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Diet Sayler: Die Realität der Poesie

Diet Sayler (* 1939 Timisoara, Rumänien) ist einer der wichtigsten konkreten Künstler Europas. 1972 kehrte er dem Staat Ceausescus den Rücken, emigrierte nach Deutschland und landete eher zufällig in Nürnberg. Mit seiner Ausstellungsreihe „konkret“ (1980 bis 1990), die viele bedeutende Künstler nach Nürnberg brachte, stellte Sayler die verschiedenen Spielarten der Konkreten Kunst vor. An der hiesigen Akademie der Bildenden Künste lehrte er von 1992 bis 2005 als Professor. Da er selbst unter einer Diktatur zu leiden hatte, lehnt Diet Sayler jede Form von Ideologie entschieden ab. Nicht zuletzt deshalb zählt der weltläufige und polyglotte Künstler zu den unorthodoxen Vertretern der konkreten Zunft. An die Stelle der klassischen Grundformen Quadrat, Kreis und Dreieck traten individuelle Formsetzungen, die der Künstler auf der Grundlage eines zunächst quadratischen, später dann rechteckigen Rasters entwickelte. Mit diesen „Basics“ oder „Basiselementen“ schuf sich Sayler ein eigenes Formenrepertoire, aus dem er bis heute schöpft. Dabei betont der Künstler stets den intuitiven Ursprung seiner Formensprache, die sich gegen den Totalitarismus des Objektiven verwahrt und jedes allein selig machende Dogma zum Teufel schickt. Diet Saylers Bekenntnis zu Veränderung und Erneuerung, zur Offenheit für das Unerwartete und zur Subjektivität mündet in sein persönliches, zutiefst humanistisches Prinzip Hoffnung: „Die Geschichte des Denkens, die Geschichte des Glaubens, aber auch die der Zivilisation, sind ohne die Wirkung von Kunst nicht vorstellbar. Dahinter sehe ich das Prinzip Hoffnung als stetig bewegende Kraft der Poesie. Poesie bedeutet nicht nur ‚romantische Dichtung‘, sondern Machen, Erzeugen, Verfertigen im ursprünglichen, klassischen Verständnis des Wortes. In diesem Sinne möchte ich die Realität der Poesie verstehen. Sie verbindet das Potenzial von Erfindung mit dem Potenzial des Machens. Und dies ist Hoffnung.“ Die für die Konkrete Kunst so typische Dialektik von Ordnung und Zufall sprengt Diet Sayler durch ein weiteres Element: die Empfindung, die vor al- lem in der Farbe Ausdruck findet. Eine „unendliche Orgel der Gefühle“ hat Diet Sayler die Farbe einmal genannt. Und er hat gelernt, auf diesem Instrument virtuos zu spielen: „Die Schichtung der Farbe ist mir sehr wichtig. Sie ergibt den Reichtum des Farbkör- pers. Die Anzahl der Schichtungen ergibt sich empi- risch und notwendig aus der Suche nach Ausdruck. Die unterlegten Farben steuern den Klang der darüberliegenden Farbfelder.“ Die Sammlungspräsentation in zwei Räumen, die von 19. April bis 21. Juli 2013 gezeigt wird, bietet eine pointierte Auswahl von überwiegend neueren Gemälden. Daneben feiert eine völlig neue Form Konkreter Kunst Premiere: Für seine sogenannten Engramme, rein digitale Installationen der für Sayler typischen „Basiselemente“, wählte der Künstler historische Settings – in diesem Fall die Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände sowie den Nürnberger Burggraben. Insbesondere wenn der Künstler die Farben seiner „Engramme“ aus der fotografierten Szenerie entnimmt, ist genaues Hinsehen erforderlich, um die Eingriffe in die von Sayler selbst geschossenen Fotos zu erkennen. Die auch perspektivisch eingepassten Elemente lenken den Blick auf die Geometrie der Architektur: von den Strukturen des Back- oder Sandsteinmau- erwerks bis hin zum fortifikatorischen Zick-Zack des Antonio Fazuni, der im 16. Jahrhundert nördlich und westlich der Kaiserburg eine uneinnehmbare Bastion schuf, die nach ihm benannt wurde. Umgekehrt erfahren die ungegenständlichen Formen eine Verdinglichung, die dem Begriff „konkret“ eine zusätzliche Bedeutung verleiht. Diet Sayler schließt kurz, was unvereinbar scheint. Daraus resultieren Bilder, die sich ins Gedächtnis einbrennen: echte „Engramme“ eben, denn der Begriff meint außerhalb der Kunst Diet Saylers eine physiologische Reizeinwirkung im Gehirn, den Eindruck, den ein Erlebnis hinterlässt und zusammen mit unzähligen anderen „Engrammen“ das Gedächtnis bildet. Die Idee der kleinsten selbstständigen Einheit verbindet diese Bausteine der Erinnerung mit Diet Saylers „Basiselementen“, die sich als Monaden seiner Kunst verstehen lassen. Deshalb ist „Engramm“ am besten mit „elementare Erinnerungsform“ übersetzt.

Thomas Heyden

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Diet Sayler
Die Realität der Poesie
Kurator: Thomas Heyden