press release only in german

Die Sphäre ist das innenhafte, erschlossene, geteilte Runde, das Menschen bewohnen, sofern es ihnen gelingt, Menschen zu werden. Weil Wohnen immer schon Sphären bilden heißt, im Kleinen wie im Großen, sind die Menschen die Wesen, die Rundwelten aufstellen und in Horizonte ausschauen. In Sphären leben heißt, die Dimension erzeugen, in der Menschen enthalten sein können. –Peter Sloterdijk

Die Galerie Jette Rudolph freut sich, Constantin Luser bereits zum dritten Mal in einer Soloshow zu zeigen. Neben der Zeichnung, welche dem in Graz/Österreich geborenen Künstler stets als Ausgangspunkt dient, sind dreidimensionale Installationen und Collagen wesentliche Bestandteile seiner Arbeit. Mit seinen Klangskulpturen gestaltet der Künstler nicht nur räumliche Objekte, sondern macht diese gleichsam akkustisch verfügbar, um zugleich seinen Rezipienten zur performativen wie kommunikativen Interaktion zu animieren. Die zu Objekten arrangierten Instrumente nehmen dabei durch den an ihnen zu erzeugenden Klang den Raum ebenso ein wie die bekannten großformatigen, feinen Zeichnungen des Künstlers.

Mit seinen arbeitsintensiven Werken zerstückelt Constantin Luser die Inhalte übermittelter Botschaften, justiert diese neu und restrukturiert und komprimiert sie schließlich zu vielschichtigen, partiell imaginären Konstrukten. Kontinuierlich entwickeln sich die Luser’schen Ideen anhand vorgefundener Versatzstücke, unmittelbaren Reminiszenzen, persönlichen Gedanken, Erfahrungen und Vorstellungen zu beziehungsreichen Gefügen.

Im Zentrum der gegenwärtigen Einzelausstellung steht die oktogonal angeordnete Installation von acht Bandoneons. Ausgestattet mit einer zentral angelegten Luftversorgung lässt sich das Oktogon aus Harmonikainstrumenten polyphon bespielen. Gleichsam verweist die Skulptur auf die bewegte Geschichte des Handzuginstruments, welches im 19. Jahrhundert von dem Deutschen Heinrich Band entwickelt wurde und – trotz des Verbotes durch die Nazis – insbesondere in Südamerika beliebt war.1

Begleitet wird die Skulptur von mehreren kleinformatigen Collagen, deren Fragmente der Künstler aus dem sogenannten „Braunen Meyer“2, der tendenziös und nationalsozialistisch eingefärbten Enzyklopädieausgabe aus den Jahren 1936 bis 1942, herauslöste. Im freien und assoziativen künstlerischen Schaffensprozess arrangiert Luser das Bildmaterial neu und kombiniert es partiell mit eigenen Zeichnungen. Dem vermeintlich objektiven Anliegen von Lexikonbildern im ursprünglichen Kontext enthoben, müssen die Holzstiche als ideologisch tingiert aufgefasst werden und offenbaren im neuen Arrangement der Collage ihren kommunikativen Charakter. Luser unterwirft die deklamatorischen Abbildungen der Prozesshaftigkeit und erzeugt ein Zwiegespräch der Fragmente unter neuen Vorzeichen.

Das Ausloten unterschiedlicher Bedeutungs- und Wahrnehmungsebenen, die der Künstler in jeder seiner Arbeiten zusammenbringt, wird ebenfalls in den großformatigen Zeichnungen auf Alu-Dibond offenkundig. In akkuraten und präzisen Linien zeichnet Luser Ideengeflechte, welche wie komplexe Pläne anmuten. In unterschiedlichen, alternierenden Ebenen entwickeln sich die Ansichten aus abstrakten Formen, figurativen Momenten, Chiffrierungen und Symbolen zu einem Konnektiv aus Realitätseinfluss, Vorstellungskraft und persönlichen Gedanken. Die Farblasuren, welche die Arbeiten des Künstlers partiell durchziehen, eröffnen bisweilen synästhetische Erfahrungsebenen.

Die unterschiedlichen, den Arbeiten immanenten Bedeutungsdimensionen in Anbindung an lebensweltliche Räume verbinden sich – abgebildet, beschrieben oder kartiert – mit verblüffend phantastischen Details. Denn wie Paul Valéry treffend bemerkt gibt es möglicherweise „keine inständigere Versuchung des Geistes als das Zeichnen“3. Es überrascht somit kaum, dass sich diese schier unbegrenzten Darstellungsmöglichkeiten im Werk Lusers mit dem Medium der Collage und deren mannigfaltigen Kombinations- und Visualisierungs-möglichkeiten fortsetzt. Erzählerisch zwischen innerer und äußerer Welt verortet, treten die Darstellungen in Verhandlung mit dem Betrachter, welcher im Grunde dazu herausgefordert wird, den erarbeiteten Strukturen zu folgen. An Stellen der mehrschichtigen Unschärfe entpuppt sich das erstaunliche Potenzial des experimentellen Verlassens realit-orientierter Wahrnehmung als ein Streben nach Entwicklung und Transzendenz. Jenseits von zeitlicher Einbindung eröffnen die Arb eiten Lusers dynamische Vorstellungsräume, deren semantische Felder sich der Betrachter fortwährend orientierbar machen muss.

