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Eröffnung: Donnerstag, 21. Februar 19-21 Uhr

„Die gestundete Zeit“ ist ein berühmtes Gedicht von Ingeborg Bachmann (1926-1973). Für den gleichnamigen Gedichtband erhielt sie 1953 den Literaturpreis der Gruppe 47. 20 Jahre später kam sie auf tragische Weise durch einen Brand in ihrer Wohnung in Rom ums Leben.

Bachmanns Gedicht trägt eine dunkle, existenzialistische Note. Es ist ein Zeugnis von Entfremdung und Verlust angesichts der totalen Katastrophe, aus dem eine harte Melancholie und starke, eigensinnige Wahrhaftigkeit sprechen. Getaktet durch streng reduzierte und zugleich symbolisch aufgeladene Parameter wie Zeit und Licht, Meer und Horizont, klingen die Stimmung und Motive des Textes bei Bildenden Künstlern der jüngeren Generation und einigen ihrer wiederentdeckten Vorläufer heute wieder an. Ein Phänomen, das weniger mit Nostalgie oder Pessimismus zu tun hat als vielmehr mit einem Gefühl für das urmenschlich Tragische – was zugleich in vielen Werken spielerisch konterkariert wird.

So sind Björn Dahlems feingliedrige Skulpturen von einer schräg-spirituellen Poesie, deren Verbindung zu Astronomie und Spiritualität Ausdruck für die Suche nach Antwort und den Glauben an Höheres sind. Katja Strunz’ Metallfaltungen verbreiten mit ihrem morbiden Anklang an die klassische Moderne ein Gespür für Verfall und Müdigkeit. Vlatka Horvat greift mit ihren filigranen, von Widersprüchen durchzogenen Minimal-Objekten auf Sisyphos zurück, den Albert Camus einen „glücklichen Menschen“ nannte. Bei Rosa Barba und Eli Cortinas ist Film ein Medium, in dem Sprache, Licht oder Farbe zu Trägern einer romantisch-konzeptuellen Erzählung werden. Jamie Isensteins performative Skulpturen haben einen spielerischen Hang zum Surrealismus. Franz Erhard Walther überlässt mit textilen, benutzbaren Wandformationen alle Phantasie dem Betrachter. Die Melancholie in den narrativen Bildwelten von Marcel Dzama und Ronny Lischinski kippt von zarter Rätselhaftigkeit immer wieder ins Humorvolle, während die Fotografien Luigi Ghirris von sanftmütiger, fast metaphysischer Ironie getragen werden. Dagegen biegen sich die dunklen Formulierungen von Thomas Zipp und Gregor Schneider auf absurde, fast schon psychotische Weise in den Abgrund – so wie man in den 1950er-Jahren vom „Menschen ohne Geländer“ sprach.

Tatsächlich hat der geistige Entstehungskontext des Gedichts – Zero, Informel, Zweite Moderne, Existenzialismus – in letzter Zeit verstärkt Aufmerksamkeit erfahren. Atomzeitalter, Raumfahrtära, Nachkriegszeit und Kalter Krieg: Der Mensch am Nullpunkt suchte einerseits nach zukunftsweisenden Utopien, anderseits nach dem „wahren Selbst“ der Vormoderne – was Martin Heidegger, über den Bachmann promovierte, die „Eigentlichkeit“ nannte. Ein ähnliches Verlangen ist heute wieder spürbar – wobei der Sinn für das Tragische, mit all seinem erhebenden Potential, oft argwöhnisch beäugt oder pathetisch durchtränkt wird. Wo dies nicht der Fall ist, schlägt sich gelegentlich ein poetisch-reflektierter Grundton nieder, wie er sich auch von Bachmanns Gedicht ableiten lässt. Die Ausstellung bringt auf assoziative Weise zeitgenössische Formen von Film, Skulptur, Collage, Fotografie, Installation und Malerei zusammen, die diesem Grundton auf vielfältige Weise Ausdruck verleihen.

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Die gestundete Zeit
Kuratorin: Gesine Borcherdt

Künstler: Rosa Barba . Eli Cortinas . Björn Dahlem . Marcel Dzama . Luigi Ghirri . Vlatka Horvat . Jamie Isenstein . Ronny Lischinski . Gregor Schneider . Katja Strunz . Franz Erhard Walther . Thomas Zipp