press release only in german

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RAHMENPROGRAMM

Moving Mutating Mary / Finissage
Performance von Dafna Maimon
Sonntag, 17. November, 15–18 Uhr
Performerinnen / Performers: Evgenia Chetvertkova, Emma Waltraud Howes, Dafna Maimon, Lulu Obermayer
Zur Finissage ihrer Einzelausstellung Mutating Mary präsentiert Dafna Maimon eine neue Performance, die auf den Bewegungen und Gesten ihrer Performance Wary Mary basiert, die im August 2019 im Tieranatomischen Theater in Berlin uraufgeführt wurde und den Ausgangspunkt für Maimons Installation im Künstlerhaus Bremen bildete. Die in den Zeichnungen in der Ausstellung dargestellten Figuren Wary Mary und die Inner Marys werden in dieser Performance zum Leben erweckt. Jede der Performerinnen hat ihre eigene Partitur, die innerhalb der Installation und zu einer musikalischen Komposition über einen Zeitraum von drei Stunden wiederholt im Loop läuft.
Eintritt frei!

Kuratorinnenführung mit Nadja Quante
Mittwoch, 23. Oktober, 18 Uhr

Mamma mia!
Mi, 30. Oktober / Wed, 30 October
19 Uhr / 7 pm Vortrag von / Lecture by Prof. Dr. Elena Zanichelli (DE)
Visuelle Reartikulationen von Mutterschaft in der Gegenwart / On Contemporary Visual Rearticulations of Motherhood
Event in German
Wo eine Mutter ist, da ist auch eine Familie. So selbstverständlich diese Aussage klingt, so unterschiedlich können Mutterbilder sein. Dass wir heute in einer Phase der zunehmenden Veränderung traditioneller Familienkonzepte stehen, wird oft mit der zunehmenden, neoliberalistisch geprägten Individualisierung von Arbeits- und Lebenskonzepten in Bezug gebracht. Familie wird heute umbenannt, ihr Wirkungsraum mit Adjektiven ausgedehnt – die Rede ist von erweiterter Familie, auch von multikultureller Familie. Ausgeweitet wird ‚Familie‘ sprachlich auch durch Komposita: Patchwork-Familie, Regenbogen-Familie, LGTB- Familie, multilokale und multinationale sowie multikontinentale (Welt-)Familien. Und doch: Die (Re-)Artikulation und Veränderung innerfamiliärer Werte und ihrer Funktionen im Sozialleben ist im 21. Jahrhundert selbstverständlich nicht neu. Sie ist eng verbunden mit dem vorwiegend von feministischen Theoretikerinnen in den 1970er Jahren thematisierten Konflikt zwischen Freiheit und Gleichheit, dem Privatbereich des familiären Haushalts, der Reproduktionsarbeit und der darin implizierten Arbeitsteilung. Aktuell ist zudem mit dem Konzept der sogenannten bereuenden Mutterschaft eine Kontroverse um die ‚Mutterrolle‘ entfacht.
Der Vortrag betrachtet ‚neue’ Mutterbilder als künstlerische Verhandlungen von Mutterschaft und fragt nach der Rolle einer nach wie vor umkämpften Mutterschaft im Verhandlungsfeld ‚neuer’ (Wahl-)Familienkonstellationen. Es wird deutlich, dass Muttersein nicht gleich Mutterschaft erzeugt. In Umwandlung eines berühmten Satzes von Simone de Beauvoir lässt sich heute sagen: Frau wird nicht zur Mutter geboren, sondern sie wird es erst.
Elena Zanichelli, italienische Kunsthistorikerin, Kritikerin und Kuratorin, unterrichtet seit 2018 Kunstgeschichte am IKFK (Institut für Kunstwissenschaft – Filmwissenschaft – Kunstpädagogik) der Universität Bremen. Sie untersucht Wechselwirkungen zwischen (zeitgenössischer) Kunst, Feminismus, Massenmedien, dem 'Privaten' und der Konsumgesellschaft. Sie studierte an den Universitäten Parma, Bonn und Zürich und promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin 2012. Neben den akademischen Lehrtätigkeiten, u. a. als Inter artes-Gastprofessorin an der Universität Köln 2018, wirkte sie an verschiedenen Ausstellungsprojekten wie der documenta 12 (Kassel 2007) mit. Sie kuratierte u. a. Women in Fluxus and Other Experimental Tales (Reggio Emilia 2012/13), Fake or Feint – sechs Szenarien zu taktischen Markierungen – scenario three: films und Jean-Jacques Lebel – Dada Venus (Berlin 2000). Ihr Buch Privat – bitte eintreten! Rhetoriken des Privaten in der Kunst der 1990er Jahre erschien 2015 (transcript Verlag Bielefeld). Derzeit arbeitet sie an einem Forschungsprojekt zum Thema Family Values – zur visuellen Re-Artikulation eines konfliktbeladenen Modells.
In Kooperation mit dem Institut für Kunstwissenschaft – Filmwissenschaft – Kunstpädagogik der Universität Bremen und dem Mariann Steegmann Institut. Kunst & Gender
Der Vortrag findet im Rahmen der Ausstellung Dafna Maimon: Mutating Mary statt.

