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Contemporary Fine Arts freut sich, die zweite Einzelausstellung mit Werken von Dash Snow (1981-2009) vorstellen zu dürfen. Mary Blair Hansen vom Dash Snow Archive kuratierte die Ausstellung, die aus zwei Komponenten besteht: einem Film und einer Auswahl von Original-Polaroids.
     Snow archivierte circa 8.000 seiner Polaroids, zeigte zu seinen Lebzeiten aber nur drei Mal einzelne Gruppen der Originale (den meisten sind sie durch 147 gescannte und vergrößerte C-Print Editionen bekannt). Die Polaroids waren Dash Snows „Eintritt“ in die Kunstwelt und wurden der Legende nach von ihm gemacht, um Erlebnisse zu dokumentieren, an die er sich aufgrund seines Rauschzustandes sonst nicht erinnern könnte. In diesem vermeintlichen Sensationalismus scheint durch die schockartigen Bilder immer Snows nostalgischer und liebevoller Blick durch. In vielen Polaroids taucht der Künstler selbst auf und wird damit gleichzeitig zum Verwalter und Subjekt seiner Bilder.   Die hier gezeigten Werkgruppen (insgesamt über 200 Original-Polaroids) zeigen die Breite der Erlebnisse, die der Künstler fast zwanghaft dokumentierte. Vom Banalen zum Extremen, vom Melancholischen zum Ekstatischen – jede Photographie scheint eine Facette der bizarren Erfahrungen des Künstlers wiederzugeben. Es ist dabei nicht unwesentlich, dass er um die Zeit von 9/11 (als Snow 20 Jahre alt war) begann, diese Polaroids zu machen. All die Bilder von Snow und seinen Freunden, wie sie Graffitis sprayen, mit Gewehren um sich schießen, herummachen und Kunst machen, vermitteln uns ein umfassendes Bild von der Hemmungslosigkeit, die seine Gruppe nach den Anschlägen antrieb.   In diesen Aufnahmen tritt auch Snows Fähigkeit zutage, seine Umgebung genauestens wahrzunehmen und sich dabei selbst in die unpässlichsten Situationen einzuschleichen, die Kamera stets schussbereit. Manchmal sind dies Momente des Elends und Ekels, die viel zu flüchtig erscheinen, um sie einfangen zu können: ein Sturz, ein Erbrechen, ein primitives Starren. In anderen Beispielen hält er in unverfrorener Manier seine eigenen sexuellen Begegnungen und die anderer fest. Dieses Gefühl des unbefugten Eindringens in die Privatsphäre ist auch bei seinen Porträts der „Schläfer“ präsent. Snows eigenes Bewusstsein verbindet sich darin eng mit der Bewusstlosigkeit der Porträtierten – seien es Obdachlose auf den Straßen oder seine engsten Freunde und Geliebten. Die jeweiligen Gemütsregungen der Schläfer (friedlich, ohnmächtig, entstellt, trübselig, wunderschön) spiegeln sich in ihrem wachsamen Betrachter.   Snow erweitete sein Werk rasch von den Polaroids, mit denen er seine künstlerische Laufbahn begonnen hatte, hin zu Collagen, Skulpturen, Installationen und schließlich Super 8 Filmen wie Familae Erase (2008), der hier gezeigt wird. Der Film wurde im Jahr vor seinem Tod gedreht und wirkt vordergründig wie eine harte, unbehagliche Aufdeckung der Probleme, die der Künstler bekanntermaßen hatte: seine Drogenabhängigkeit und die komplizierte Beziehung zu seiner prominenten Familie.   Bei näherer Betrachtung des Aufbaus des Films ist darin jedoch eine Art Generalschlüssel zu Snows gesamten künstlerischem Schaffen erkennbar. Das Stück wurde gänzlich „in-camera“ (also im privaten Raum) gedreht, nur mit den Stopps und Starts des Aufnahmeprozesses selbst. Diese Herangehensweise veranschaulicht auf perfekte Art und Weise die gnadenlose Direktheit, die er über die jeweils ausgewählten Medien hinweg beibehielt. Expliziter als irgendwo sonst in Snows Oeuvre sehen wir ihn in Familae Erase den überwältigenden und poetischen Prozess vollführen, der sein Werk charakterisiert: die selbstgemachten Effekte mit Blut, Glitzer und Licht; die für Collagen verwendeten Materialien, Bücher und Pornographiehefte, die um ihn herum wirbeln und beginnen, sich nebeneinander aufzureihen; die rituellen, sich steigernden Handlungen in deren Konsequenz aus verfallenen Materialien eine Skulptur entsteht. Wir sehen ihn ein gothicartiges, irrationales Melodrama darstellen, das sich genauso gut in einem Innen- wie in einem Außenraum abspielen könnte.   Es ist die Nichtanerkennung der üblichen Ordnung, dessen was verborgen und was offenkundig ist, die Snows Werk ausmacht. So sehr wie Familae Erase ein Porträt sein mag, ist es ebenso die „Missachtung“ eines Portraits. In bestimmten Momenten scheint Snow sich in seiner Verwundbarkeit selbst zur Schau zu stellen, als Akteur in seinem eigenen Kunstwerk. In anderen blicken wir über seine Schulter hinweg direkt in den Brennpunkt seiner künstlerischen Handlungen hinein. In wieder anderen wird unser Blickwinkel durch Finsternis und Unklarheit irritiert und damit zwangsläufig abstrahiert. Diesem Prozess vergleichbar verändert auch auf den Polaroids die Handlung ständig ihre Richtung. In anderen Bildern wiederum wird unser Blick geradewegs auf Snow gerichtet, da er sich darin bewusst präsentiert. Anderswo trifft unser Blick, als Snows Blick, auf die Gesichter seines Gegenübers. Sie lächeln ihn an und damit uns, die zukünftigen Betrachter – uns vielleicht von unserer nur vermeintlichen Wahrnehmung von Wahrheit überzeugend.

Kuratorin: Mary Blair Hansen

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Dash Snow