press release only in german

Eröffnung: 18.09.2015

In seiner Debüt-Ausstellung als künstlerischer Leiter des NRW-Forum Düsseldorf sprengt Alain Bieber Genre-Grenzen und präsentiert einen Mix aus Hoch- und Populärkultur – zu sehen vom 19. September 2015 bis 17. Januar 2016

„Ich fotografiere, ich dokumentiere – also bin ich“. EGO UPDATE. Die Zukunft der digita-len Identität dreht sich um das Phänomen „Selfie“ und thematisiert, wie sich die Grund-frage der Menschheit „Wer bin ich?“ unter dem Einfluss digitaler Medien ausprägt, verändert und weiterentwickelt. Wie greift das digitale und technologische Weltgeschehen in die menschliche Identität ein – und was für eine Gesellschaft wird am Schluss dabei her-auskommen? Wie werden unsere Identitätsvorstellungen und Wünsche durch digitale Kommunikation geprägt oder erschaffen?

EGO UPDATE. Die Zukunft der digitalen Identität liefert mit 23 internationalen und natio-nalen Positionen Denkanstöße und mögliche Antworten; beteiligt sind: Kim Asendorf, LaTurbo Avedon, Evan Baden, Arvida Byström, Kurt Caviezel, Robbie Cooper, Heather Dewey-Hagborg, MC Fitti, Alison Jackson, Erik Kessels, Florian Kuhlmann, Dafna Maimon, Netro, Onformative, Ontheroofs, Martin Parr, Evan Roth, Andreas Schmidt, Gui-do Segni, Oliver Sieber, David Slater, Amalia Ulman und Jonas Unger. Das filmische Begleitprogramm stellen Stéphane Degoutin und Gwenola Wagon, Janez Janša, Nicolas Ritter, Stéphane Carrel, Lutz Mommartz und Lynn Hershman Leeson.

Die Gruppenausstellung ist vom 19. September 2015 bis 17. Januar 2016 im NRW-Forum Düsseldorf zu sehen. Sie ist die erste kuratorische Arbeit von Alain Bieber als künstlerischer Leiter des Hauses und ein Kooperationsprojekt mit dem Goethe-Institut. Das digitale, künstlerische Ich Selfies – 25 Millionen Deutsche machen die fotografischen, auf Armeslänge eigens aufgenommenen Selbstporträts. „Selfie“ wurde 2013 zum englischen Wort des Jahres ge-kürt. Und 2014 erhob das Time magazine: Düsseldorf ist die Selfie-Hauptstadt der Bun-desrepublik. Die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt landet im internationalen Ver-gleich auf Platz 136 – weit vor Berlin oder Hamburg.

Aus der Grundfrage der Menschheit „Wer bin ich?“ leitet sich die Frage „Wer will (oder: soll) ich sein?“ ab. Diese Frage beschäftigt Philosophie, Wirtschaft, Moral, Theologie wie Politik gleichermaßen und sie materialisiert sich in gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Ausdrucksformen. Das Selbstbild ist im Netz wesentlich bestimmbarer als in vordigitalen Zeiten. Das digitale Ich ist agil, aktiv – und kreativ. Und es wird immer künst-lerischer: Im Selfie wird das Real Life wie auf einer Bühne inszeniert, auf Twitter tummeln sich Aphorismen und Aperçu, in Internetvideos finden sich Monologe, Tanzvorstellungen, Performances und Internet-Memes setzen Bilder durch das Hinzufügen von Text in einen anderen Kontext. Jeder ist in der Lage, sein virtuelles Wunschbild zu schaffen. Zeitgleich existiert gerade im digitalen Kulturraum das Bedürfnis danach, als „man selbst“ zu sprechen. Das wahre Ich kann der Versuchung nicht widerstehen und gibt sich öffentlich preis – Problematiken des Datenschutzes, der Persönlichkeitsrechte ignorierend oder hinneh-mend.