Führung durch die Ausstellung
Mittwoch, 13. November, 18 Uhr

Moving Mutating Mary – Performance von Dafna Maimon
Sonntag, 17. November, 15 Uhr

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Der Eintritt zu der Ausstellung und allen Veranstaltungen ist frei!

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AUSSTELLUNG

Dafna Maimon. Mutating Mary
21.09.2019 – 17.11.2019

Eröffnung: Freitag, 20. September, 19 Uhr
Begrüßung: Nicole Nowak (Geschäftsführung)
Einführung: Nadja Quante (Künstlerische Leitung/Kuratorin)

Das Künstlerhaus Bremen zeigt im Herbst eine Einzelausstellung der Künstlerin Dafna Maimon. Maimons künstlerische Praxis umfasst Performances, Videos, Installationen und Situationen. Ihre Arbeiten befassen sich mit inkorporierten sozialen Normen und kulturellen Codes, die sie spielerisch erkundet und durch groteske Übertreibungen dekonstruiert. In ihrer Einzelausstellung Mutating Mary entwirft Maimon ein absurdes Szenario, in dem sie die historische Figur der Mary Mallon (1869– 1938), alias „Typhus-Mary“, reproduktive Ideologien und die Idee der „viralen“ Infektion in einer immersiven Installation miteinander verknüpft. Die Ausstellung ist die Fortsetzung einer Performance mit dem Titel Wary Mary, die im August 2019 im Tieranatomischen Theater in Berlin aufgeführt wurde. Für das Künstlerhaus Bremen übersetzt Maimon diese „Choreographie der Ansteckung“ in eine Installation, die Skulpturen, Kostüme, Zeichnungen, Text und Sound umfasst. Infektiöse Körperteile dringen in die Galerie ein, während Zeichnungen, Kostüme, Texte und Töne Zeugnisse über die Entwicklung vergangener Ereignisse ablegen.

Maimon hinterfragt Reproduktionsideologien und Motive weiblicher Fürsorge, indem sie körperliche und psychische Zustände überspitzt darstellt und aus dem gesellschaftlichen Kontext reißt. Die Künstlerin nimmt verschiedene Aspekte in den Blick, die die gesellschaftliche Wahrnehmung von weiblichen Körpern bestimmen: Schwangerschaft, Geburt, weibliche Fürsorge und Sorgearbeit. Maimon erkundet – auf künstlerisch-forschende Weise – Schwangerschaft als Metapher und wie unsere Gesellschaft mit dem Thema Mutterschaft, Fortpflanzungsdruck sowie Bildern vom weiblichen Körper umgeht.

Im Rahmen einer künstlerischen Recherche und persönlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Mutterschaft beschäftigte sich die Künstlerin unter anderem mit Orna Donaths soziologischer Studie Regretting Motherhood (2016), Sheila Hetis Roman Mutterschaft und Rachel Cusks biografischer Abrechnung mit dem ersten Jahr als Mutter, A Life‘s Work – Publikationen, die tabuisierte Seiten von Mutterschaft auf den Tisch bringen.

