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Das Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien präsentiert die erste institutionelle Einzelausstellung der Künstlerin Darja Bajagić (*1990 Podgorica, Montenegro, lebt in New York). Ihre künstlerische Praxis umfasst Malerei, Skulptur und Video, worin sie so kontroversielle Themen wie Darstellungen von Pornografie oder Gewalt behandelt. Ihr verwendetes Bildmaterial bezieht Bajagić aus Fetischmagazinen, einschlägigen Webseiten oder Nischenplattformen im Internet. Daraus formt sie dichte und vielschichtige Kompositionen, die provokant, doch zugleich poetisch fragil wirken. Mit einer guten Prise schwarzem Humor widmet sich die Künstlerin ernsten Fragen nach dem Körper, dem Betrachtenden und visuellen Machtbeziehungen. Das menschliche Bedürfnis, Bilder für echt und beweiskräftig zu halten, spielt hierbei eine wesentliche Rolle. Zum ersten Mal zeigt Bajagić zudem eine ortsspezifische Installation, die sich mit der Architektur des Ausstellungsraumes auseinandersetzt.

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Wir leben in einer Welt, in der wie nie zuvor die Lüge als Wahrheit verkauft wird. Egal, was in den Medien gesagt wird, die Menschen glauben es blind. Es ist eine Welt, in der man, sagt man die Wahrheit, im Gefängnis oder auf dem Friedhof landen kann. Die Wahrheit ist nicht populär. Die Wahrheit ist oft schwer zu schlucken. Wer daran geht, die Wahrheit und die Ursachen dieser Dekadenz zu suchen, betritt eine unermessliche und undurchdringliche Dunkelheit. Und dennoch gibt es Antworten. Bloß findet man sie nicht in den Mainstream-Medien. Das Internet ist Schatztruhe und Müllkippe zugleich. Für alle, die sich der Wahrheit verschrieben haben, ist es jedenfalls unersetzlich.

In ihrer ersten großen Einzelausstellung springt Darja Bajagić (geboren 1990 in Podgorica, Montenegro, lebt in New York) mitten in das trübe Wasser, in dem echte und inszenierte Gewalt ineinander übergehen – und sie tut das mit einer verstörenden und gleichzeitig äußerst charmanten Lockerheit. Dieses Thema schwang bereits in ihrem bisherigen Werk, das von Malerei über Skulptur bis zu Videos und Installationen reicht, als wichtiger Unterton mit. Mit einer Vorliebe für Randgruppenreize bezieht die Künstlerin ihre Bildwelten aus zwielichten Fanzines, Reality-Crime-TV, Fetisch-Sex-Webseiten, obskuren Internetforen und geheimen Chatrooms, die tief im Dunkel des Netzes verborgen liegen. Das heterogene Quellmaterial wird dann mit einer guten Prise Humor zu vielschichtigen Kompositionen verdichtet, die provokant, aber auch poetisch fragil wirken. Mit ihnen untersucht Bajagić bedeutsame Fragen nach dem Körper, Voyeurismus und visuell vermittelten Machtverhältnissen, ohne dabei unser großes Bedürfnis außer Acht zu lassen, den Bildern einen Wahrheitsgehalt zuzubilligen.

Die Anzahl der Opfer in „Unlimited Hate“ ergibt sich aus der eigenwilligen Zusammenstellung von Frauen, die – gleichsam zu Büsten ausgeschnitten – nicht nur an Schnipsel aus Fanzines, sondern auch an die Flachheit byzantinischer Ikonen erinnern. So zum Beispiel „Manuela Ruda & Sophie Lancaster“ (2016), ein Diptychon aus gefundenen Porträts von Manuela Ruda und Sophie Lancaster. Erstere ist eine selbsternannte satanistische Mörderin, die im deutschen Witten gemeinsam mit ihrem Mann dessen sanften Arbeitskollegen, einen Beatles- Fan, auf Anweisung Satans mit 66 Mes- serstichen töteten (das Pärchen gab später zu Protokoll, dass sie ihn für das Opferritual ausgewählt hätten, weil er „so lustig war, dass er sich perfekt als Hofnarr des Satans eignete“). Lancaster war – ganz im Gegensatz dazu – jene Zwanzigjährige aus dem englischen Lancashire, die 2007 von fünf Jugendlichen zu Tode geprügelt wurde, weil diese von ihrem und ihres Freundes „Gothic“-Look in unerklärliche Rage gebracht worden waren.

