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Pressetext

Ein unvorstellbarer gesellschaftlicher Umbau hat unser Leben ergriffen, der mehr als je zuvor jede Frage nach dem eigenen sozialen oder kulturellen Ort zu einer schwierigen Aufgabe werden lässt. Welche Werte, Überzeugungen, Traditionen oder Revolutionen, Proteste, Widerstände, Subversionen aller Art sind es, die diesen sozialen Ort unter Druck setzen oder ihn dennoch vorstellbar werden lassen? Wo verlaufen noch (wenn auch nur symbolische) Grenzen, die die Rede vom eigenen Ort überhaupt noch plausibel erscheinen lassen? Dringen und drängen nicht ständig die Vielen und die Anderen in und an diesen Ort, versuchen, ihn zu besetzen, einzunehmen, ihn sich anzueignen, »uns« zu verändern? Spielt deshalb die Frage von Grenzziehungen, global wie lokal, eine immer bedeutendere Rolle? Um »die Anderen« draußen zu halten, jenseits dessen, was als eigen, als eigenes, als sicher und mit sich selbst identisch angesehen wird? Ist diese unausgesetzte »Produktion« der »Anderen« also unvermeidlich wie die Grenze zwischen Innen und Außen?

Diese Grenze ist aber keinesfalls nur territorial oder kulturell zu denken: als grundlegende Unterscheidung bedeutet sie auch »Exil, Verbannung, Opfer, Verachtung, Marginalisierung, Identifizierung, Normalisierung, Selektion, Wahl, Abstammung etc.« (Jean-Luc Nancy). Als Konsequenz entstehen zahlreiche Sprachen, Bilder, Zugangsmöglichkeiten und »Diskursverengungen«, die die Gesellschaft in eine Vielzahl von Parallelwelten aufspalten und unterteilen, die zunehmend kulturelle wie ökonomische Handlungsmöglichkeiten regulieren und deren Reichweite festlegen. Durch diese Segmentierungen wird allerdings die Idee der »Gemeinschaft« auf ein kärgliches Maß reduziert. »Der Glaube an die Welt ist das, was uns am meisten fehlt; wir haben diese Welt völlig verloren, wir sind ihrer beraubt worden.« (Gilles Deleuze)

Welche Figuren kultureller Repräsentation – wie »Sicherheit«, »Bedrohung«, »Migration«, »Krise« – sind gegenwärtig an der Produktion und Reproduktion von Verdrängungen, Ausblendungen, Ausschließungen beteiligt, die uns der Welt berauben? Wie hängen also Repräsentation und die (politischen, sozialen) Mechanismen der Ausschließung zusammen? Daran schließt sich jene politische Frage an: »Wie ausschließen, ohne Figuren [des Anderen] zu bilden? Und wie Figuren [von Differenz] bilden, ohne auszuschließen?« (Jean-Luc Nancy) Anders gefragt: Was ist heute sichtbarer als sichtbar? Es sind die Hautfarben, die Gesten, die Kleider, die Schleier, die Sprachen, die alle zu diesen Figuren montiert (und politisch verwertet) werden.

Wir wiederholen es: Gegen diese Entwürfe von Ein- und Ausschließung hat sich ein Denken stark gemacht, das im Gemeinsam-Sein kein besonderes Sein entdecken will, »keine Substanz, kein gemeinsames Subjekt« (Jean-Luc Nancy), keinen gemeinsamen Ursprung, keine (verbindende) gemeinsame Identität. Denn diese normalisiert (bzw. naturalisiert) beständig Trennungen, Auftrennungen des Gemeinschaftlichen und des Sozialen, stigmatisiert »die Anderen« als von einer Teilhabe, von einem Mit-Sein ausgeschlossen. »Mit bedeutet [aber] weder drinnen noch draußen, sondern Seite an Seite und in der Nähe.« (Jean-Luc Nancy) Damit räumt dieses andere Denken – einer anderen, einer zweiten Welt? – der Frage nach dem Anderen, nach dem Anders-Sein einen Raum im Diesseits der Gemeinschaft ein: als eine Differenz, die »uns selbst als solche einbezieht und durchquert«. (Roberto Esposito)

»Unter anderen« will im Zusammenhang mit einer Ausstellung im April 2011 unter dem Titel »Communitas. Die unrepräsentierbare Gemeinschaft« – mit Martin Beck (AT/US), Sabine Bitter /Helmut Weber (AT/CA), Sharon Hayes (US), Heidrun ¬Holzfeind (AT/US), Sanja Iveković (HR), Maryam Jafri (PK/US) und Clemens von Wedemeyer (DE) – gesehen werden und wurde mit Bezug auf das diesjährige Leitmotiv des steirischen herbst, »Zweite Welten«, konzipiert. Die Ausstellung stellt mit den gezeigten künstlerischen Arbeiten eine kritische Reflexion einer Idee des »Mit-Seins« zur Debatte, ein »Mit-Sein«, das sich »zugleich als ›dazwischen sein‹, ›getrennt sein‹, ›sich unterscheiden‹, ›unter anderen sein‹ und ›teilhaben‹« versteht (Jean-Luc Nancy). Diese Debatte findet zwischen dem Nahen Osten und Südafrika, zwischen Polen, Deutschland und Israel statt, richtet ihren Blick auf die Moderne wie auf die Gegenwart, um verschiedene gesellschaftliche und identitäre Modelle, deren Utopien, deren Scheitern und die Sehnsucht nach (oder den ¬verlorenen Glauben an) eine/r andere/n – zweite/n – Welt zur Disposition zu stellen. »Eine Welt ist immer so viele Welten wie nötig, um eine Welt zu bilden.« (Jean-Luc Nancy)