykjavik Arts Festival 2005:
Christoph Schlingensief "Der Animatograph"
Iceland Edition. Destroy Thingvellir
Koproduktion: [Thyssen-Bornemisza] Art Contemporary, Wien

Veranstaltungsort:
Klink og Bank Galerie, Brautarholt 1, 105 Reykjavik

Voreröffnung mit Performance: Freitag, 13. Mai 2005 um 17.00 Uhr
Eröffnung mit Performance: Samstag, 14. Mai 2005 um 19.00 Uhr
Weitere Performance: Sonntag. 15. Mai 2005 um 19.00 Uhr
Präsentation der Installation: 18. Mai - 5. Juni 2005