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Cyrill Lachauer. I am not sea, I am not land
Sammlung Goetz im Haus der Kunst
(23. Oktober 2020 – 14. April 2021)

Seit 2011 werden im ehemaligen Luftschutzkeller des Haus der Kunst im halbjährlichen Wechsel Medienarbeiten aus dem Bestand der Sammlung Goetz in kuratierten Gruppenausstellungen präsentiert. Mit „Cyrill Lachauer. I am not sea, I am not land“ ist dort erstmals seit Bestehen der Kooperation in diesen Räumen eine Einzelausstellung eines Künstlers zu sehen. Die Sammlung Goetz, die bereits umfangreiche Werkgruppen von Cyrill Lachauer besitzt, hat den Künstler beauftragt, eine neue Installation für diesen besonderen Ort zu entwickeln.

Entstanden ist die umfangreiche Multimediainstallation „Cockaigne – I am not sea, I am not land“, bestehend aus Filmen, Videos, Diaprojektion, Soundinstallation, Fotografien und Wandtexten. Der Künstler arbeitet seit 2018 an ihrer Fertigstellung, konnte den letzten Teil aufgrund der Reisebeschränkungen der vergangenen Monate jedoch noch nicht abschließen. Da es sich um eine zusammenhängende Installation handelt, hat der Künstler die Wände im Verbindungsgang für die Präsentation von Fotografien und handgeschriebenen Wandtexten in die Gestaltung miteinbezogen.

Der Titel „Cockaigne“ bezieht sich auf das 1567 von Pieter Bruegel d. Ä. gemalte Bild „The land of Cockaigne“, dem Schlaraffenland. Es ist ein utopisch-ironischer Gegenentwurf zur alltäglichen Härte des bäuerlichen Lebens. In einem seiner Filme zoomt Cyrill Lachauer in einer knapp halbstündigen Kamerafahrt in das Gemälde hinein. Begleitet wird dieser Film von einem gesprochenen Text des Künstlers, zu dem er zusammen mit Moritz Stumm einen Soundteppich entwickelt hat.

Den Ausgangspunkt für das Projekt bildete der Film „Dodging Raindrops – A Separate Reality“, der als einzige bereits bestehende Arbeit in der Ausstellung gezeigt wird. Dabei handelt es sich um einen episodischen Experimentalfilm, in dem der Künstler von Begegnungen mit Rappern, Rodeoreitern und angeblichen „Native Americans“ erzählt. Es geht um Fragen der Identität, der Zuschreibung, aber auch um Fiktion. So verknüpft er dokumentarische und inszenierte Szenen zu einer mythisch-apokalyptischen Erzählung. Offen bleibt, wieviel eigene Geschichte Lachauer als weißer, europäischer Mann und Künstler mit in den Film hineinbringt.

Der 1979 in Rosenheim geborene und in Berlin lebende Cyrill Lachauer hat Regie, Ethnologie und Kunst studiert. In seiner Jugend stieß er auf das Buch von Carlos Castaneda „Eine andere Wirklichkeit“ (engl.: A Separate Reality). Es erzählt von der Begegnung des Anthropologen mit einem Native American und Medizinmann, der ihn das „Sehen“ lehrte. Nach Aussagen des Künstlers hat er das Buch, das in der New-Age-Bewegung gefeiert wurde, in nur wenigen Tagen gelesen. Die Begeisterung für die Schriften Castanedas habe ihn schließlich zum Ethnologie-Studium geführt. Dort musste er jedoch erfahren, dass Castanedas Begegnungen frei erfunden waren und seine vermeintlich wissenschaftliche Feldforschung in der Lektüre von Büchern aus der Universitätsbibliothek bestand. Für die Ethnologie war der New-Age-Guru damit erledigt, aber Lachauer hielt trotzdem an ihm fest. Ihn interessierte nun vielmehr, wie Castaneda aus der Perspektive eines weißen Mannes das Narrativ des „Native American“ weiter fortschreibt und für seine Zwecke einnimmt.

Getrieben von der Idee einer erzählenden Landschaft, in die gleichsam die Geschichte ihrer Bewohner miteingeschrieben ist, begab sich Lachauer auf Reisen in die USA. Von Los Angeles aus folgte er der Route der fiktiven Feldforschung von Castaneda. Aber die Geschichte, die Lachauer erzählt, ist eine andere.

Den Auftakt zur Ausstellung bildet die Filmprojektion einer vom Künstler bearbeiteten Sequenz aus dem Film „Man of Aran“ von 1934. Darin macht eine vom Wind aufgepeitschte See eine klare Grenzziehung zwischen Festland und Meer unmöglich. Der Komponist Ned Collette hat inspiriert von diesem Werk ein freies Musikstück dazu geschaffen. Die Auseinandersetzung mit den Ideen von Land und Landschaft in ihren unterschiedlichsten Ausformungen bilden auch das Grundgerüst der Ausstellung. Denn Land kann Heimat bedeuten und Wurzeln geben, es kann ein nährendes Stück Land sein, aber auch als Idee von Nation zu In- und Exklusion führen.

Cyrill Lachauer nimmt uns mit auf seine Reisen nach Brasilien, Südafrika, die USA, Rumänien, aber auch nach Berlin und in die brandenburgische Provinz. Dabei begegnen wir den Hobos, amerikanischen Wanderarbeitern, die auf Güterzügen durch das Land reisen, dem queeren Parkarbeiter Justin am Yosemite Nationalpark in Kalifornien, Diamantsuchern in Südafrika und Barrit, der aus den USA geflohen ist und nicht mehr in seine Heimat zurückkehren kann. Es sind die unterschiedlichsten Menschen, die alle das Schicksal von Grenzgänger*innen eint.

Kuratiert von Cornelia Gockel und Susanne Touw