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Von Glücksrittern, Friedensengeln und Cowboys – Gedanken zu Cordula Güdemanns neuen Arbeiten

I. Ein klarer, schöner Atelierraum – hell und offen, aufgeräumt und überschaubar. Mit ein paar Schritten ist man bei den Fenstern. Der Ausblick ist nicht schlecht, aber auch nichts Besonderes. Hier, auf dem Weg zwischen Stuttgart und Bad Cannstatt, ist man selbst im vierten Stock dem Boden der Tatsachen noch ziemlich nah. Man hört den Verkehr, spürt die sozialen Brüche, sieht den Park auf der einen und die Arbeitersiedlungen auf der anderen Seite – nicht wie in jenen Häusern an den Hängen Stuttgarts, in denen die Stadt und das Leben unter einem liegen, als wären sie beherrschbar. Doch das Licht fällt weicher hier unten im Kessel, und so könnte man für einen Moment meinen, das Atelier von Cordula Güdemann sei eine friedliche Oase, ein Ort für glückliche Zeiten. Lucky times. Die Stifte stecken in Bechern, die Bücher und Papiere sind sauber gestapelt, an den Wänden hängen Zeichnungen. Die großen Bilder stehen gestaffelt an der Seite, die kleineren Gouachen liegen in niedrigen Stößen auf dem gekehrten Boden. Fällt der Blick auf sie, dann tun sich Abgründe auf. „Malerei des schwankenden Bodens“ – so haben Hans Albert Peters und Klaus-Gerrit Friese vor zehn Jahren in dem Katalog „Bilder aus der bewohnten Welt“ Cordula Güdemanns Arbeiten beschrieben. Und wer damals gehofft hat, dieser Boden werde an Festigkeit gewinnen, hat sich getäuscht. Blickt man aus heutiger Sicht zurück, so scheint die Welt Anfang der neunziger Jahre vielmehr paradiesisch stabil gewesen zu sein. Das gilt auch für die Arbeiten von Cordula Güdemann. Dominierte in ihrem Werk damals – bei aller Kritik, Schärfe und Ironie – noch die humoristische Distanz und Lust an der Malerei, so sind heute vor ihren Bildern auch Wut und Not als Auslöser des kreativen Prozesses zu spüren. Insgesamt sind ihre Bildkompositionen komplexer geworden. Cordula Güdemann hat die Themen der Zeit, politische und gesellschaftliche Entwicklungen, nie aus ihrer Arbeit ausgeschlossen, auch wenn ihr nichts fremder ist als die illustrative Darstellung geschehenen und gesehenen Alltags. Aber die Zeit ist eine andere geworden, seit Kriege am Computer geführt werden und im Fernsehen live zu beobachten sind, seit Hochhäuser, Gottestempel und Bahnlinien in aller Welt Orte des Terrors geworden sind. Cordula Güdemann hat in den späten siebziger Jahren bei Rudolf Schoofs in Karlsruhe und bei Dieter Krieg in Düsseldorf studiert. Der von Wolfgang Max Faust 1982 diagnostizierte „Hunger nach Bildern“ war groß in dieser Zeit, der Rausch der Malerei beherrschte die Szene vor allem in Berlin und im Rheinland. Baselitz, Lüpertz, Richter, Polke, Immendorff, Kippenberger – die Bilder der wieder erwachten deutschen Malerstars waren das Material, an dem sich die junge Cordula Güdemann rieb, auch wenn ihr die spröde Ernsthaftigkeit der neuen Sachlichkeit oder die rätselhafte Bildwelt des Spaniers Eduardo Arroyo viel näher lagen. Während Lüpertz und Baselitz mit pathetischer Gebärde das „abstrakte Geheimnis“ (Lüpertz) eines Gegenstandes oder ihr männlich-künstlerisches Selbstverständnis als „Neue Typen“ erkundeten, oder Richter und Polke mit den Mitteln der Massenkultur diese selbst ad absurdum führten, interessiert sich die um eine Künstlergeneration jüngere Cordula Güdemann – die mittlerweile selbst eine Professur für Malerei an der Stuttgarter Kunstakademie inne hat – bis heute mehr für die Inhalte der Form. Die Ästhetik des Scheins oder das Spiel der Verführung sind ihre Sache nicht, es geht ihr eher um Entlarvung mithilfe der Ironie. Und doch spürt man, dass sie von dieser Zeit geprägt wurde: Die Malerei ist Cordula Güdemanns Medium und ihre Leidenschaft. Die figurative Form ist ihre Sprache, die farbliche Dynamik ihr Rhythmus. Ihr Auge ist kein „kaltes Sinnesorgan“ (wie Goedart Palm es in dem Kunstforum-Band „Kunst und Krieg“ als typisch für den Künstler nennt), und Distanz ist in ihrem Fall ein relativer Begriff, denn ihr Blick ist genau und sorgsam, ihr Humor immer menschlich, der erste Impuls persönliches Betroffensein. Das Lebensgefühl, das alle Bilder durchzieht, ist geprägt von dem Bewusstsein der Vergänglichkeit jedes Zustandes, der Gegenwart als reiner Hypothese, der Dynamik des Fragmentarischen. Es überrascht daher nicht, dass das Stipendium der Villa Massimo 1990/91 und damit die Auseinandersetzung mit der ewigen Stadt Rom ihre Malerei entscheidend prägte. Dabei ziehen sich zwei Merkmale seit einigen Jahren konstant durch das Schaffen: die Arbeit in thematischen Serien und das Prinzip der Collage beziehungsweise der inhaltlichen wie formalen Montage.

