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03.09.2021 – 14.11.2021
Eröffnung: 02.09.2021

Doreen Garner: Steal, Kill and Destroy: A Thief Who Intended Them Maximum Harm

Online Viewing Room:
https://halle-fuer-kunst.at/ausstellungen/doreen-garner-steal-kill-and-destroy-a-thief-who-intended-them-maximum-harm/

Doreen Garners Skulptur- und Performance-Arbeiten beschäftigen sich mit der Geschichte der medizinischen Experimente an schwarzen Körpern in Amerika und dessen systematischer Ausbeute. In Auseinandersetzung mit historischen Ereignissen und kulturgeschichtlichen Phänomenen zeigt Garner die problematische Beziehung von Medizin und Rasse auf, die bis heute anhält. Die figurativen Werke der Künstlerin bestehen unter anderem aus Silikon, Glasfaserisolierung, Kunststoff, Vaseline, künstlichem Haar, Kristallen und Perlen, und ähneln fragmentierten, ja sogar amputierten Körperteilen oder menschlichen Überresten. In ihrer ersten institutionellen Ausstellung in Europa Steal, Kill and Destroy: A Thief Who Intended Them Maximum Harm (Stehlen, töten und zerstören: Ein Dieb, der ihnen größtmögliches Leid zufügte) zeigt Garner drei Objekte, unter anderem eine eigens in Auftrag gegebene Neuproduktion.

Im Zentrum der Präsentation steht die Darstellung von schwarzen entmenschlichten wie auch jene von weißen Körpern, die diese Entmenschlichung zu verantworten haben. Durch ihre experimentelle additive Herangehensweise, verschiedenste Materialien zu kombinieren, entstehen einzigartige anthropomorphe Objekte zwischen Nouveau Realisme und Pop Art, die die Erniedrigung und Vergegenständlichung schwarzer Körper schonungslos wiedergeben und weiße Körper klar als jene ausweisen, die jenes Leid auslösen. In der Reflexion von Vergangenheit und Gegenwart widmet sich die Ausstellung verschiedenen Aspekten innerhalb der modernen Medizin und entlarvt sie als höchst problematische Disziplin, die auf Mechanismen der Ausbeute und Unterdrückung beruht.

Für die neue Werkgruppe Roughly documented, Three Million Eighty Eight Thousand Seven Hundred and Seventy Six (2021) und Roughly Documented, Three Million Eight Hundred Ninety Four Thousand and Fifty Six (2021) schuf Garner zwei Objekte als Flaggen, die jeweils in einem Metallrahmen hängend eine ausgewiesene Vorder- und Rückseite haben. Aus verschiedenen weißfarbigen Silikonstreifen, die unterschiedliche Körperteile mimen, nähte die Künstlerin Oberflächen, die als Einheit die Muster der Nationalflaggen des Vereinten Königreichs und Portugals wiedergeben. Die weiße Haut auf der britischen Flagge erscheint hier nicht nur fragmentiert, sondern mit Blasen übersät, wie sie bei einer Syphilis- oder Pockenerkrankung entstehen würden. Während auf dem größeren Abschnitt der portugiesischen Flagge die Oberfläche mit Anzeichen von Scharlach gezeichnet ist, zeigen sich auf dem restlichen Teil solche von Syphilis oder Pocken. Die Rückseite der Arbeiten sind nur mit Hilfe von zwei Spiegeln betrachtbar, die an der Wand hinter den hängenden Objekten angebracht sind. Blickt man auf die Bilder, die jene reflektieren, erkennt man dunkelbraune und schwarze Körperteile. Die Arbeit entstand während der noch immer anhaltenden globalen Covid-19-Pandemie und verhandelt den weißen Körper als ​„Kolonialkörper“, der aus historischer Perspektive angetrieben von der Inbesitznahme vormals unbekannter Territorien konstant Krankheiten und Viren verbreitete. In diesem Zusammenhang wird historisch auf vornehmlich von weißen Körpern übertragene Krankheiten wie Syphilis, Pocken, Scharlach, Beulenpest, Typhus, Gelbfieber und Malaria Bezug genommen.

Während Garner in dieser Gegenüberstellung einen klaren Bezug zwischen Kolonialismus, Politik und Medizin herstellt widmet sich die Arbeit THE PALE ONE (2020) in Verwendung einer allegorischen Sprache ebenfalls dem kolonialisierenden weißen Körper. Das Objekt aus Silikon, Urethanschaum, künstlichem Haar und Swarovski-Perlen stellt einerseits das Maul eines Drachen als auch einen Pferdekopf dar. Garner wurde für diese Arbeit durch die biblische Geschichte des apokalyptischen Reiters inspiriert, der als Tod auf einem weißen Pferd reitet und die dystopische Kraft besitzt, ein Viertel der Weltbevölkerung mit sich zu reißen. Die Werke beschwören nicht nur die Schrecken der Vergangenheit, sondern zeigen klar auf, dass auch heute die Disparitäten zwischen einer privilegierten, mobilen weißen Mehrheit und einer farbigen, ökonomisch schwachen Minderheit fatale Wirkungen vor allem auf letztere haben.

Red Rack of Those Ravaged and Unconsenting (2018) lenkt den Blick auf ganz konkrete Ereignisse in der Entwicklung der modernen Medizin in den USA. Hier steht der durch experimentelle Operationen fragmentierte weibliche schwarze Körper im Vordergrund. Eine wichtige Referenzfigur dafür ist der amerikanische Gynäkologe James Marion Sims (1813 – 1883). Seine bedeutendste Arbeit war die Entwicklung einer Technik zur Behebung von vesikovaginalen Fisteln, einem abnormalen oder chirurgisch hergestellten Durchgang zwischen Blase und Vagina, der im 19. Jahrhundert eine kata strophale Komplikation bei Geburten darstellte. Von 1845 bis 1849 führte Sims grausame Experimente an versklavten und absichtlich nicht betäubten Frauen durch, bis er eine chirurgische Technik zur erfolgreichen Operation der Fistel entwickelte. Red Rack of Those Ravaged and Unconsenting (2018) entstand im Nachdenken über diese spezifischen entmenschlichenden Verfahren von Sims.

In der Zusammenführung der drei Arbeiten stellt die Ausstellung Steal, Kill and Destroy: A Thief Who Intended Them Maximum Harmden Versuch dar die Erniedrigung des schwarzen Körpers und die tatsächlich gelebte Erfahrung schwarzer Menschen nicht als eine universelle menschliche Bedingung zu begreifen, sondern die durchdringenden faktischen Ursachen dieser Traumata aufzuzeigen. Gleichzeitig unternimmt Garner eine Revision der Kunstgeschichte indem sie gegen die lange Zeit verharmloste und glorifizierte Darstellung weißer Täter arbeitet.

Kuratiert von Cathrin Mayer

Doreen Garner
*1986 Philadelphia, lebt in New York
studierte an der Tyler School of Art an der Tempel University in Philadelphia und an der Rhode Island School of Design in Providence.

Die Arbeiten von Garner wurden unter anderem im MoMA PS1, New York; The National Museum of African American History, Washington und Pioneer Works, New York präsentiert. Garner hatte Residenzen und Stipendien bei Recess Art, New York; dem International Studio and Curatorial Program, Socrates Sculpture Park, New York; Pioneer Works, New York; und der Skowhegan School of Painting and Sculpture, Madison. Sie ist eine lizenzierte Tattoo-Künstlerin.