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Nach der Untersuchung städtischer Identität mit "heute hier, morgen dort" (2004/05) stellt die AZKM im Herbst 2010 erneut auf urbane Phänomene der Stadt Münster scharf. "Does City/Münster matter?" geht exemplarisch von künstlerisch imaginierten Bildvorstellungen aus, die auf ganz unterschiedliche Weise multimedial von der Faszination urbaner Zusammenhänge und daraus resultierender Bildproduktion geleitet werden. Anstelle Künstler einmal mehr im unscharfen Außenraum zur objekthaften Reaktion auf Vorgefundenes aufzufordern, initiiert "Does City/Münster matter?" einen innovativen Prozess umgekehrter Ortsspezifik. Die Ausstellung bestehender künstlerischer Bilder markiert einen modellhaften Ort, an dem die emblematischen Ideen und Konzepte der eingeladenen Künstler ins Verhältnis zur Wirklichkeit der Stadt Münster gesetzt werden sollen.

Bilder sind zugleich Inszenierungs- wie Dechiffrierungsinstrumente einer Stadt – Bilder, die körperhaft aufscheinen (Architektur), strukturell bzw. inszenatorisch angelegt sind (Wegesysteme/Lichteffekte) oder auf mentale Aspekte abheben (soziale/ identifikatorische Gemengelagen). Als symbolische Verdichtungsleistungen formatieren Bilder Oberflächen und platzieren Erzählungen: Sie verflachen die Komplexität und können neue Wirklichkeiten eines Ortes konstruieren, die mitunter prägender als dessen Realität sind. Das Erkennen, Lesen und Deuten, aber auch die Entstehung und Wirkmechanismen solcher urbanen Bilder sind Thema einer Gruppenausstellung in der AZKM. Nicht nur vermag die Analyse städtischer Bilder über den künstlerischen Blick, die Neubetrachtung vertrauter Lebenswelt anzuregen. Vielmehr eröffnet die transformierte Situation in der AZKM einen ebenso assoziativen wie visionären Denk- und Kommunikationsraum, in dem sich kommunale Entscheidungsträger unkonventionell treffen können mit Künstlern und Vertretern der Initiativen/Institutionen, die sich in der Stadt mit den zu verhandelnden (Bild-) Phänomene befassen und damit entscheidend zur Tradition solcher kultureller Untersuchungen in Münster beitragen. Mittels eines diskursiven Rahmenprogramms (Workshops, Diskussionsrunden, Vorträge) in der Ausstellung und an ungewöhnlichen Orten werden die Kreativpotentiale der Stadt in einen produktiven Austausch gebracht, der sich bezogen auf zukünftige Planungs-Gestaltungsprozesse über die eigentliche Projektdauer fortsetzen kann.

Die Ausstellung wird begleitet von einer Veranstaltungsreihe an ungewöhnlichen Orten und mündet im Frühjahr 2011 in ein Symposion.

Teilnehmende Künstlerinnen und Künstler:

Diana Al-Hadid, lebt in Brooklyn NY (*1981) In den Arbeiten von Diana Al-Hadid mutieren Versatzstücke der Mythologie und Folklore islamischer wie westlicher Welt zu bizarren, dreidimensionalen Erzählungen – skulpturale Gebilde, die, obgleich erstarrt, aus einem sich selbst motivierenden Wachstum zu entspringen scheinen, wobei Dekomposition ihr heimliches Konstruktionsprinzip ist. Denn mögen die komplexen Gefüge als labyrinthische Exoskelette morbide an einen vergangenen Organismus gemahnen, bleiben sie doch das ruinenhafte Sediment einer emblematischen Hybris, die allein auf hypothetischen Strukturen beruht.

Koen van den Broek, lebt in Antwerpen (*1983) Nicht von ungefähr bestimmen Fotografien die Komposition der Gemälde von Koen van den Broek, dessen Malerei die sensiblen Mechanismen des Seh-Aktes und der Gestaltwerdung beobachtet. Während einzelne Partien suggestiv gegenständlich aufscheinen und durch frappierende Präzision bestechen mögen, zerfließen umgebende Areale in abstrakte, häufig monochrome Farbflächen. Im Fixierspiel von Figuration und Abstraktion, von Verlust und Gewinn wächst das Gefühl, in emotionale Reservate von metaphorischer Tragweite einzutauchen, die den Blick selbst ins Auge nehmen.

Martin Kobe, lebt in Leipzig (*1973) Martin Kobes Gemälde eröffnen vordergründig figurative Welten, in denen architektonische Formen und utopische Raumkonstruktionen vergleichbar kristallinen Wucherungen waghalsig fluchten. Funktionale Zusammenhänge und eindeutige Gerichtetheiten in Raum oder Zeit sucht man aber vergebens. Stößt der Blick doch immer wieder auf spiegelnde, signalartig pulsierende, letztlich abstrakte Oberflächen, die jeglicher Illusion den Boden entziehen. Was bleibt, ist die sogartige Faszination für eine Implosion monolithischer, in sich gebrochener Farbgeometrie, die zu aller erst auf der virtuosen Handhabung malerischer Mittel beruht.

