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Medialisierung, Individualisierung und Kommerzialisierung bringen eine stetig wachsende Vielfalt jugendlicher Szenen hervor. Girlies, Greaser, Hooligans, Rapper, Raver, Streetballer, Trainsurfer, Traceurs oder Yamakasis sind nur einige der disparaten „artificial tribes“, denen sich Jugendliche heute angehörig fühlen. Während im kalten Krieg der Jugendkulturen noch zwischen übersichtlichen Alternativen wie Punk oder Pop entschieden werden musste, durchlaufen Jugendliche heute in der Regel eine ganze Reihe von Szenen. Die Ausstellung zeigt die aktuelle künstlerische Auseinander setzung mit den unterschiedlichen Lebenswelten von Teenies, Twens und postadoleszenten „Thirty Somethings“, deren jugendkulturelle Erfahrungen oft in das Familien- und Berufsleben hinein reichen. Die 160 Werke von fünfzig international tätigen Künstlern wie der Vertreterin der Young British Art Tracey Emin, des amerikanischen Fotografen Philip-Lorca diCorcia und einer großen Anzahl von Newcomern thematisieren die Einflüsse der Jugendkultur auf die ästhetischen wie politischen Bereiche der Gesellschaft.

Die Ausstellung „Die Jugend von heute“ wird von Sireo Real Estate Management GmbH unterstützt. Zusätzliche Unterstützung erfährt sie durch die Mondrian Foundation, The British Council, die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika und die Botschaft von Kanada in Deutschland.

Matthias Ulrich, Kurator der Ausstellung: „Anstatt nach 'Generation Golf' oder 'Generation Reform' einen weiteren Typus anzubieten, geht es in der Ausstellung vor allem darum, die Verbindungen und Brüche der Jugend und ihrer unterschiedlichen Lebenspraktiken ausfindig zu machen und von da aus heterogene Wege in die erwachsene Phase zu öffnen. Die Werke der Ausstellung spiegeln in ihrer Thematik und Ästhetik das breite Spektrum von Optionen, welches das Lebensgefühl der Jungen von heute im positiven wie im negativen Sinn prägt.“

Die immense Vielfalt jugendlicher Szenarien, Stile und Genres spiegelt ein chaotisches und ambivalentes Feld jugendlicher Kulturproduktion. Der Kosmos der heranwachsenden Generation wird von einer multimedialen Informationsflut begleitet, die ihr wie eine zweite Natur anhaftet und frühere Widersprüche aufzulösen scheint. Der Generationenkonflikt bleibt aus, und die „Thirty Somethings“ verfügen über die scheinbar gleichen Codes wie die Teens und Twens - sei es in der Sprache, in der Musik oder der Kleidung. Das Uni-Sex-Label deterritorialisiert nicht nur differente Körper und Geschlechter. Es gehen daraus auch andere Identitätsbildungsstrategien hervor, die neue gesellschaftliche Zusammenhänge - Gemeinschaften, „communities“, urbane Räume - ermöglichen. Wie sieht also die gegenwärtige Neuordnung des (sexuellen, soziokulturellen, urbanen) Subjekts aus? Was folgt aus der Autonomie der Geschlechter, der Zerstörung überkommener Rollenbilder und der Selbstbestimmung und -entwicklung entsprechender Praktiken?

Die häufig mit Jugend assoziierte Rebellion - gegen die Eltern, die Erwachsenen, die Werte, den Staat - setzt sich in der Multioptionalität einer offenen Gesellschaft fort. Skater gegen Hippies, Punks gegen Streber, Raver gegen die Nacht und alle zusammen gegen den Krieg. Die einst erstrebenswerten und zeitlosen Ideale fallen auf Menschenmaß und Menschenzeit zurück. Was sich zeigt in diesem Verlust, ist eine Neuformierung des Menschen als postmodernes, fragmentiertes Subjekt. Wieder sind es die künstlerischen Mittel der Collage und Assemblage, verfeinert durch computergestütztes Sampling, Animation und Bildbearbeitung, die eine heterogene „neue“ Welt zu erzeugen erlauben. Wuchernde Environments und Installationen, wie beispielsweise das „Funny Farm“ genannte Atelier der Künstlerin Laura Kikauka, reflektieren die komplexen Sinnzusammen hänge und erzeugen singuläre, sich selbst generierende Möglichkeitswelten, in denen Comic und psychedelische Holografie, Punk und sexuelles Begehren koexistieren.

Die Ausstellung geht des Weiteren der in unterschiedlichen jugendkulturellen Lebenswelten vorherrschenden Frage nach dem Zusammenhang von Individuum und Gruppe sowie der Selbst positionierung der Jugend in der Gesellschaft nach. Der Club dient hierbei als ein mehrschichtiges Kräftefeld, in dem es sowohl um eine eigene Sprache - um Sprachlosigkeit als eine andere, körperliche Sprache - als auch um einen autonomen, freigestellten Raum geht, der die politischen, sexuellen und ästhetischen Utopien zusammenführt. Hedonismus als die Leitfigur der Clubkultur der 90er Jahre gewinnt seine Bedeutung in der erneuten Abwehr intellektueller Dominanz und dem Subversiven des Körpers. Dieser erscheint als Oberfläche, als beschreibbare und wieder beschreib bare Fläche, auf der sich Zeichen frei formieren und die persönliche Identität konstituiert. In einer Fülle von Arbeiten wird dieser veränderte Körper reflektiert und in einem klaustrophobisch anmutenden Umfeld wiedergegeben. Werke von Pierre Huyghe und Collier Schorr behaupten diesen Kontrast zwischen körperlicher und räumlicher Topologie ebenso wie die „Teenage Geography“ von Mike Paré und die reaktionären Menschenaffen von Bjarne Melgaard.