Selfie, du, er, sie, es – erste Einblicke in die Ausstellung

Mal blickt er aus einem Haimaul, posiert mit Wladimir Putin im selben Kartate-Outfit oder steht vor einem Jesus mit Nimbus. Wenn MARTIN PARR reist, lässt er sich in lokalen Fotostudios porträtieren. Ganz bewusst überlässt der britische Magnum-Fotograf dem Beauftragten die freie Wahl bei der Inszenierung und Bildgestaltung. Die Serie Autoportrait (seit 1991) ist nicht nur humoristisch, sondern spiegelt eine globale Soziologie des fotografischen Geschmacks wieder und zeigt die nahezu unendliche Vielfalt der Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung.

Zu EGO UPDATE wird im NRW-Forum Düsseldorf ein Magnum Photobooth aufgestellt. Besucher haben die Gelegenheit, sich in diesem Fotoautomaten im Stil von weltbekannten Magnum-Fotografen ablichten zu lassen.

In einer Zeit, als Selfies noch kein pop-kulturelles Massenphänomen waren, drückte der in Paris lebende deutsche Fotograf JONAS UNGER Prominenten analoge Quicksnap-Kameras in die Hand und bat sie um ein selbstausgelöstes Porträt. EGO UPDATE zeigt diese Autoportraits wie beispielsweise von Supermodel Karolína Kurková oder Fußballtrainer „Jogi“ Löw.

Als „lebendes Selfie“ kann zweifelsohne DIRK WITEK a.k.a. MC FITTI, bezeichnet werden. Der deutsche Feel-Good-Rapper mit stattlichem Vollbart, verspiegleter Sonnenbrille und Snapback knipst was das Zeug hält und montiert sein markantes Antlitz regelmäßig in abgedrehte Collagen oder Fotos. Zu EGO UPDATE lässt er sich in Bronze gießen: Seine Büste mit Selfie-Arm geht dann auf Reise durch verschiedene Sommer-HotSpots wie Museen und Festivals. Pünktlich zum Ausstellungsbeginn im September erreicht sie das NRW-Forum Düsseldorf, wo sie in einer für sie gebauten Kapelle ihren Platz findet und Fotos ihrer Reise ausgestellt werden. Zusätzlich gibt MC Fitti am 19. September 2015 ein Performance-Konzert im Ausstellungshaus am Ehrenhof.

Wolf of Wallstreet-Star Margot Robbie, Sängerin Taylor Swift oder Model Rosie Huntington-Whiteley haben es bereits gemacht: Ballett-Selfies. Zu EGO UPDATE bringt DAFNA MAIMON mit ihrer Performance den Trend am 12. Dezember 2015 nach Düsseldorf. Zudem präsentiert sie eine Videoarbeit.

ERIK KESSELS ist zum Star der Found-Footage-Szene avanciert. Der niederländische Künstler und Kurator gestaltet aus unbekannten Fotos skurrile Bildergeschichten. In EGO UPDATE wird er wahrscheinlich eine neue Arbeit präsentieren. Darüber hinaus wird die von ihm mitbegründete Kreativagentur KesselsKramer das neue Corporate Design des NRW-Forum Düsseldorf gestalten.

Eine Urheberrechtsdebatte entfesselten die sogenannten Affenselfies, die bei Veröffentlichung 2011 weltweit für Schlagzeilen sorgten: Ein Schopfaffenweibchen schnappte sich die Kamera des Fotografen DAVID SLATER. Als Wikipedia eines der tierischen Selbstporträts in den englischen Artikel zum Primaten einband, widersprach Slater. Die Online-Enzyklopädie weigert sich, das Bild offline zu nehmen und stützt sich auf die US-Copyright-Behörde. In Großbritannien ist die Rechtslage allerdings anders. Dort können Fotografen das Recht auf ihr Bild beanspruchen, auch wenn sie nicht selbst den Auslöser gedrückt haben. Der Ausgang des Verfahrens ist noch offen.