Zu „Manuela und Sophie“ gesellen sich fünf Versionen von Molly („Molly 1 – 5“, 2016). Das ist die Gründerin und zugleich das Pin-up-Girl der Wahl eines seit Langem erscheinenden, politisch rechten Internet-Magazins, das sich Interviews mit Black- und Death-Metal-Musikern verschrieben hat. Auf seinen Seiten tummelt sich eine bunte Mischung aus Pornofotos, okkulten Symbolen, Berichten und Gedichten. Vor bemalten Leinwänden, die an verprügelte blutige Leiber gemahnen, bildet jede „Molly“ einen „Blutspringbrunnen“, der, wenn man einen Bewegungssensor auslöst, wie eine dauervergewaltigte Profan-Madonna aus allen Wunden zu bluten beginnt. In einem Nebenraum sind Video-Interviews mit Models aus der Alternativszene zu sehen, die Bajagić auf Craigslist ausfindig gemacht hat. Auf ihre manchmal banalen, manchmal aber auch bedrohlichen Fragen antworten diese Frauen alles Mögliche – vom Belanglosen bis zum Existentiellen. Das Resultat sind Beichten der Beliebigkeit, die soviel offen lassen wie sie enthüllen.

Wenn auch schemenhaft, so hängt doch über allen Bildern Bajagićs immer ein Schleier der Gewalt. Täter und Opfer verfließen untrennbar ineinander, stellt die Künstlerin sie doch neutral und dabei ungeschönt dar. Das Trauma echter Verbrechen sickert durch die rituell inszenierte Theatralik. Individuelle Ängste vermischen sich mit sexuellen Phantasien. Narben auf Körpern verweisen auf Wunden – oder äffen diese nach, als seien sie unbeabsichtigtes malerisches Dekor. Seit jeher, von ihren ersten intimen Collagen pornographischer Bilder bis zu den späteren Fetisch-Frauenakten vor monochromem Hintergrund – zeichnet sich Bajagićs Kunst durch diese Methode aus. Immer wieder offenbaren ihre abtrünnigen Figuren eine narrative Bedeutung und verdecken diese zugleich. Vor Kurzem hat die Künstlerin diese Methode der Dar ja Ba jagić Unlimited Hate Provokation als „leer“ bezeichnet, und zwar nicht, weil sie die individuellen Hintergründe und Geschichten jener Frauen negieren will, sondern einfach um damit ihre persönliche Darstellungsart zu unterstreichen, die neuen Betrachtungsweisen und BetrachterInnen gegenüber stets offen bleibt. So beschäftigt sich Bajagić nicht so sehr mit dem Pornographischen als mit dem Obszönen, dem an den Rand Gedrängten, das sie neu aufzäumt, um ein Licht auf die komplizierten Netzwerke und Gemeinökonomien zu werfen, die die Bildwelten von heute bestimmen. Vielleicht gelingt es der Künstlerin ja damit, dem berühmten Diktum der MinimalistInnen „was du siehst, ist, was du siehst“ eine neue Bedeutung zu verleihen. Im Zeitalter virtueller Informationsnetzwerke zählt mehr denn je das ‚Unsichtbare’ – ein nebuloser Horizont, an dem sich die gescheiterte Befreiungsutopie des Internet mit polymorphen und gefährlich obskuren Reizen vermischt.

In der mittelalterlichen Überlieferung ist das Blut eine aktive Substanz, deren Macht darauf beruht, dass sie flüssig ist. Unheimlicher Weise ist Blut also körperlich und körperlos zugleich. Bajagić erkennt diesen proteischen Charakter und zieht ihn als Leitmotiv durch ihre gesamte Installation, inklusive einer neuen Serie von Gemälden. Hereditäre Blutlinien, Blutrituale und Blutspuren verweisen auf wunde Körper, institutionalisierte Gewalt und politisierte Konflikte. Gleichzeitig evoziert die Künstlerin ein langes kunsthistorisches Erbe, das von Darstellungen religiöser Martyrien über die lange Genealogie des weiblichen Akts bis zum aktuell im Schwange befindlichen Gestischen reicht. Das wird durch kryptische Slogans unterstrichen und durch die Bildtitel hervorgehoben („undeRage headless goatriders“, 2016; „I am not dead yet“, 2016). Fast wie Tabs in einem Browser-Fenster können sich diese Beziehungsstränge, in frontalen Kompositionen in Schwebe gehalten, lüsternen Blicken offenbaren. Wenn ihre Nuancen lange genug angesehen werden, erscheinen sie als Wechselspiel von Oberflächen, die aneinander reiben. Wie Haut auf Haut. Franklin Melendez