II. „Man muss nur zwei Dinge zusammenfügen, und schon hat man eine Geschichte.“ Das ist so ein Satz, wie er typisch ist für Cordula Güdemann. Sie sagt ihn ruhig und ernst und blickt dabei mehr in sich selbst hinein als in die Welt. Doch der Eindruck täuscht, denn Gefühlswelten spielen in ihren Kompositionen keine Rolle. Vielmehr eröffnet sie im Bildraum eine imaginäre Bühne für ein satirisches Kabarett, dessen Protagonisten in der Gegenwart zu finden sind. Wer ihre Arbeit verfolgt, kennt das eine oder andere Motiv schon aus früheren Bildern, bemerkt Zuspitzungen oder Präzisierungen, neue Konstellationen und andere Blickrichtungen. Diese Typen zum Beispiel, die lachend um den runden Tisch sitzen, tauchten in so einer Radikalität vor ein paar Jahren noch nicht auf. Sind sie die edlen Ritter um König Artus, die Jünger Jesu oder einfach jene politischen Köpfe, von denen das Schicksal der Menschen abhängt? Sind sie zusammengekommen, um Entscheidungen zu treffen oder Spiele zu spielen? Wenn nicht beides zugleich? Ihre Gesichter verwandeln sich zu grinsenden Fratzen, werden zu menschlich-tierischen Zerrbildern, animalisch machtbewusst und grausam berechnend. Papiersegler fliegen zwischen ihnen hin und her, und Mini-Raketen schweben bedrohlich über der Szenerie. Ein Mann mit Maschinengewehr im Anschlag liegt quer auf der Tischplatte, daneben erscheint – mehr erahnbar als sichtbar – die Silhouette eines einbeinigen Menschen in Gestalt der Freiheitsstatue. Ist er Opfer oder Täter, Held oder Verlierer? Rote Leuchtfarbe gibt dem an sich nüchtern schwarz-weißen Schauplatz einen vibrierenden Anstrich, einen rauschenden Sog, der uns hineinzieht in dieses großformatige Sittengemälde politischer Zustände, obwohl uns dessen zugespitzte Widerwärtigkeit zugleich abschreckt. Doch so unbekannt ist uns das alles nicht: Bilder aus dem Fernsehen und aus Zeitungen kommen einem in den Sinn, Dokumentarfotos von Elefantenrunden der Politik und Wirtschaft, hinter denen wir die Abgebrühtheit ahnten, die wir nun deutlich erkennen. „La deutsche vita“ ist der Titel dieser Serie, bei der Cordula Güdemann – wie in anderen Fällen auch – unter anderem von gesammelten Fotos und Zeitungsausschnitten ausging und die sie in einer Reihe von Gouachen entwickelt hat. In diesen kleinen eigenständigen Mischtechniken und in den Studien türmen sich überdies noch Müllberge auf, und jenes warnend-strahlende Rot, dessen malerische Wirkung die Künstlerin in ihren jüngsten Bildern fasziniert erkundet, wächst zu Gebirgslandschaften zusammen, so dass die räumlichen Ebenen zu kippen anfangen, unser eigener Standpunkt als Betrachter unsicher wird, die Gedanken schwirren: Ein Kaleidoskop skurriler Fundstücke vor Augen, beginnen wir wie eine Sonde auf dem Mars das Terrain zu erkunden, nicht ohne zwischendurch abzustürzen und uns mühsam wieder aufzurichten. Ein süßes Leben ist das sicher nicht, aber ist es – „La deutsche vita“ – ein deutsches Leben? 1991 bereits hat Cordula Güdemann das Kabinett Helmut Kohls in dem Bild „Höhlenmenschen“ dargestellt, hat die Figuren in düstere Farbmassen und unter bunte Sonnen gestellt, aber im Einzelnen waren sie doch noch erkennbar. Jetzt werden die Köpfe der Nation zu austauschbaren Typen des Schreckens, die hier wie anderswo regieren können, absurde Gestalten, bei deren grausamer Zusammenkunft uns – in dem Moment, in dem wir zu Lachen beginnen wollen – elend wird. Was wir sehen ist ein Albtraum, den wir täglich erleben. Da wünschte man sich doch ein paar Glücksboten herbei, Friedensengel zum Beispiel. Doch wie sie da nun stehen, in den gleichnamigen Bildern Güdemanns, da weiß man nicht mehr, ob man sich die himmlischen Heerscharen wirklich so vorgestellt hat: überdimensional große, kräftige Beine in Springerstiefeln und Camouflage-Hosen, die Gürtel