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Claudio Hils: Heimatfront - Bühnenbilder des Krieges

27. September 2020 – 18. April 2021

Claudio Hils (*1962 Mengen, lebt in Mengen) gewährt mit seinem neuesten Projekt Einblick in militärische Tabuzonen direkt vor unserer Haustür: In seinen Fotografien wirken die Ausbildungsstätten für Truppen und Sondereinsatzkommandos wie surreale Bühnenbilder, in denen der Ernstfall geprobt wird. Die in den letzten fünf Jahren in Süddeutschland entstandenen Bilder stehen exemplarisch für den gesellschaftlichen Umgang mit Bedrohungen durch Krieg und Terror. Virtuelle Bildwelten aus Übungssoftware der Bundeswehr ergänzen die Motive, wobei die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zunehmend verschwinden. Das Ausstellungs- und Buchprojekt entsteht in Zusammenarbeit mit der Kreisgalerie Schloss Meßkirch.

Das Jahr 2020 führt uns die Fragilität der komplexen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verflechtungen schonungslos vor Augen. Um die Kontrolle wiederzugewinnen bzw. sie zu demonstrieren, wurden auch innerhalb Europas hart errungene Freiheiten beschnitten: Plötzlich trennten wieder Grenzzäune zwischen der Schweiz, Deutschland und Österreich miteinander verwachsene Lebensräume und die dort lebenden Menschen.
Für Krisensituationen wie diese trainieren Polizei, Sondereinsatzkommandos, Militär und Brandschutz an speziellen Orten. Für solche Areale interessierte sich Claudio Hils (*1962) bereits, lange bevor überall von "kritischer Infrastruktur" die Rede war. Schon seit Jahrzehnten reflektiert der Fotograf, Dozent und Kurator politisch-gesellschaftliche Zusammenhänge in seiner Arbeit, insbesondere, wie sich Staatsgewalt, Krieg und Terror in meist verborgene Räume niederschreiben.
"Heimatfront – Bühnenbilder des Krieges" (2015–2020) zeigt militärische Tabuzonen, wie sie weltweit existieren, aber kaum zugänglich sind. Auf abgelegenen Arealen in Süddeutschland wird nicht nur zwischen den Relikten der kriegerischen Vergangenheit und in neuen Trainingshallen, sondern in bühnenhaft konstruierten Dörfern, Wohnzimmern und Flugzeugen geübt, um zukünftigen Terroranschlägen, kriegerischen Angriffen und Katastrophenszenarien zu begegnen.
Aus der mehrjährigen Recherche auf mehreren solcher Übungsgeländen erzeugt der kritische Fotograf eigenständige Bildwelten. Dabei wird die "Realität" in den Bildern zu einer trügerischen: Idyllische Landschaften sind von bizarren Kulissen durchsetzt, daneben wirken "echte" historische Bauten aus der Zeit des Kalten Krieges wie Filmschauplätze. Zeit- und Wirklichkeitsebenen erscheinen in diesen surrealen Szenerien ineinander verschachtelt. Sie werden zu menschenleeren Bühnen für eine postapokalyptische Erzählung.
Dabei wird angesichts heutiger Kriegstechniken wie dem Cyberwar auch die Vergeblichkeit all dieser Inszenierungen deutlich. Zwischen den Trainingshallen, den modellhaften und abgewrackten Gehäusen erahnen wir, dass der Spielplan des 21. Jahrhunderts ganz anders aussehen wird. Indem Claudio Hils seine fotografische Recherche durch virtuelle Bilder aus Übungssoftware der Bundeswehr ergänzt, verwischt er die Grenzen zwischen Realität und Fiktion auf einer weiteren Ebene. Dadurch entstehen in analogen und digitalen Übungszeitschleifen künstliche Welten verschiedenen "Grades". Das Kämpfen und Retten wird vor dem Hintergrund der Vergangenheit in die Zukunft projiziert. Zwischen Geschichte und Gegenwart, zwischen analogen Nachbauten und digitalen Bildern werden grundsätzliche Fragen nach der Abbildbarkeit von Wirklichkeit gestellt.
Zugleich bringt Claudio Hils letztlich ein Stück zur Aufführung, das unser gespaltenes Verhältnis zu Gewalt beleuchtet: Militärische Räume befinden sich ausserhalb des gesellschaftlichen Rahmens, doch sie sichern diesen zugleich. Armeen gelten als unzeitgemässe Apparate, doch die Beteiligung an humanitären Einsätzen als Notwendigkeit. Das Militär wird gesellschaftlich abgelehnt und verdrängt, aber es wird in Anspruch genommen, um den privilegierten Lebensstil der westlichen Welt zu sichern. Die Ausstellung "Heimatfront – Bühnenbilder des Krieges" zeigt diese unauflösbaren Widersprüche in ebenso zurückhaltenden wie beunruhigenden Bildern.

Die Ausstellung entstand als grenzüberschreitende Kooperation mit der Kreisgalerie Schloss Meßkirch, wo die Ausstellung von Juli bis Oktober 2021 gezeigt werden wird.