Ein weiterer Bezugspunkt für Maimons Installation ist die Geschichte der Mary Mallon oder „Typhoid Mary“ (dt. Typhus-Mary), die um 1900 in der Boulevardpresse als „die harmloseste und doch gefährlichste Frau in Amerika“ bekannt wurde, da sie als nicht erkrankte Trägerin von Typhus ihre Mitmenschen infizierte. Mallon wanderte 1883 von Irland in die USA aus. Als Köchin steckte sie unwissentlich die, für die sie sorgte, an und wurde schließlich von der Gesundheitsbehörde bis an ihr Lebensende in eine Isolierstation verwiesen. Sie war der erste bekannte Fall von asymptomatischem Typhus in den USA und hatte weitreichenden Einfluss auf die wissenschaftliche Erforschung der Ausbreitung und Diagnostik von Krankheiten. Mallons Geschichte dient Maimon als Auftakt für eine spekulative Erforschung verschiedener Dimensionen der Infektion und Zuschreibungen des weiblichen Körpers. Mallon ist in Maimons neuer Arbeit eine von vielen Marys, die die öffentliche Ordnung durch Ungehorsam bedroht.

In ihrer Ausstellung im Künstlerhaus Bremen entführt Maimon die Besucher*innen in eine Höhle, in der das Setting zugleich Abbildung und Projektion ist. Die repräsentierten Figuren sind die Protagonistinnen einer Erzählung, die sich um die Person Mary entspinnt, eine Frau mit vielen Gesichtern. Marys Gedanken, Erinnerungen und Träume verketten sich darin mit den Geschichten anderer Marys, während schwangere Körper, die Gefühle, Ängste und Begierden inkorporieren, sie umkreisen. In der raumgreifenden Installation Mutating Mary kreiert Maimon eine emotionale Landschaft und einen Raum für kritische Auseinandersetzung, in dem Humor – wie im griechischen Drama – als Mittel zur Katharsis eingesetzt wird.

Kuratiert von Nadja Quante

Dafna Maimons neue Arbeit entsteht in Kooperation mit Assemble, Berlin.

Dafna Maimon (* 1982 in Porvoo, Finnland, lebt in Berlin) studierte an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam (2002–2006), am Sandberg Institute in Amsterdam (2006–2008). Einzelausstellungen (Auswahl): Camp Solong: Almost Season, SPACE Gallery, Portland, Maine, USA (mit Ethan Hayes-Chute) (2018); Family Business, SIC Space, Helsinki (2018); Family Business: Power Failure, Kim Center Contemporary Art, Riga (2018); Orient Express, Galerie Wedding, Berlin (2017); Camp Solong: Nonstop Sunset, Sinne Gallery, Helsinki (mit Ethan Hayes-Chute) (2017); Modern Lives, Lilith Performance Studio, Malmö (2016).
Gruppenausstellungen (Auswahl): There Is Fiction in the Space Between, mit Ethan Hayes-Chute, n.b.k. – Neuer Berliner Kunstverein, Berlin (2019); Process, Performance, Presence, Kunstverein Braunschweig (2016); Berlin Art Prize, Berlin (2014); I Love You Me Either, Project Native Informant, London (2014); PS1 Sunday Sessions, New York City (2012); Things Words And Consequences, Moscow Museum of Modern Art, Moskau (2012); Based in Berlin, Berlin (2011).
Performances (Auswahl): Assemble Berlin, Tieranatomisches Theater, Berlin (2019); Interformat Symposium Humor & Absurdity, NIDA Art Colony (2019); Mahj Jewish Museum, Paris (2018); Center Contemporary Art, Riga (2018); Lilith Performance Studio, Malmö (2017); Isländischer Pavillon 53.Venedig-Biennale, Venedig (2017); Kunst-Werke Berlin (2017); Kunstverein Braunschweig (2016); Crikoteka Tadeusz Kantor Center, Krakau (2015); Center for Contemporary Art Uzajdowski Castle, Warschau (2014).