exhibitionistisch weit geöffnet, und dort, wo eigentlich der Oberkörper beginnen würde, wachsen aus dem Hosenbund eine rote Sonne oder ein Kugelball, Luftballon, Strahlenkranz, Atompilz, Heiligenschein ohne Heiligengesicht. In unserem Bildergedächtnis von heute ruft dieses Bilddetail schließlich noch eine andere Konnotation hervor: Dieser rote Fleck erinnert auf erstaunliche Weise an jenes Foto, das erst Jahre nach Entstehung der „Friedensengel“-Bilder 1999 geschossen worden ist und das in seiner bewegenden Symbolhaftigkeit um die Welt ging: an das Blut, das während eines „friendly fire“ auf die Windschutzscheibe des Autos eines BBC-Reporters spritzte, der als „embedded“-Reporter im Irakkrieg 2003 gearbeitet hat. Diese zwei Blutspritzer, aus der Nähe fotografiert, werden im Bild isoliert zu riesigen roten Bällen, unter denen – in der Ferne – ein kleiner Mensch in Khakigrün vorbeiläuft. Von wem das Blut stammt, ist nicht zu sehen, das Leid ist nur zu ahnen. Und doch steckt die ganze Grausamkeit des Krieges in diesen zwei Bluttropfen. Ein berührendes Bild, von dem man fast meinen könnte, Cordula Güdemann habe es in ihren „Friedensengeln“ erahnt. Auch diese Engel entstanden damals aus aktuellem Anlass während des Kosovo-Krieges. Das Motiv begleitete die Künstlerin über die Kriegswochen hinweg wie ein künstlerisches Programm. Es dauerte acht Gemälde lang, dann waren die Kämpfe der Truppen vorbei, und Cordula Güdemann schloss die Serie ab. Doch wie immer, so ist auch diese Bilderreihe nicht nur ein Reflex auf äußeres Geschehen. Die Camouflage-Hosen werden vielmehr zur malerischen Fläche, auf der montageartig Details früherer Arbeiten wieder auftauchen, also genuin künstlerische Problemstellungen neu gelöst werden. Da fahren jene fleischfarbenen Autos über den zur Landschaft gewordenen Hosenstoff, Autos, die Cordula Güdemann einige Jahre zuvor auf Schaschlikspieße aufgereiht oder in kreatürliche „Killerautos“ verwandelt hatte. Städte und Dörfer sind in der Kleidung oder als Landschaft dahinter zu sehen, mal zerstört, mal gerade wieder aufgebaut, Motive werden zusammengebracht, die so nicht zusammengehören, und in einigen Fällen eine fast poetische in anderen eine fast karikierende neue Bedeutung bekommen. Bei ein paar Engeln werden die Gürtelenden zu Flügeln, doch zum Fliegen würden diese nie reichen, so schlaff hängen sie herab, nicht gerade Zeichen männlicher Potenz. Diese Engel sind keine positiven Helden, vielmehr bedrohliche Nachkommen jenes Kämpfers, den Rudolf Schlichter 1937 in dem Bild „Blinde Macht“ entworfen hat, Muskelprotze, deren Leib – dort, wo man Herz und Seele vermutet – von teuflischen Wesen zerfressen wird und deren Kopf so tief im metallischen Helm steckt, daß der Blick verstellt und das Denken unmöglich geworden ist. Das gilt auch für die Cowboys, an denen Cordula Güdemann in den letzten Monaten gearbeitet hat. Auch sie haben keine Köpfe, keinen Körper. Der Hut beherrscht ihr Denken, die Stiefel ihre Position, die Pistole ihr Tun. Diese wenigen Attribute reichen der Künstlerin, um auf die Machtgesten anzuspielen, wie man sie – in diesem Fall aktuell – vor allem bei dem amerikanischen Präsidenten Bush beobachten kann: die lässige Position des Stetson, die Stellung der Cowboystiefel und der schmissige Zeichenduktus karikieren ein politisches Selbstverständnis, das mehr von Western als von inhaltlichen Vorstellungen geprägt ist und das einen Krieg riskiert, um sich selbst als Held Amerikas, des weiten Lands, zu inszenieren. Die Ironie und die scheinbar humoristischen Seitenwege sind Cordula Güdemanns Art, auf das Dilemma der zeitgenössischen Kunst zu reagieren, angesichts der medialen Entwicklung unserer Welt und damit auch der Kriege, die geführt werden. Es ist jenes Phänomen, das Goedart Palm mit Bezug auf den Irakkrieg im dem Aufsatz „Das Format des Unfasslichen“ (Kunstforum Band 165) so beschreibt: „Wenn ein Rüstungs- und Militärgigant wie die USA sich mit weit unterlegenen Gegnern zur Schlacht trifft, Zigtausend von Opfern auf der einen Seite gegenüber einigen Hundert auf der anderen, handelt es sich um Gemetzel, das weder Heldentum noch Ritterlichkeit als ikonisches Motiv zulässt.