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Etwa vierzig Künstler der Sammlung sind deutschen Nachkriegstendenzen vorwiegend aus dem süddeutschen Raum zuzurechnen, die Kunstgeschichtsschreibung fasst die Namen von Ackermann bis Zangs unter Rubriken wie ›Lyrische Abstraktion‹, ›Informel‹, ›Tachismus‹, ›Stuttgarter‹ und ›Karlsruher Schule‹, ›Zero‹ und ›Zen 49‹. Den Nukleus in diesem Bereich und die wesentliche Brücke zu den Vertretern der Klassischen Moderne um Hölzel vom Beginn des Jahrhunderts bildet Willi Baumeister. 1946 - 55 hatte Baumeister eine Professur an der Kunstakademie Stuttgart inne und publizierte 1947 seine wegweisende kunsttheoretische Schrift ›Das Unbekannte in der Kunst‹.

Baumeister wird zum inspirierenden Freund und Mentor des Sammler-Ehepaares Ottomar und Greta Domnick, beide als Fachärzte für Psychiatrie und Neurologie in Stuttgart tätig, die im Januar 1947 in ihrer Praxis eine Ausstellungsreihe mit Künstlern wie Baumeister, Fritz Winter, Max Ackermann und anderen beginnen. Parallel laden die Sammler zu abendlichen Vorträgen über abstrakte Kunst und ebenfalls 1947 veröffentlicht Ottomar Domnick die Schrift ›Die schöpferischen Kräfte in der abstrakten Malerei‹. Im nahen Esslingen tritt der Kunsttheoretiker und Philosoph Kurt Leonhard mit der bis heute in seiner Bedeutung unterschätzten Schrift ›Die heilige Fläche. Gespräche über moderne Kunst‹ an die Öffentlichkeit. Damit kann die theoretische Grundlegung des Informel und der abstrakten Avantgarden im Nachkriegsdeutschland für das Jahr 1947 in Stuttgart verortet werden, ein Faktum, das in der kunstgeschichtlichen Literatur so bislang nicht gewürdigt wurde.

›Classical : Modern II‹ nimmt die für ihre Zeit singuläre und weit voraus weisende Ausstellungsinitiative Domnicks aus dem Winter 1946/47 zum Ausgangspunkt, wobei die dort vertretenen Künstler den Auftakt unserer Ausstellung markieren: Ackermann, Baumeister, Meistermann, Ritschl und Winter, dazu ergänzt haben wir vier Schüler von Baumeister aus der Zeit um 1950, Bernd Berner, Peter Brüning, Günter Fruhtrunk und Charlotte Posenenske. Letztere ist 2002 zuerst durch Erwerbungen für die Daimler Sammlung und aktuell durch ihre Teilnahme an der Kasseler documenta wiederentdeckt worden.

Ebenfalls Schüler bei Baumeister in Stuttgart war Georg Karl Pfahler, der seinen Lehrer beschrieb als einen "Weltmann schwäbischer Prägung, Pariser Typ, sehr kenntnisreich, ein Herr". Der große Raum im Ausstellungsrundgang des Daimler Contemporary Berlin widmet sich den Malern der ›Stuttgarter Schule‹ der 1960er Jahre mit Pfahler, Otto Herbert Hajek, Thomas Lenk und Lothar Quinte. Gast in dieser Runde ist die Stuttgarter Malerin Erdmut Bramke.

Vom Informel entwickelten die Künstler der ›Stuttgarter Schule‹ eine großflächige, das traditionelle Bildformat objekthaft sprengende Farbfeldmalerei, die zugleich die Verbindung zu Architektur und Stadtplanung suchte. Ihre Werke waren 1967 zusammen mit denen amerikanischer Zeitgenossen im Württembergischen Kunstverein Stuttgart unter dem Titel ›Formen der Farbe‹ in einer epochemachenden Ausstellung vereint. Pfahler hatte bereits 1954 die ›Stuttgarter Gruppe‹ mitbegründet, eine Name, unter dem später vor allem ein Literatenkreis um den in Stuttgart lehrenden Philosophen Max Bense in Deutschland und Frankreich bekannt werden sollte.

Der Rundgang setzt sich fort mit einer Hindeutung zu den bekannteren Zentren des Informel in Deutschland mit Berlin, München und Düsseldorf. Zu den frühen, bis heute aktiven Wegbereitern in diesem Kontext gehört in München Rupprecht Geiger, der - zusammen mit Künstlern wie Ackermann, Baumeister, Thieler, Wildemann und Winter - die Gruppe ›ZEN 49‹ ins Leben rief. 1960/61 kam Uwe Lausen aus Tübingen nach München und nahm hier Kontakt zu den Mitgliedern der Gruppe ›Spur‹ auf. 1961 wird der junge ›wilde Informelle‹ zu einem dreiwöchigen Jugendarrest verurteilt wegen gotteslästerlicher und pornografischer Äußerungen in einer Zeitschrift der Gruppe ›Spur‹. Karl Fred Dahmen hatte seine materiell-amorphen Farbräume Anfang der 1950er Jahre in Paris entwickelt, bevor er 1967 eine Professur in München annahm. Der Berliner Bildhauer Bernhard Heiliger repräsentiert - wenngleich mit Werken der 1980er Jahre - in unserer Ausstellung den Aspekt informeller Skulptur. Fred Thieler war 1954 aus München nach Berlin gewechselt und hat hier als Lehrer seit 1959 wesentliche Impulse gegeben. In Paris war Thieler auf K.R.H. Sonderborg getroffen. Der vielreisende Norddeutsche Sonderborg lehrte von 1965 bis 1990 in Stuttgart, womit der Bogen zurück zu unserem Ausgangsort geschlagen ist. Düsseldorf, seit der Gründung von Manfred de La Mottes ›Galerie 22‹ im Jahr 1957 die eigentliche Hochburg des Informel, ist bei uns nur durch ein Bild des Rheinländers Gerhard Hoehme am Rande angedeutet.

Repräsentative Werke von Jan Henderikse und Heinz Mack beleuchten die Übergänge vom Infomel zur Gruppe Zero, die 1957 in Gestalt der Abendausstellungen im Düsseldorfer Atelier von Otto Piene gegründet wurde und als deren Gäste auch Künstler des Informel teilnehmen wie Hoehme, Thieler, Dahmen oder Geiger. Die in diesen Horizont integrierten Bildobjekte von Alfonso Hüppi und Herbert Zangs sind im Strahlungsfeld von Zero zu interpretieren, die Stuttgarterin Christa Winter formuliert eine zeitgenössische Antwort.

Unsere Ausstellung schließt mit einem Blick auf die Maler der Karlsruher Schule: der hoch bedeutsame Lehrer HAP Grieshaber und seine Schüler Horst Antes, Walter Stöhrer, Dieter Krieg, ergänzt um Positionen, die mit Stuttgart (Rudolf Schoofs und sein Schüler Herbert Egl), bzw. mit Karlsruhe (Arthur Stoll als Schüler von Antes) eng verbunden sind.