press release only in german

Clara Jo
Mirror-Touch
27. Januar 2022 - 27. März 2022

Die zentralen Arbeiten in der Ausstellung Mirror-Touch von Clara Jo sind immersive Videoinstallationen. Sie hinterfragt in diesen gleichermaßen sinnlichen wie komplexen Werken konstruierte soziopolitische Beziehungen, die wesentlicher Bestandteil der menschlichen Erfahrung sind, und widmet sich dabei sensiblen Erzählungen der Geschichte und des Seins.

Der Titel der Ausstellung ist aus der Psychologie entlehnt. Ein Mirror-Touch beschreibt den Moment, wenn jemand eine Berührung zu spüren scheint, während er sieht, wie ein anderer Mensch tatsächlich berührt wird. Im Kontext der Ausstellung wird der Begriff zu einer starken Metapher für Empathie und für die Sehnsucht danach – eine zentrale Idee in Clara Jos Werk.

Die Installation Between Lived Experience and Simulated Presence (2021) entstand als Auftragsarbeit des Edith-Russ-Haus für Medienkunst; sie verwischt die Grenzen zwischen verschiedenen psychischen Erfahrungen, um Heilungs- und Veränderungsprozesse zu fördern. Für dieses Projekt arbeitete die Künstlerin mit dem Virtual Reality Lab von Dr. Lucia Valmaggia am King’s College in London zusammen; dort werden klinische Virtual-Reality-Therapien für Personen entwickelt, die psychotische oder schizophrene Episoden durchleben. Die recherchebasierte Videoarbeit untersucht, wie digitale Welten als Räume zur Zusammenarbeit genutzt werden könnten, um die gelebte Erfahrungen anderer Menschen besser zu verstehen. Das zweite Kapitel der Ausstellung, The Wallpaper Stories, dient als erzählerischer Bezugspunkt für solche subjektiven Heilungserfahrungen. Es präsentiert eine fiktive Wiedergabe des Tagebuchs der britischen Malerin Mary Barnes aus dem Jahr 1973. Der Text schildert Barnesʹ Suche nach mentaler Gesundheit mithilfe von alternativen spirituellen Erfahrungen und privaten Mythologien. Jo behandelt solche historischen und zeitgenössischen Zeugnisse gelebter Erfahrungen und ihrer Ausdrucksformen als Bewusstseinsakte, die im gegenwärtigen Moment nachvollzogen werden können.

Die groß angelegte Installation De Anima (2018–2021) umfasst dokumentarisches Material und Animationen und vermittelt eine traumartige Erzählung. Diese handelt davon, wie verschiedene geschlechtsspezifische, rassifizierte, ökonomische und metabolische Systeme, die Teil des globalen Gesundheitssystems sind – und während der Covid-19-Krise sichtbarer wurden –, Ängste vor einer Ansteckung durch die nichtmenschliche Welt schüren. Ausgangspunkt dieser Arbeit war die Feldforschung, die Jo 2018 in Myanmar durchführte. Dort begleitete sie veterinärmedizinisch Forschende der Smithsonian Institution, die nach neuen Stämmen des Corona-Virus bei Wildtieren suchten, um deren pandemisches Potenzial vorherzusagen.

Die heiligen Höhlen, die in De Anima gezeigt werden, sind Orte spiritueller Begegnungen und zugleich hoch riskante Schnittstellen zwischen Menschen und Tieren, Wissenschaft und Religion, Natur und Politik – Schnittstellen, an denen sich Ökosysteme überlagern und globale Konflikte ausgelöst werden können. Diese Forschungsarbeit findet seit Jahren hinter den Kulissen statt und wirft ein Licht auf das Unausweichliche: Sie gilt nicht dem Warum, sondern dem unbekannten Wann – und bietet ein ahnungsvolles Vorspiel zur derzeitigen pandemischen Krise. Die Bilder und Töne in De Anima wurden in Myanmar, Kenia und Frankreich aufgenommen; seitdem haben Orte, die einmal „weit weg“ erschienen, überall tiefe Spuren im Alltag hinterlassen.

Mit dieser neuen Auftragsarbeit setzt Jo ihre fortlaufenden künstlerischen Untersuchungen zur Idee der „ontologischen Unsicherheit“ fort – ein Gefühl starker Verunsicherung über das In-der-Welt-sein. Diesem Thema widmet sich auch die Ein-Kanal-Videoarbeit FFS Studios (2013), ein sehr persönliches Porträt der Schauspielerin Luise Helm, das die Synchronisierung einer beliebten amerikanischen Fernseh-Show vom Englischen ins Deutsche dokumentiert. Die unheimliche Präsenz der im Film nicht sichtbaren Figur, Helms intensive emotionale Interpretation dieser unsichtbaren Protagonistin und die Betrachtenden schaffen einen gemeinsamen Raum für neue erzählerische Möglichkeiten und schärfen das Gefühl für die Konstruktion und Dekonstruktion einer Rolle. Between Lived Experience and Simulated Presence und De Anima decken Subtexte auf, die tiefer liegende gesellschaftliche Probleme zum Vorschein bringen – in diesem Fall die Vernachlässigung von Aspekten der Gesundheit, die nicht ausschließlich den Menschen betreffen, im Zeitalter der beschleunigten Globalisierung.

Die Ausstellung Mirror-Touch im Edith-Russ-Haus wirft dringliche Fragen auf, die das Überschreiten physischer und psychischer Grenzen sowie unsere gemeinsame Verantwortung für die künftige Gesundheit unserer globalen Gemeinschaft betreffen.

Clara Jo lebt in Berlin und war 2020 Trägerin des Stipendiums für Medienkunst der Stiftung Niedersachsen am Edith-Russ-Haus.