Pose und Verwandlung zählen zu den traditionellen Übungen der Aneignung von Erwachsenen bildern bzw. der Rebellion gegen diese. Sie können gleichzeitig auch die Rekonstitution der Persönlichkeit und Individualität der Jugendlichen bedienen, insofern sie als Strategien der Unterscheidung von Erwachsenen eingesetzt werden. Nicht weniger wird dadurch allerdings die Bedeutung der Pose oder Verwandlung ausgehöhlt, sie wird zu dem, was Rosalind Krauss einen „shifter“ nennt, d. h. eine semantische Hülse, die sich in alle Richtungen bewegen lässt, ohne jemals mit einem Grund verwurzelt zu werden. In der Tat durchleben Jugendliche nicht nur eine, sondern mehrere Jugendkulturen, die sie nacheinander, mitunter sogar nebeneinander durchlaufen. Das Ziel, erwachsen zu sein - ob positiv oder negativ -, kann nicht mehr als absolute Größe verstanden werden, an der sich Jugendliche orientieren, um daraus gegenwärtige Sinnformen zu erlangen. Sie selber entwickeln autonome Systeme, die komplex genug sind, um Unverständnis zu provozieren, und flexibel genug, um sich mit anderen Systemen zu verbinden. Komplexität bedeutet vor allem das Ende universaler Ziele und die Möglichkeit ihrer Singularisierung. Die Sade'schen Post-Hippie-Gothic-Traumlandschaften von Matt Greene präsentieren sich uns wie die Mädchenparadiese voll abgebrühter Lolitavamps von Rita Ackermann oder die coolen Lounges von Lucy McKenzie als abgeschlossene und unberührbare Mikrokosmen.

Für das Rahmenprogramm der Ausstellung „Die Jugend von heute“ ist ein Symposium der Katalogautoren Mercedes Bunz (DE:BUG), Jens Hoffmann (ICA, London), Georg Seeßlen (Filmkritiker), Niels Werber (Humboldt-Universität, Berlin, und Ruhr-Universität, Bochum) und Matthias Ulrich (Schirn) sowie eine begleitende Filmreihe (von Larry Clark bis Ken Sollett) geplant. Die britische Künstlerin Sue Tompkins wird eine neue Performance zeigen.

KÜNSTLERLISTE: Abetz/Drescher (D), Rita Ackermann (HUN), Joe Andoe (USA), Marc Bijl (NL), Anuschka Blommers / Niels Schumm (NL), Slater Bradley (USA), Daniele Buetti (CH), Ian Cooper (USA), Annelise Coste (CH), Sue de Beer (USA), Amie Dicke (NL), Philip-Lorca diCorcia (USA), Iris van Dongen (NL), Tracey Emin (GB), Luis Gispert (USA), Anthony Goicolea (USA), Janine Gordon (USA), Matthew Greene (USA), Lauren Greenfield (USA), Kevin Hanley (USA), Esther Harris (GB), Rachel Howe (USA), Pierre Huyghe (F), Laura Kikauka (CAN), Clemens Krauss (A), Hendrik Krawen (D), Liisa Lounila (FIN), Marlene McCarty (USA), Ryan McGinley (USA), Alex McQuilkin (USA), Martin Maloney (GB), Bjarne Melgaard (N), Alex Morrison (CAN), João Onofre (P), Lea Asja Pagenkemper (D), Mike Paré (USA), Frédéric Post (CH), Bettina Pousttchi (D), L. A. Raeven (NL), Julika Rudelius (D), Collier Schorr (USA), Kiki Seror (USA), Ulrike Siecaup (D), Hannah Starkey (IRL), Tomoaki Suzuki (J), Alex Tennigkeit (D), Sue Tompkins (GB), Gavin Turk (GB), Alejandro Vidal (E), Banks Violette (USA).

KATALOG: „Die Jugend von heute“. Hg. von Max Hollein und Matthias Ulrich, Schirn Kunsthalle Frankfurt. Mit einem Vorwort von Max Hollein und Textbeiträgen von Niels Werber, Mercedes Bunz, Georg Seeßlen, Jens Hoffmann und Matthias Ulrich. Deutsch/englisch, ca. 250 Seiten, ca. 160 Farbabbildungen, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, ISBN 3-86560-071

Pressetext

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DIE JUGEND VON HEUTE
Kurator: Matthias Ulrich

mit Maike Abetz / Oliver Drescher, Rita Ackermann, Joe Andoe, Marc Bijl, Anuschka Blommers / Niels Schumm, Slater Bradley, Daniele Buetti, Ian Cooper, Annelise Coste, Sue de Beer, Amie Dicke, Philip-Lorca diCorcia, Iris van Dongen, Tracey Emin, Luis Gispert, Anthony Goicolea, Janine Gordon, Matthew Greene, Lauren Greenfield, Kevin Hanley, Esther Harris, Rachel Howe, Pierre Huyghe, Laura Kikauka, Clemens Krauss, Hendrik Krawen, Liisa Lounila, Marlene McCarty, Ryan McGinley, Alex McQuilkin, Martin Maloney, Bjarne Melgaard, Alex Morrison, Joao Onofre, Lea Asja Pagenkemper, Mike Pare, Frederic Post, Bettina Pousttchi, L.A. Raeven, Julika Rudelius, Collier Schorr, Kiki Seror, Ulrike Siecaup, Hannah Starkey, Tomoaki Suzuki, Alex Tennigkeit, Sue Tompkins, Gavin Turk, Alejandro Vidal, Banks Violette