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Vom 3. November 2006 bis zum 21. Januar 2007 zeigt das Kunsthaus Zürich erstmals seit 1946 Meisterstiche des Renaissance-Künstlers Albrecht Dürer (1471-1528). Darunter sind «Der Reiter», «Melencolia I» und «Der Heilige Hieronymus im Gehäus». Die 55 tadellos erhaltenen Blätter stammen von Landammann Dietrich Schindler (1795-1882), dessen Sammlung im Jahr 2000 dem Kunsthaus Zürich geschenkt wurde. Neben Wien und Nürnberg kann nun auch in Zürich Dürers Kunst an Originalen studiert werden. Neben vertiefenden Erklärungen zu den Meisterstichen wird in der Ausstellung besonders der moderne Umgang Dürers mit dem Akt thematisiert.

Nach Dürers ersten Italienreise von 1494-1495 wird der nackte menschliche Körper zu einem der wichtigsten Motive in seinem Schaffen. Zum ersten Mal nördlich der Alpen steht der Akt losgelöst vom religiösen, moralischen oder mythologischen Kontext im Vordergrund des künstlerischen Interesses. Dürer aktualisiert und übersetzt klassischen Pathosformen in eine zeitgenössische Umgebung.

NACKTHEIT OHNE PATHOS Im Holzschnitt «Das Männerbad» sind sechs Männerakte dargestellt, die sich durch Alter und Haltung deutlich voneinander unterscheiden: ein Musikantenpaar, ein fettleibiger Geniesser und ein in Gedanken versunkener Mann. Hinter dem Lattenzaun, für die Badenden unsichtbar, steht ein bekleideter Mann frontal zum Betrachter, der als Voyeur in die Falle tappt. Anstössig für die Zeitgenossen war, dass hier niemand wirklich badet. Vielmehr scheinen sich die Badegäste in der erotischen Atmosphäre zu sonnen, die sie zugleich erzeugen und geniessen. Die Zahl der Vorstudien und die verschiedenen Druckzustände belegen, dass der selbstbewusste Künstler diesem Blatt grosse Bedeutung beimass. Unter den Humanisten zirkulierten diese und andere Stiche als Lehrstück zur Kunsttheorie der Renaissance.

MEISTERSTICHE Die höchste Anerkennung verdankt der Grafiker, Goldschmied und Maler Dürer den drei Meisterstichen, die in den Jahren 1513-1514 entstanden sind: «Der Reiter» – auch «Ritter, Tod und Teufel» genannt –, «Der Heilige Hieronymus im Gehäus» und «Melencolia I». Letzterer handelt vom zweifelhaften Ausgang menschlichen Strebens und ist eines der rätselhaftesten Werke der abendländischen Kunstgeschichte. Die ältere Forschung stützte sich bei der Analyse auf medizinische, philosophische und literarische Quellen und deutete die Melancholie als ein menschliches Temperament. Heute stellt die Kunstgeschichte fest, dass Dürer sein Werk als Warnung vor der Hybris der Naturbeherrschung durch den Menschen wie auch als Trost und Ermunterung verstanden wissen wollte. «Der Reiter» wurde, wie die zwei anderen, als Beispiel moralischer, theologischer und intellektueller Tugend interpretiert. Nicht so von Dürer selbst, der sie in seinem Tagebuch der niederländischen Reise, der wichtigsten Quelle für die Titelgebung der Drucke, nie im Zusammenhang erwähnt. Bewaffnet mit Schwert und Lanze reitet der christliche Ritter, der seinen graden, tugendhaften Weg nie verlässt, durch einen Hohlweg. Zwei tierköpfige Begleitfiguren wurden schon früh als Tod (mit der Sanduhr auf einem alten Klepper) und Teufel (gehörnt und mit Bocksfüssen) interpretiert. Genau besehen weist jedoch nichts auf den christlichen Kontext hin. Deshalb geht man heute eher davon aus, dass mit dem Reiter eine Anspielung auf aktuelle politische Verhältnisse gemeint war – etwa auf das Unwesen des Raubrittertums. Kein anderes Blatt als «Der Heilige Hieronymus im Gehäus» hat Dürer während seiner Reisen durch die Niederlande häufiger verschenkt oder verkauft. Es zeigt den bewunderten Gelehrten in seiner Studierstube. Das Licht, das durch ein breites Fenster in einen Innenraum fällt, war vorher in der Grafik noch nie zum Thema geworden. Mit gründlichen Studien in Perspektive und Proportion gelang es Dürer, die enge Gelehrtenstube weiträumig und hell erscheinen zu lassen. Keine Landschaft lockt den Blick ins Freie. Das Auge des Betrachters hält Einkehr und erschliesst die Dinge indem es über ihre malerische Oberfläche tastet. Dank dieser Betrachtungsweise erschliesst sich die magische Stille, die diesem Ort innewohnt und der mit seinem gleichmässigen Bildlicht anziehend-diesseitig und befremdlich entrückt zugleich erscheint.

KÜNSTLER-UNTERNEHMER Dürer war mit innovativen Ideen seiner Zeit voraus. In seinen berühmten Holzschnitten und Kupferstichen erreichte der in Nürnberg geborene und bei Humanisten seiner Heimatstadt schnell Hochgeschätzte eine bis dahin unbekannte technische Brillanz, die er als erster Grafiker medienbewusst einsetzte. Nicht zuletzt dadurch gelang es ihm, neue Käuferschichten für seine Kunst zu interessieren. Frühe Abzüge wurden zu Kultobjekten in fürstlichen und bürgerlichen Kabinetten und schon zu Lebzeiten lag ihm der Kunsthandel zu Füssen. Dürer ist der erste Künstler-Unternehmer in der neueren Geschichte dem es gelingt, sein Monogramm («AD») zu einem international bekannten Markenzeichen zu machen. Er gilt als der da Vinci Nordeuropas.

ZÜRICH IST NEUES ZENTRUM FÜR DÜRER-FORSCHUNG Die 55 ausgestellten Meisterblätter stammen aus der Sammlung Landammann Dietrich Schindler (1795-1882), die mit ihren 230 Dürer-Grafiken im Jahr 2000 dem Kunsthaus geschenkt wurde. Dabei handelt es sich um das nahezu vollständige Werk der Kupferstiche, Eisenradierungen, Kaltnadelblätter und um ein Drittel der Holzschnitte Dürers, die der Glarner Unternehmer und Magistrat zusammengetragen hatte. Nach Wien und Nürnberg besteht damit auch in Zürich die Möglichkeit, Dürers Kunst in grossem Umfang an den Originalen zu studieren. Nach einer ersten umfassenden Präsentation des damaligen Legats vor bald sechzig Jahren konzentriert sich die Kabinett-Ausstellung «Dürer. Meisterstiche» auf die Highlights.

Zur Ausstellung erscheint eine hochwertige Publikation mit Beiträgen des Konservators Bernhard von Waldkirch und der Kunsthistorikerin Magdalena Schindler.

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Dürer. Meisterstiche
Albrecht Dürer