Klaus Lutz, lebte in Manhattan, New York (*1940 - +2009) Permanent unterwegs, ohne Pause beschäftigt ist der Protagonist der 16mm Filme von Klaus Lutz, deren Projektion einen geschlossenen künstlerischen Orbit 'erschafft'. In der subjektiven Dimensionierung von Raum und Zeit entsteht die Bühne für ein fesselnd akrobatisches Szenario wider physikalische Gesetzmäßigkeiten. Der Künstler ist Regisseur und Spielfigur einer rein analog erzeugten, wundersam collagierten Welt, die er sowohl erleidet als auch erobert und dabei den kostbaren Blick auf eine ästhetisch berührende Lebenswirklichkeit freigibt.

Lutz & Guggisberg, leben in Zürich (*1968/1966) Auf den blinden Fleck zwischen dem Bedürfnis eigenmächtiger Lebensweltgestaltung und deren Limitierung auf eine Auswahl normierter Möglichkeiten, auf die Potenz des suspendierten Intellekts, stellen die entgrenzten Arbeiten von Lutz & Guggisberg scharf. Gattungsübergreifend entsteht ein sich selbst perpetuierender Kosmos, in dem sich hybride Bilder verdichten, die den Blick ausdehnen wie zuspitzen und dabei jede, noch so bildhaft sanktionierte Systemlogik zu perforieren vermögen - vielleicht gerade deshalb, weil sie der Welt des Analogen so anrührend verpflichtet bleiben.

Toby Paterson, lebt in Glasgow (*1974) Das Formenrepertoire des Nachkriegsmodernismus, die alltägliche Konfrontation mit dem High & Low eines dinghaft gewordenen, normativen Zeitgeistes motivieren Toby Paterson zu Arbeiten, die den abstrakten Wert der Versatzstücke solcher realen Verfügungsgüter befragen. Ohne Rücksicht auf Kontextbindung oder Materialgerechtigkeit generieren sie aus dem Junkfood zeitgenössischer Raumerschließung ein Vokabular, das sich mit dem Ort ihres Auftritts zu neuen Erzählungen verschränkt – getrieben von ernsthafter Faszination für einen überkommenen Gestaltungswillen und der humorvollen Skepsis gegenüber dessen Deutungshoheit.

Paul Noble, lebt in London (*1963) Einer unheimlichen Obsession verdanken sich die Zeichnungen und Animationen von Paul Noble. Aus einer Perspektive, die an frühe Computerspiele erinnert, glaubt man sich altmeisterlicher Landschafts- und Architekturdarstellung gegenüber, die jedoch in Nahsicht in artifizielle Urbanitätsbehauptungen und mutwillige Flächenkonstruktion zerfallen. Narration bedingt sich erst aus der Distanz, die statt Erkenntnis Illusionen liefert. Der Preis für den Genuss des Details ist der Verlust des Ganzen als sinnhaftes Gefüge, das letztlich dem manierierten Umgang mit figurativen Fragmenten entspringt, die allein in der brillanten Farbpalette des Grau zusammenfinden.

Manfred Pernice, lebt in Berlin (*1963) Das vertraute Formenvokabular einer erschreckend regulierten Öffentlichkeit, oberflächenlastiger Gestaltungswille und dessen Dekorblüten inspirieren Manfred Pernice. Unter Verwendung einfacher, auch disparater Materialien entstehen an Architektur oder urbanes Gliederungsinstrumentarium erinnernde, sonderbar 'unfertige' Gebilde mit unterschiedlichem Abstraktionsgrad, zwischen peinlicher Intimität und überraschender Formgebung. Auch wenn die Arbeiten auf eine geringe Halbwertzeit spekulieren, markieren sie doch ein kulturoptimistisches Moment, insofern sie den Glauben an die Handlungspotentiale künstlerischer Weltschöpfung in die Begrenztheit je eigener Lebenswirklichkeit hinüberretten.

David Thorpe, lebt in London und Berlin (*1972) Die phantastischen Bildwelten von David Thorpe werden bevölkert von vegetabil technoiden Chimären. Kippfiguren gleich sind sie für den Moment der Balance zwischen Fiktion und 'Realität' erstarrt und laden ein zu spannungsvollen Reisen, die letztlich in der Faszination für ihr formales Gemachtsein münden. So sehr etwa die Collagen an Malerei erinnern, sind sie tatsächlich in ihrer Materialität holprig, intarsienartig 'gepixelte' Patchworks - wobei der alchimistische Gestus ihrer analogen 'Herstellung', drastischer als es die Farbenmalerei könnte, die Welt als abstrakt kaleidoskopisches Muster und willfährige Elementmixtur vorstellt.

Ina Weber, lebt in Berlin (*1964) Wollte man die Alltagswelt mit Mitteln der Mengenlehre berechnen, könnten die Arbeiten von Ina Weber als 'Spielsteine' einer solchen Versuchsanordnung verstanden werden. Komplexe architektonische Gefüge, aber auch soziale Gemengelagen werden in einfache Körper oder kulissenhafte Elemente transformiert, deren großzügige, gleichsam liebevolle Behandlung sich einer leidenschaftlichen Funktionslosigkeit verdankt. Maßstab verschoben, stilisiert wie typisiert sind die Arbeiten möbelartig handhabbar - um Ensembles zu erstellen, aber auch um vereinzelt ein Gegenüber mit ganz neuer, eigener Qualität zu bieten, das den Horizont eines allzu gravitätischen Zeitgeistes auf das abstrakte Maß des subjektiven Auges bricht.