press release only in german

Dumb Type
6. Mai – 11. September 2022

Das Haus der Kunst präsentiert eine neue, ortsspezifische Ausstellung des japanischen Künstler*innen-Kollektivs Dumb Type. Das 1984 in Kyoto von Studierenden gegründete Kollektiv kritisiert in seinen vielfältigen Installationen und Performances u.a. mit Bildern aus dem Cyberpunk eine hochgradig „informatisierte“ Konsumgesellschaft, die durch die unaufhörliche Datenflut und technologische Entwicklung passiv und stumm geworden ist: Individuen, die „mit Informationen überschüttet werden, ohne etwas zu begreifen“ (Teiji Furuhashi). Durch diese Perspektive auf Kommunikation − oft arbeiten Dumb Type in mehreren Sprachen, reden in bedeutungslosen Lauten oder versuchen, indirekt mittels Technologie zu kommunizieren − haben sie sich stets gegen Schubladendenken gewehrt. Dies gilt sowohl für die Akteur*innen der Gruppe als auch für ihre Arbeit, die bis dahin unumstößliche Kategorien wie Nationalität, Geschlecht oder Ableism in Frage stellt.

Die drei eigens konzipierten Installationen im Haus der Kunst setzen sich damit auseinander, wie digitale Medien und Technologien heute einen prägenden Teil der Lebenserfahrung darstellen. In ihnen verschmelzen Vergangenheit und Zukunft, Sehnsucht und Verzweiflung. Die Ausstellung legt mehrere vergangene Performances groß an und interpretiert sie multimedial neu: Playback ist eine opernhafte Klangskulptur, die immer wieder auf das soziale und politische Klima reagiert, in dem sie ausgestellt wird. Für die aktuelle Ausstellung besteht die Installation aus sechzehn Plattenspielern und aus Feldaufnahmen, die der japanische Komponist Ryuichi Sakamoto eigens für das Haus der Kunst geschaffen hat. Trace/React II ist eine immersive, spektakuläre Installation, die die Banalität einer durch künstliche Intelligenz generierten Sprache erforscht. Und die Installation Memorandum OR Voyage kombiniert Szenen dreier ikonischer Performances mit eigens konzipiertem neuen Material in einer riesigen LED-Projektion. Im Zentrum steht die Frage nach Wissen und unserer Fähigkeit, zwischen idealisierten und materiellen Wahrheiten zu unterscheiden.

Dumb Types Herangehensweise an Performativität, Zufall und den starken Einfluss der Technologie auf unsere menschliche Existenz wurde maßgeblich von der japanischen Künstlerin Fujiko Nakaya beeinflusst. Dies führte im Laufe der Jahre zu mehreren Kollaborationen. Die visionären Performances und Installationen von Dumb Type stützen sich auf die Tradition von Künstler*innen-Kollektiven wie Jikken Kōbō (1951−57), Gutai (1955−72) und Hi-Red Center (1963−64). Zudem wenden sie die konfrontativen Strategien des Butoh- oder Angura-Theaters an. Nicht zuletzt deshalb stehen Dumb Type immer schon an der Spitze der Debatten über Identität und Sexualpolitik in Japan und auf der ganzen Welt. Sie konfrontieren das Publikum direkt mit Tabuthemen wie Identitätsbildung, der Allgegenwärtigkeit von Überwachungs- und Kommunikationstechnologien oder dem Trauma globaler Gesundheitskrisen wie HIV/AIDS, der Krankheit, die 1995 auf tragische Weise das Leben eines ihrer Gründer, Teiji Furuhashi, forderte.

Im Zentrum der umfangreichen Arbeit von Dumb Type steht die ständige Auseinandersetzung mit der Verschränkung des technologischen Fortschritts und des Körpers. Das Kollektiv setzt sich aus Künstler*innen zusammen, die in verschiedenen Bereichen wie bildende Kunst, Video, Computerprogrammierung, Musik und Tanz arbeiten. Ihre kreative Praxis basiert auf einer flachen, nicht-hierarchischen Zusammenarbeit und setzt sich mit Themen wie Geschlecht, ethnischer Herkunft, Leben und Tod, Erinnerung und Informationsgesellschaft kritisch auseinander. Die Arbeiten fordern die Betrachter*innen zum aufmerksamen Zuhören, Lesen und Zuschauen auf. Dadurch wird ein Zustand der Liminalität („ma“ auf Japanisch) erzeugt, ein Zustand der Trägheit oder des Nichts, der sich hauptsächlich aus einem Übermaß an Bedeutung ergibt. Dies ist ein zentraler Aspekt vieler Arbeiten, die die Auswirkungen der digitalen Technologie und des menschlichen Bewusstseins hinterfragen.

Mit großzügiger Unterstützung der Ulli und Uwe Kai-Stiftung
Ein Katalog erscheint Anfang Juni 2022