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„Wir alle haben wohl schon das Gefühl kennengelernt, das uns gelegentlich überkommt, als wäre schon etwas schon lange, lange vorher gesagt und getan worden, als hätten wir in altersgrauer Zeit dieselben Gesichter, Gegenstände und Verhältnisse erlebt und wüßten genau, was im nächsten Augenblick geschehen wird, - ebenfalls aus alter Erinnerung her“. Dies lässt Charles Dickens David Copperfield im gleichnamigen Roman sagen (Zürich: Diogenes 1982, S. 502) und beschreibt dabei die wesentlichen Komponenten eines «déjà vu».

Alle Menschen kennen Déjà vu-Erlebnisse. Déjà vu-Erlebnisse lassen sich als paradox erlebte Eindrücke charakterisieren, in denen neuartige Situationen in einer Weise erlebt werden, so als seien sie bereits geschehen. Obschon Aktuelles und Unerwartetes erlebt wird, wähnt man für Augenblicke, das Erfahrene genau zu kennen und schon einmal durchlebt zu haben. Solche Momente des Sehens und der unerwarteten Hellsichtigkeit dauern bloß Bruchteile von Sekunden und sind dennoch in besonderer Weise eindringlich und nachhaltig.

Geschichten und Geschichte überlappen sich in diesen Momenten des irreführenden Erkennens, die Vorstellung einer strikten Zeitenfolge hebt sich dagegen auf. Déjà vu-Erlebnisse beeindrucken gerade durch die Diskrepanz, mit der die Gegenwart sich als Vergangene eröffnet und das Vergangene als gegenwärtig erlebt wird. Als simultane Doppelwahrnehmungen sind sie auch deutlich unterschieden von anderen Formen der Erinnerung. Über gewöhnliche Erinnerungsvorgänge kann vergangen Erlebtes aufgerufen oder assoziativ aktualisiert werden. Déjà vu-Erlebnisse zeigen uns hingegen, wie Zeiten verschmelzen, Vertrautes täuschend und die Trennung von Außen- und Innenwelt irritiert werden kann. Darum umgibt solche Erfahrungen auch eine verwirrende Aura. Es sind wie die Liebe-auf-den-ersten-Blick, die dem «déjà vu» so verwandt ist, beunruhigende oder begeisternde Erkennens-Szenarien des Lauschens, Ahnens und Schauerns.

Es mag nicht erstaunen, dass derartig subjektive und persönliche Erlebnisse keine analytische Sichtung erlauben. Auch die Forschung, die erstaunlicherweise erst am Ende des 19. Jahrhunderts einsetzt, baut fast ausschließlich auf phänomenologischen Studien auf. Am besten aufgehoben scheint das «déjà vu» in der Kunst. Denn in der Kunst und insbesondere im Bild findet das Wiederholungsspiel des «déjà vu» besondere Gelegenheit, sich auszudrücken. Besonders das medial produzierte Bild kann als eine Form des «déjà vu» unter umgekehrten Vorzeichen gelesen werden. Die Fotografie, die in ihrer Massenverbreitung nahezu gleich alt ist wie die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema, entsteht bekanntlich über den Blick in das Objektiv, der durch den Moment der Belichtung auf einer lichtempfindlichen Fläche bewahrt wird. Das Déjà vu-Erlebnis gleicht einer Umkehrung der Belichtung, indem ein gespeichertes Bild für Sekundenbruchteile wie durch einen inneren Auslöser wieder gegenwärtig werden lässt.

Es ist der Augenblick der Nachträglichkeit, der Foto und Erinnerungstäuschung ähnlich macht. Zudem sind Überraschung und Wiedererkennen, die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart, Anwesendem und Abwesendem, Sehen und Erinnerung, wie sie sich im «déjà vu» artikulieren, Metaphern für das Bildermachen schlechthin.

Die Ausstellung versammelt ausschließlich Positionen der Gegenwartskunst. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog von etwa 150 Seiten mit umfangreichen Bildteil und einem Text von Henri Bergson, Georges Didi-Huberman (angefragt), Heike Maier-Rieper und Thomas Trummer.

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Déjà vu
Konzept: Thomas D. Trummer

Künstler: Anna Gaskell, Isabell Heimerdinger, Constantin Luser, Jan Mancuska, Martina Steckholzer, David Thorpe, Clemens von Wedemeyer