press release only in german

Am 17. Dezember 1903 um 10.30 Uhr startete Orville Wright bei Kitty Hawk (North Carolina) das von ihm und seinem Bruder Wilbur konstruierte Fluggerät „Flyer“. Noch am selben Tag fanden drei weitere Flugversuche statt, bei deren längstem eine Strecke von 260 Metern zurückgelegt wurde. Es war der weltweit erste Flug mit einem motorisierten Flugzeug, und er sollte die Welt verändern.

Geschwindigkeit, Motoren, Fotografie und Film waren im letzten Drittel des 19. und dem ersten Drittel des 20. Jahrhundert die alles beherrschenden Phänomene. Ihre Erfindungen gingen weit über jede damals herrschende Vorstellungskraft hinaus und revolutionierten die Kommunikation, die künstlerische Sehweise und vor allem auch das Bewußtsein der Menschen.

Die Fotografie ermöglichte, das „Unvorhergesehene“, sichtbar zu machen, also Ereignisse, die das menschliche Auge selbst nicht wahrnehmen konnte. Die sogenannte Momentfotografie und in der Folge die Chronofotografie und dann der Film unterschritten die Wahrnehmungsschwelle des bloßen Auges ... so ermöglichte die Fotografie einerseits die Aufnahme der Vogelschwingen im Flug oder der Windströmungen an Flügeln und beschleunigte damit die Entwicklung des Flugzeugs; anderseits lieferte die Aviation die Vorraussetzung für das Luftbild und erschloß damit eine neue Sicht der Welt, die wiederum Kunst und Architektur revolutionierte.

Und schließlich lieferten Fotografie und Film Zeugnis von den waghalsigen Experimenten der tollkühnen Flieger und brachten im Gegenzug den Menschen in Luftbildern neue Ansichten der Heimat oder erstmals Ansichten ferner Gegenden und Kulturen nahe.

Das Fliegen wurde Gegenstand und Medium von Fotografie und Film. „Das Kino und die Fliegerei gehen Arm in Arm durchs Leben, sie sind am selben Tag geboren.“, rief der Maler Ferdinand Leger begeistert aus. Die mit Fotografien ausgestatteten Illustrierten, die bebilderten Bücher, und die Foto-Postkarten jener Zeit katalogisierten die Welt – ihre Wunder und Erfindungen – und trugen sie in das persönliche und häusliche Umfeld eines jeden. Fotografie und Film nahmen sich des Alltäglichen an, und entdeckten als Inkarnation des aufkommenden 20.Jahrhunderts immer mehr die Bewegung, die Geschwindigkeit. Der Motor - in Lokomotiven, Automobilen und Flugzeugen diktierte den Rhythmus der modernen Lebenswelt. Und die Wahrnehmung derselben.

Der Philosoph Paul Virilio behauptet: „Die Geschichte der Moderne ist von verschiedensten Motoren geschrieben worden. Der erste Motor war die Dampfmaschine. ... Der zweite Motor war der Explosionsmotor, der das Fliegen ermöglicht und damit die Sicht von oben und die abstrakte Kunst ...“

Die Ausstellung im NRW-Forum Kultur und Wirtschaft zeigt anhand von Fotografien, Postkarten, Büchern, Originalzeitschriften aus der Zeit von 1858 bis 1937 diese Geschichte nach und ergänzt sie um frühe Dokumente der FilmPioniere Lumière und Pathé. Da findet sich ein Abzug von Nadars erstem Luftbild überhaupt von 1858 und Luftbildaufnahmen aus dem ersten Weltkrieg von dem berühmten Fotografen Edward Steichen aus dem Metropolitan Museum – Bücher von Le Corbusier, Malewitch und Moholy Nagy zeigen, wie das Luftbild die Fotografie, die Kunst und die Architektur beeinflußten. Futuristische „Aerofotografia“ von Filippo Masoero und waghalsige Kunstflugaufnahmen des deutschen Reporters Willi Ruge zeigen den Einzug des Luftbildes in die künstlerische und die journalistische Fotografie.

Fragile Abzüge von Bewegungstudien von Jules-Etienne Marey, der durch seine Veröffentlichungen die Gebrüder Wright zu neuen Experimenten anregte, neben kostenbaren Albuminabzügen der frühen Momentaufnahmen von Störchen aus der Hand von Ottomar Anschütz belegen den direkten Einfluß der Fotografie auf die technische Entwicklung des Schwerer-als-Luft-Fliegens.

Abzüge von Fotoplatten aus dem Nachlaß des deutschen Flugpioniers Otto Lilienthal oder dem der Gebrüder Wright zeigen, wie akribisch die Flugpioniere durch die fotografische Dokumentation ihre Experimente analysierten und welchen Einfluß das auf die Entwicklung der Aviation hatte.

Mit den Anfängen der Fliegerei zu Beginn des 19. Jahrhunderts schließlich schlug auch die große Stunde der Amateure, die in Frankreich und Deutschland alle Flugversuche aufnahmen – viele der bekannten Illustriertenaufnahmen stammen von Amateuren und der bekannteste schlechthin ist Lartigue, dem die Ausstellungen eine Sonderpräsentation mit mehr als 60 Abzügen widmet.

Bilder vom Fliegen oder aus der Sicht der Fliegens wurden zum festen Bestandteil der Illustrierten mit großartigen Bildern von Fotografen wie Alfred Eisenstaedt oder Ilse Bing, sie wurden aber auch zum festen Bestandteil faschistischer und nationalsozialistischer Propagandaprogramme, wie Beispiele aus der Zeit der Zeppelin-Euphorie zeigen oder aber die sensationellen Originalzeitschriften „USSR im Bau“, die von dem Konstruktivisten Rodcenko gestaltet wurden.

Mit der Explosion des Luftschiffs Hindenburg im Mai 1937 im amerikanischen Lakehurst endete der Traum vom Fliegen. Das weltumspannende Netz der Presse und ihrer Bildmaschinerie verbreitete blitzschnell die Nachricht vom Zusammenbruch deutscher Überlegenheit rund um den Erdball. Zeitgenössische Medienberichte bezeichneten die Reaktion der Fotografen und Kameraleute als die „most complete coverage“ eines Nachrichtenevents in der Geschichte. Die Fotos vom Unglück im Sunday Mirror gehörten zu den ersten Farb-Nachrichtenfotos in einer Tageszeitung; andere Zeitungen zeigten ein per Funk übertragenes Foto vom brennenden Zeppelin.

So endete der Traum vom Fliegen; die Fotografie, die schon seit den Kindertagen die Aviation begleitete, trug nun dazu bei, sein Ende in Windeseile rund um den Erdball zu verbreiten.

Die fotografischen Höhepunkte sind eingebettet in eine lückenlose Dokumentation von Fotoabzügen aus dem Hulton-Archiv, die von 1868 bis 1937 die Geschichte des Fliegens vom Ballon bis zum Zeppelin, vom Gleiter bis zum Motorflugzeug nachvollziehbar macht.

Der Katalog enthält neben der Dokumentation zum Thema „Fliegen und Fotografie“ ausführliche Beiträge über die Geschichte der Aviation, über Fliegerei und Film sowie über die Fliegerei und den Fotojournalismus. 316 Seiten, Duoton. Pressetext

only in german

Die Kunst zu fliegen – in Film und Fotografie