“ Und weiter heißt es: „Der Krieg wird abstrakt, er versteckt sich hinter der Exekution moderner Betriebsführung kalkulierender Kriegsmanager. Auf diffus blitzenden Monitoren erscheinen die spätmodernen Bilder des Krieges, die nach der heißen Phase von gleichermaßen abstrakten wie unwirklichen Statistiken nachsynchronisiert werden (...)“. Dabei kommt in den Cowboy-Arbeiten ein für Cordula Güdemann weiteres wichtiges Element ins Spiel, das geradezu in Kontrast zu der oben skizzierten Situation steht: die Auseinandersetzung mit der Alltags- und Popkultur, unter anderem mit dem Comic. Lucky Luke, der ewige Schwerenöter, gibt der ganzen Cowboy-Herrlichkeit als Ahnherr letztlich noch eine witzig-sympathische Note. Und man merkt dem lockeren Zeichenstil an, wie viel Lust sich hinter der malerischen Geste verbirgt, wie viel Spaß das künstlerische Spiel von Tarnung und Enttarnung macht, wie intuitiv der kreative Prozess ist. Das thematische Vorgehen führt bei Cordula Güdemann nicht zu intellektueller Verkrampfung, sondern zu temperamentvoller Vitalität.

III. Cordula Güdemanns Kunst verleugnet nicht die Zeit, in der sie entsteht. Und doch ist sie mehr als ein Kommentar. Denn die Fragen, die sie stellt, sind zum einen künstlerischer Art (Was kann die Malerei im Medienzeitalter leisten?) und existenzieller Art (Wie definiert sich der Mensch? Was bedeutet ihm Freiheit und Lebensqualität?). Die Berge von Müll, die in ihren Bildern immer wieder auftauchen, stehen beispielhaft für Werte, die heute aktuell und morgen vergessen sind, für Bilder, die in unserem Leben auftauchen und wieder verschwinden, für die Wurzeln unserer Kultur und die Banalitäten, die unseren Alltag beherrschen, für die Überbleibsel von Zivilisation. So ist es wohl nur konsequent, dass Cordula Güdemann zurzeit jenen Ort als malerisches Thema für sich entdeckt hat, in dem ihre eigenen Bilder und Motive entstehen: das Atelier. Zeichnerisch erkundet sie, was sie sieht – zum Beispiel den Schreibtisch als Kosmos aus Gegenständen und Farben, Papieren und Fundstücken –, und irgendwann wird sie daraus den für sie typischen eigenwilligen brüchigen bildnerischen Kosmos entwerfen, der – davon kann man ausgehen – auch die düstere Seite des Orts, die Ambivalenz dieser kreativen Werkstatt, die Zweifel des Künstlers in sich tragen wird. In „Wahre Liebe“ hat sie 1989 den Künstler als blinden Mann im Anzug gezeigt, der in seiner Farbpalette gefangen ist, unbeweglich geworden, während an seiner Seite ein anderer mit Boxerhandschuhen den Pinsel nicht mehr recht fassen kann. Während die beiden steifen Gestalten wie Skulpturen auf Sockeln stehen, fließt unter ihnen eine Farbbrühe in Strömen vorbei. Wach bleiben, beweglich bleiben, handlungsfähig bleiben – das ist es, was Cordula Güdemann von sich und vom Betrachter fordert. „Die Malerei bietet so unendlich viele Möglichkeiten des Ausdrucks, dass ich mir nicht vorstellen kann, jemals aufzuhören“, sagt sie. Vielleicht sieht man auch aus diesem Grund in manchem ihrer Bilder eine Leiter, die aus den Abfallbergen direkt in einen fernen Himmel führt. Was uns dort erwartet, sehen wir nicht. Aber Hoffnung macht diese wackelige Trittleiter, der die eine und andere Sprosse fehlt, doch. Die Künstlerin sagt: „Es gibt immer viele Gründe, ins Atelier zu gehen.“

Petra von Olschowski April 2004

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Cordula Güdemann - Lucky times