- [1] Vor allem im Bezug auf den Tango war das Instrument ab Anfang des 20. Jahrhunderts prägend. [2] Die 8. Auflage des Meyer Lexikon erschien in 9 Bänden, welche auf Grund des Krieges nie vollendet wurden. Die Zensurkommision der NSDAP bearbeitete weite Teile der Lemmata. [3] Paul Valéry, Tanz, Zeichnung und Degas, übers. v. Werner Zemp, revidierte Ausgabe, Suhrkamp, Frankfurt a. M., 1996, S. 69

Press release:

The sphere is the interior, disclosed, shared realm inhabited by humans – in so far as they succeed in becoming humans. Because living always means building spheres, both on a small and a large scale, humans are the beings that establish globes and look out into horizons. Living in spheres means creating the dimension in which humans can be contained. – Peter Sloterdijk

The Jette Rudolph Gallery is pleased to present Constantin Luser’s third solo show at the gallery. A native of Graz, Austria, drawing always serves as his starting point, but his work also largely consists of three-dimensional installations and collages. With his sound sculptures, the artist not only creates spatial objects, but also makes them available as an acoustic experience; this is to encourage viewers to interact on performative and communicative levels with the works. The sound-producing instruments are arranged as objects and fill the room along with the large-format, intricate drawings the artist is known for.

With his labor-intensive works, Constantin Luser dismantles the contents of sent messages, recalibrating them, and ultimately restructuring and compressing them into multifaceted, partly imaginative constructs. Using found objects, scenes from memories, personal thoughts, experiences and viewpoints, Luser’s ideas continually evolve into expressive, multivalent structures.

The focal point of Luser’s current solo exhibition is an octagonally arranged installation piece with eight bandoneons. Equipped with a centralized air system, the octagon of harmonica instruments can be played polyphonically. At the same time, the sculpture also serves as a reference to the reed instrument’s colorful history. Created by a German, Heinrich Band, in the 19th century, it was banned by the Nazis, but still enjoyed tremendous popularity, especially in South America.1

The sculpture is accompanied by several small-format collages whose fragments were extracted from the 1936 to 1942 edition of the “Brauner Meyer,2” an encyclopedia that had a National Socialist bias. Employing a free and associative creative process, Luser rearranges the photo material, combining some of it with his own drawings. Removed from their original context and their supposedly objective function as encyclopedia images, the wood engravings come across as ideologically tinged and, rearranged as a collage, disclose their communicative character. Luser subjects the declamatory images to a process, thereby setting the fragments into dialog with one another under new conditions.

In each of the artist’s works, different levels of meaning and perception converge. This can also be seen in his large-format, Alu-Dibond drawings. With accurate and precise lines, Luser draws idea-networks that resemble complex plans. In various, alternating levels, the abstract forms, figurative moments, encryptions and symbols fuse, creating a connective network that is a combination of reality’s influence, the imagination and the artist’s personal thoughts. The artist uses color glazes in some of his works, which sometimes triggers synesthetic experiences.

The various dimensions of meaning intrinsic to the works in conjunction with the real-world spaces all come together – whether pictured, described or mapped – with absolutely fantastic details. Because as Paul Valéry aptly notes, “Drawing may be the most haunting obsession the mind can experience.”3 It is therefore hardly surprising that the notion that there are utterly endless ways to present images is carried on in Luser’s works – in the collage medium with its manifold opportunities for combination and visualization. Narratively situated between the inner and outer worlds, the images enter into negotiations with the viewer, who faces one basic challenge: to follow the structures that have been established. In places that are blurry on many levels, the surprising potential created by experimentally leaving reality-oriented perception behind turns out to be a desire for development and transcendence. Beyond any type of real-time integration, Luser’s works open dynamic, imag inary spaces filled with semantic fields the viewer continually has to adapt to.

- [1] Starting in the early 20th century, the instrument had a major influence on Tango music. [2] The 8th edition of the Meyer encyclopedia was published in 9 volumes and, due to the war, was never finished. The NSDAP Censorship Committee revised large portions of the various entries. [3] Paul Valéry, in Degas, Dance, Drawing.

only in german

Constantin Luser