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Eröffnung am Freitag, 26. Juni, 19 Uhr.
Einführung Prof. Dr. Horst Kopp (1. Vors. Arabisches Museum Nürnberg e.V.)

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Scheich Ramadan Abu Suelem

1924 in Oberägypten geboren, arbeitete er auf dem von seinem Vater übernommenen Besitz als Obstbauer. Seine jährliche Ernte verkaufte er an Großhändler. Er trainierte Araberpferde für den traditionellen Pferdetanz und interessierte sich sehr für die mündlichen Überlieferungen seines Stammes, was für seine Bilderzählungen eine entscheidende Rolle spielt. Als er 40 Jahre alt war, wählten die Männer des Stammes der Suelem ihn zu einem ihrer Anführer. Dass er etwas lesen und schreiben konnte, weil er zwei Jahre lang eine Koranschule besucht hatte, spielte dabei eine Rolle, ebenso, dass er für die damaligen dörflichen Verhältnisse wohlhabend war. Abu Suelem war verheiratet. Aus der Ehe gingen fünf Söhne und zwei Töchter hervor. Am 5. Oktober 1998 starb er.

Als Künstler verstand der Beduinenscheich seine Gegenwart in Begriffen und Bildern einer mythischen Vergangenheit. Seine Kompositionen sind von einem verschwenderischen erzählerischen Reichtum. Es sind freie Nacherzählungen der Geschichten der Pharaonen, religiöse Parabeln und Szenen, in denen das Leben der Fellachen oder Beduinenbräuche dargestellt sind, also Alltagsszenen oder Hochzeiten und andere Feste. Die Vergegenwärtigung der alten Erzählungen impliziert den Willen, deren Ethos in der Lebenszeit des Künstlers wiederaufleben zu lassen, schrieb Marie-Thérèse Abdel-Messih von der Universität Kairo im Oktober 1998.

Die Zeichnungen vereinen Überlieferungen aus pharaonischer Zeit mit koptischen, islamischen, orientalischen und afrikanischen Einflüssen. Man fühlt sich bei den gleichermaßen an Figuren wie an Ornamentalem reichen Blättern erinnert an Miniaturmalerei oder sogenannte Wimmelbilder und denkt natürlich an Märchenerzählungen. Die Kleinteiligkeit der Kompositionen wird ausbalanciert durch ihre hochgradige Symmetrie; fast immer folgen sie einem geometrischen Grundmuster. Nach eigener Aussage sah Ramadan Abu Suelem alle seine Kompositionen mehr oder weniger vollständig vor seinem inneren Auge, bevor er mit dem geduldigen Zeichnen und Malen begann. In seinen frühen Jahren malte er ausschließlich mit einem Stöckchen, einem zerkauten Dattelstengel, mittels dessen er die irgendwelche Farben von den Daumenkuppen wegnahm. Später standen ihm neben Kugelschreibern, Blei- und Filzstiften auch Goauchefarben zur Verfügung, weshalb die Zeichnungen leuchtender wurden.

Ohne die Ermutigung durch Ursula Schernig, die in Kairo in den 1980er Jahren als Galeristin für ägyptische und sudanesische Kunst arbeitete, und die Ramadan Abu Suelem mit gutem Papier und Malstiften versorgte, gäbe es sicherlich nicht den umfangreichen Nachlass. Durch ihre Hilfe fand ein Autodidakt wie er leichter die Möglichkeit, eine eigene Sprache zu entwickeln. Nicht erst posthum hat sein Werk einen hohen Stellenwert innerhalb der Outsider Art (Art Brut bzw. Kunst von self-taught artists) bekommen. Zu Lebzeiten war er definitiv der bekannteste Art Brut-Künstler Ägyptens. Aber in seinen Anfängen hatte er heimlich gemalt, weil sich das für jemanden seines Standes nicht schickte. Erst mit zunehmendem Erfolg wuchsen der Stolz seines Dorfes und der Männer der Suelem auf seine künstlerischen Fähigkeiten. Auf die Frage, warum er male, erklärte Scheich Ramadan Abu Suelem, Gott treibe ihn dazu. Eine Aussage, die in erster Linie als Rechtfertigung den Dorfbewohnern und seinem Clan gegenüber diente, und nicht der Mystifizierung des eigenen Tuns galt.

Ursula Schernig sagt über ihn: „In der Darstellung wechselt er zwischen religiösen und profanen Inhalten, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Fantasiewelten und dem realen Leben. Oft verweben sich mehrere Aspekte. Er gestaltet Visionen vom idealisierten Zusammenleben der Menschen und ihrem harmonischen Umgang mit der Natur. Sensibel vermischt er Koran-Geschichten, Legenden und ägyptische Bräuche. Und er fügt immer Persönliches hinzu. Viele seiner Bilder sind akribisch fein gemalt. Sie werden durch Arabesken, geometrische Figuren und andere reiche Ornamentik belebt, so dass sie die Textur wertvoller Stoffe, kostbarer Stickereien oder feiner Teppiche annehmen, wie die Arbeiten eines excellenten orientalischen Webers. Und sie sind erfrischend unsentimental.“

Die erste Ausstellung hatte Ramadan Abu Suelem 1984 im Goethe-Institut in Kairo. Später folgten viele Ausstellungen in Ägypten und in Europa, bspw. im ifa-Institut in Stuttgart, der Collection de l‘Art Brut in Lausanne, der Slovakischen Nationalgalerie in Bratislava, die ihm ihr Ehrendiplom verlieh, im IWALEWAHaus in Bayreuth oder im Kunstverein Rosenheim. Für die Ausstellung 1989 in Stuttgart reiste er, der sonst sein Dorf nur verlassen hatte, um die Moulids zu besuchen (die volksfestähnlichen Heiligenfeste in Kairo), erstmals nach Europa.

Hans-Peter Miksch