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Dem Bild gegenüber
22.10.2017 – 28.01.2018

Im Fokus der Ausstellung stehen der Moment der Wahrnehmung von Kunst wie auch die Beziehung, die sich zwischen einem Kunstwerk und seinem Gegenüber ergeben kann. Die Beurteilung von Kunst ist zum einen von ihrer wissenschaftlichen Erforschung, zum anderen von der Anerkennung durch öffentliche und private Museen und Sammlungen abhängig. Klassischerweise wird ein Werk mit Blick auf Intention der Künstlerin/des Künstlers untersucht und durch ikonografische und stilistische Vergleiche sowie rezeptionsgeschichtliche Fragen kontextualisiert. Bei der Betrachtung von Kunst geht es jedoch nicht nur um Stilkritik, Form- und Gattungsanalyse, um Geschmacksurteile und Ermittlung von Bedeutungen, sondern vor allem auch um ein individuelles Erleben, das mit dem Kunstwerk verbunden ist. Das Delegieren des Blicks sowie des Gehörs bei der Darstellung des Schönen, des Leids, des Verwerflichen oder des Grauens – allesamt Erfahrungen, die individuell sehr unterschiedlich empfunden werden können – bezieht sich dabei immer schon auf eine spezifische Form von Geschichtlichkeit. Ausgehend davon, dass Kunst nicht aus sich selbst heraus entsteht, folgt die Ausstellung dem Gedanken, dass das, was zwischen Betrachterin/Betrachter und Werk passiert, Teil einer Geschichte der Leidenschaften ist.

In diesem Sinne möchte die Ausstellung die Perspektive darauf lenken, was der flüchtige, schwer fassbare, individuell oder kollektiv erlebte Augenblick der Betrachtung von Kunst bewirken kann. Wie verhalten sich erlebte Zeit und historische Zeit zueinander? In welchem Verhältnis stehen Ereignishaftigkeit und Dauer, Traditionsbewusstsein und Traditionskritik? Wie verbinden sich gesellschaftliche Wertvorstellungen und individuelle Affektivität? Und welche Inszenierungsstrategien werden dabei wie eingesetzt? Eine wesentliche Voraussetzung für die Wirksamkeit von Kunst ist von künstlerischer Seite das Aufgreifen und die Wiederverwendung von kanonisierten Texten, Bildern oder auch Tonsequenzen – ein gestalterisches Verfahren, das vonseiten der Betrachterin/des Betrachters ein entsprechendes Verständnis für die Motivverwendungen voraussetzt. Darüber hinaus kann im Moment der Betrachtung von Kunst aber auch eine (weitgehend unbewusste) Leidenschaft ausgelöst werden, die Aufschlüsse über Tabus oder Rituale sowie über Bild- und Objektkult in Gegenwart und Geschichte zulässt.

Die Ausstellung widmet sich einem Themenspektrum, das mit Begriffen wie „Abwesenheiten“, „immaterielle Zonen“, „Körperlichkeiten“ und „Innen/Außen“ umschrieben werden kann. Es lag nahe, Kunstwerke aus unterschiedlichen Jahrhunderten zu präsentieren. Die ausgewählten Künstlerinnen und Künstler arbeiten mit den Verfahren des Zitats und der Montage, mit historischen Figuren, mit fiktionalen, zum Teil autobiografisch motivierten Erzählungen, mit analogen und digitalen Verfahren und mit Installation. Die Ausstellung thematisiert keine medien- oder gattungsspezifischen Aspekte, sondern fragt vielmehr, welche formalen und materiellen Beziehungen in welchen Verbindungen welche Wirkungen entfalten und welche Inhalte sie mitbringen.

Die Ausstellung präsentiert Kunstwerke von Francis Bacon, Georg Baselitz, Rudolf Belling, Laurenz Berges, Giovanni del Biondo, Christian Borchert, Janet Cardiff, Nardo di Cione, Björn Dahlem, Marlene Dumas, Werner Fechner, Lucio Fontana, Vilhelm Hammershøi, Hannah Höch, Leonhard Kern, Yves Klein, Hans Leinberger, Herbert List, João Louro, Lorenzo Monaco, des Meisters von Osnabrück, Isaak van Nickelen, Sigmar Polke, Angelo Puccinelli de Lucca, Neo Rauch, Yael Reuveny, Gerhard Richter, Pietro Antonio Rotari, Thomas Ruff, Salomon van Ruysdael, Thomas Struth, Franz von Stuck, Wilhelm Trübner, James Turrell und Clemens Walter.

Ein reich bebilderter Katalog in deutscher, englischer und niederländischer Ausgabe vertieft und ergänzt die einzelnen Themenbereiche.