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Ed Atkins ist einer der markantesten und wichtigsten Künstler seiner Generation. Nach großen Ausstellungen, unter anderem im Stedelijk Museum, Amsterdam, den Serpentine Galleries in London, im Castello di Rivoli in Turin sowie dem Martin-Gropius-Bau in Berlin, zeigt das Kunsthaus Bregenz nun Atkins’ bislang größte Einzelausstellung und seine erste in Österreich.

Ed Atkins’ künstlerische Praxis umfasst neben der Produktion von Videos auch Schreiben und Zeichnen. Dabei eröffnet sich ein komplexer und zutiefst reflektierter Diskurs, in dem es um Akte des Definierens geht und die Unmöglichkeit einer adäquaten Darstellung der physischen Welt. Insbesondere die Darstellung des menschlichen Körpers wird auf fast manische Weise durchgespielt —in Werken, die im Spektrum von computergenerierten Bildern (CGI) bis hin zu trivialer Lyrik reichen. Im Zentrum von Atkins’ Arbeiten steht dabei häufig eine nicht näher identifizierte Figur, ein Stellvertreter, dem Atkins durch seine eigene Stimme Leben einhaucht. Die Figur befindet sich in alltäglichen Situationen der Verzweiflung, Angst, Komik oder Frustration.

Atkins’ Arbeiten sind durchdrungen von Sentimentalität – Traurigkeit, Schönheit und Verwandlungen wechseln sich in rasantem Tempo paranoider Gedanken ab. Eindringliche Bilder, vertraute Musikstücke oder ergreifende Appelle werden durch Schnitte abrupt unterbrochen, zerstört oder in letzter Minute sabotiert. Tief empfundene Zuneigung und Phasen der Empathie schwingen mit. Es sind solche Empfindungen, die Atkins’ Arbeiten so eindrücklich wirken lassen: Künstlicher Realismus und romantische Üppigkeit modellieren Gefühle, die sich im wirklichen Leben nur zu oft als unsagbar erweisen.

Im Erdgeschoss des KUB konfrontiert die Mehrkanal-Videoarbeit Safe Conduct die Besucher/innen mit der wahnwitzigen Parodie eines Demonstrationsvideos, wie man es an der Sicherheitsschleuse eines Flughafens findet: ein verbissen humoristischer Ein-Personen-Tanz, der im Takt zu Ravels Bolero zunehmend eskaliert. Safe Conduct ist ein Reigen, in dem behördliches Protokoll und digital gerenderte Körper mit Schlachthausszenarien und Metalldetektoren zusammentreffen. Der Titel evoziert die vordergründig bestechende Ausdrucksweise amtlicher Richtlinien: Safe Conduct bezieht sich zum einen auf das per Dokument genehmigte ‚sichere Geleit’, das auserwählten Personen von staatlicher Seite garantiert wird, und zum anderen verweist der Ausdruck auf die Autobiografie des russischen Dichters Boris Pasternak, die in englischer Sprache 1958 unter ebendiesem Titel erschien.

Old Food, eine Werkgruppe, die der Künstler mit jeder Ausstellung erweitert, ist im ersten Obergeschoss zu sehen. Hier versetzt Atkins uns in eine pseudohistorische Welt aus bäuerlichen, bukolischen Landschaften und ewigem Ruin. Unablässig fließen bei den Protagonisten die Tränen, ohne Aussicht auf Erlösung. Unterdessen geistert eine auf dem Klavier gespielte Tonfolge in endloser Wiederholung durch den Raum, Menschenmassen kommen zu Fall und ungenießbare, unmögliche Sandwiches entstehen und zerfallen in reißerischen Werbespots. Theaterkostüme aus dem Fundus der Bregenzer Festspiele werden so gezeigt, wie sie auch im Lager aufbewahrt werden: Sie kreisen das Publikum ein. Ihre scheinbar zahllose Präsenz unterstreicht die Abwesenheit von Körpern und macht begreifbar, wie das Theater versucht, Geschichte zu neuem Leben zu erwecken – durch romantisierende Fiktionalität.

Die Videoarbeiten in den oberen Stockwerken verwandeln das KUB in einen nächtlichen, traumähnlichen Ort. Häusliches Leben wird erschüttert. Wir begegnen der Hauptfigur der Arbeit Hisser in seinem mit Ikea vollgestopften Schlafzimmer im Verlauf einer endlosen Nacht und erleben ihn in einem verhängnisvollen Dämmerzustand. Aus der unentrinnbaren Spirale aus Einsamkeit und Verwirrung, scheint nur ein einziger schreckenerregender Ausweg möglich. Als Hymne an verlorene Liebe, Demenz und Zahlen erwartet die Besucher/innen im obersten Stockwerk Happy Birthday!!!, kaum verstummt, beginnt die Videoarbeit gleich darauf aufs Neue. Wie überall in Atkins’ Ausstellung wird das Medium auch hier zur Metapher. Videos wiederholen sich, als sei ihr Erinnerungsvermögen quälend kurzzeitig, computergenerierte Figuren weinen und flehen – noch lange, nachdem der Grund für ihre Erregung für immer verschwunden ist.

Mit seiner Präsenz und ikonischen Architektur bietet das Kunsthaus Bregenz die ideale Bühne für Ed Atkins’ künstlich erzeugten Realismus. Ausschließlich mit computergeneriertem Bildmaterial hergestellt, ist alles in Atkins’ Präsentation als Fake,als Lüge erkennbar: sei es Nostalgie, Geschichte, Fortschritt, authentisches Leben oder Identität. erwecken –durch romantisierende Fiktionalität.