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Dora García war 2005/2006 Blinky-Palermo-Stipendiatin der Ostdeutschen Sparkassenstiftung im Freistaat Sachsen gemeinsam mit der Sparkasse Leipzig und der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig. Wie ihre Vorgängerinnen Dorit Margreiter und Sofie Thorsen hat die spanische, in Brüssel lebende Künstlerin Dora García für Leipzig eine spezifische Arbeit entwickelt.

Auf der Suche nach Informationen über die Stadt Leipzig stieß Dora García während ihres Stipendiums immer wieder auf das Museum an der “Runden Ecke”, die Stasi und die Ereignisse des Jahres 1989 in Leipzig. García erfuhr über das Internet von den Methoden und Beweggründen sowie den Zielen der Staatssicherheit. Im Text "Loyale Dissidenten und Stasi-Poeten" fand García einen Hinweis über Michael Ruschkys Thesen einer "imaginären DDR", die nach der Auflösung der echten DDR entstand. Er schrieb 1995: "Diese neue DDR ist das Produkt einer Erfahrungs- und Erzählgemeinschaft, einer Gemeinschaft, welche vor 1989 gar nicht existieren konnte, da die DDR nicht eine solch enthemmte Öffentlichkeit bot, um eine solche Kultur hervorzubringen”. García setzt bei der Fiktionalisierung von Vergangenheit an und interessiert sich für jene potenzielle "Erfahrungs- und Erzählgemeinschaft", von der Ruschky spricht. Inwieweit ist es möglich, diese herzustellen, und inwieweit kann Kunst Mittel bereitstellen, mit einem belasteten Thema umzugehen?

Im Rahmen des Stipendiums entwickelte sie nun aus dieser Recherche eine fiktive Geschichte und brachte diese mit SchauspielerInnen in Leipzig zur Umsetzung. Daraus ging der Film „Zimmer, Gespräche“, der auch der Titel der Ausstellung ist, hervor. Anhand von originalen Textmitschnitten und Dokumenten hat García in einer Wohnung Dialoge zwischen einem “Opfer, Kollaborateur und Stasimitarbeiter” inszeniert. Die Wörter Stasi, DDR oder Leipzig fallen nicht. Dora García bedient sich an Elementen des “Absurden Theaters” sowie des Wechsels von Zeit und Ort, Rollen, Sprache und Bedeutung. Es geht ihr nicht darum, eine historische Szene nachzubauen. Vielmehr treten die Themen Angst, Kontrolle, Abhängigkeit, Absurdität und Macht in den Vordergrund der Betrachtung. Die eingeschriebenen Codes einer Figur und deren Kommunikationsstruktur werden in der Arbeit ebenso analysiert wie in vorherigen Arbeiten auch. Die Schauspieler schlüpfen in Rollen, die selbst wiederum „nur“ eine Rolle spielten.

Der Film „Zimmer, Gespräche“ wird von mehreren Videos und Fotos begleitet. Die Videos „window“, „car“, „walking man“, „couple“ oder „house“ (alle 2007) zeigen Menschen bei alltäglichen Handlungen. Sie verlassen oder betreten ein Haus, sie waschen ihr Auto, sie laufen die Straße auf und ab, sie gehen vom Auto in das Haus usw. Meist ohne Ton observiert die offensichtlich für die Beobachteten unsichtbare Kamera ein Geschehen durch Vorhänge von Fenstern aus. Zeichnungen zeigen anschaulich den Weg und die Frequenz der Benutzung durch den Observierten. Die Videos stammen aus dem Archiv der BStU Leipzig/Berlin. García hatte zu Forschungszwecken eine Vielzahl der Überwachungsvideos und das Lehrmaterial der Stasi gesichtet und stellt diese im Kontext der Ausstellung zur Diskussion. Durch den Kontexttransfer verstärkt sich die Wirkung des Absurden und Grotesken. García, die sich in früheren Arbeiten oder auch in „Instant Narrative“ – einer Arbeit, die sie auch in Leipzig zeigt – bereits mit Observierung, Performance, Fiktion und Dokumentation beschäftigt hat, setzte in Leipzig mit ihrem Interesse fort. Dass sie Spanierin und nicht in der DDR aufgewachsen ist, erlaubte ihr eine Distanz zur Stasivergangenheit.

Die Präsentation des Films „Zimmer, Gespräche“ wird neben den Videos und Fotos durch zwei weitere Arbeiten erweitert, „Instant Narrative“ und „Fahrenheit 451“. „Fahrenheit 451 (1969)" (2003) steht als Referenz zum gleichnamigen Film von Francois Truffaut nach dem Roman von Ray Bradbury in unmittelbarem Zusammenhang mit Dora Garcías Thematik der Ausstellung „Zimmer, Gespräche“. Auf einem Tisch liegen 2000 Exemplare des Romans. Sie sind jedoch spiegelverkehrt gedruckt. Die Geschichte kann nur vor einem Spiegel gelesen werden. Das Buch handelt von einer Gesellschaft, in der es keine Bücher geben darf. Sie zu lesen ist verboten. Die Regierung in „Fahrenheit 451“ versucht durch diese Politik, alle Menschen auf dem gleichen Wissenstand zu halten, ohne Privilegien zu ermöglichen, ein Plan, der am Ende nicht aufgehen soll.

Für „Instant Narrative“ (2007) sind zwei SchriftstellerInnen für den gesamten Zeitraum der Ausstellung als Museumsaufsichten „getarnt“. Sie sitzen am Eingang vor einem Computer, der mit einer Projektionsfläche im Ausstellungsinnenraum verbunden ist. BesucherInnen, die den Raum betreten, sehen, dass die Person schreibt. Sobald sie sich der Leinwand zuwenden, realisieren sie, dass dort über sie geschrieben wird: wie sie aussehen, wie sie sich verhalten. Jemand, der die Galerie betritt, wird in dieser Rolle Teil der Fiktion: Man kann nicht entfliehen. So werden BesucherInnen zu AkteurInnen einer Fiktion, manchmal wissend, manchmal nicht.

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Dora Garcia
Zimmer, Gespräche
Kuratiert von Julia Schäfer