Exhibitionismus und Überwachung: KURT CAVIEZELS Set ist das Internet, seine Kamera die Webcam anderer. Der Schweizer besucht im Netz allgemein zugängliche Webcams des öffentlichen wie privaten Raumes. Er sammelt diese Bilder, bevor sie wieder überschrieben werden. Bereits über drei Milliarden solcher Einblicke hat er archiviert. Mit The Users wird der Betrachter wie Caviezel zum Voyeur des Alltags.

Ein intimer Moment, über das Smartphone ist schnell das Selfie in lasziver Pose an den Partner geschickt und wie frivol ist Online-Sex vor der Webcam, denn alles geht von einem geschützten Ort zum anderen. Richtig prickelnd wird es jedoch, wenn dieses Material weitergeleitet oder in sozialen Netzwerken öffentlich gepostet und geteilt wird. Dass das Gefühl von einer Privatsphäre im World Wide Web bloß eine Illusion ist, zeigt EVAN BADEN mit seiner Foto-Serie Technically Intimate (2008–2011).

Die Themen Weiblichkeit, Sex, Geschlechterrollen und Identitätsfindung finden sich in den Arbeiten der Schwedin ARVIDA BYSTRÖM. Die heute in London lebende 22-Jährige fotografiert sich oftmals selbst, Glitzer und die Farbe Pink spielt eine wesentliche Rolle – und das subversive Moment.

Das Zeigen des Mittelfingers gilt in vielen Kulturen als beleidigende Geste. Der italienische Künstler GUIDO SEGNI setzt sie in seiner Serie The Middle Finger Response (2013) in den Fokus: Er bat sogenannte Crowdworker, deren Arbeit schlecht bezahlt wird und sie deshalb als digitales Proletariat bezeichnet werden können, ein spontanes Porträt von sich über die Webcam mit der eindeutigen Gebärde zu machen.

Mit einem Point-of-View-Shot lassen Vitaliy Raskalov und Vadim Makhorov den Betrachter an ihren Erlebnissen teilhaben. Sein Blick wird zu ihrem. Als ONTHEROOF klettern die 21- und 25-jährigen Fotografen aus der Ukraine und Russland auf die höchsten Gebäude in den USA, China, den Vereinigten Arabischen Emirate. Immer im Gepäck: Eine Kamera.

Das Ich und das Alter Ego

ROBBIE COOPER ist den Gamern auf der Spur: Der britische Fotograf bildet in seiner Serie Alter Ego Online-Spieler von der ganzen Welt und ihre Avatare ab. Avatare sind selbsterstellte Grafikfiguren, mit denen User in der virtuellen Welt auftreten. Immersion zeigt in sich versunkene, junge Computerspieler und ihre Reaktionen aus der Perspektive des Monitors. Sowohl die Fotoserie als auch die Videos sind in der Ausstellung EGO UPDATE vertreten.

Ohne soziale Netzwerke gäbe es diese Künstlerin nicht, denn sie existiert nur als weiblicher Avatar: LATURBO AVEDON. Wer mehr über sie wissen wolle, müsse googlen – verriet sie in einem E-Mail-Interview. Ihre digitalen Erfahrungen bilden ihre Identität, jeder neue Online-Account sei eine Charaktererstellung. Zu EGO UPDATE wird die virtuelle Künstlerin Arbeiten im realen Ausstellungsraum präsentieren.

Dem japanischen Verkleidungstrend Cosplay (Kofferwort aus „costume“ und „play“) widmet sich OLIVER SIEBER in seiner Serie Character Thieves. Cosplayer tragen die Kostüme von Figuren aus Mangas, Animes, Computerspielen oder Filmen und nehmen auch ihr Verhalten an. Der Düsseldorfer Fotograf lichtete sie über mehrere Jahre in ihrem zweiten Ich, jedoch in ihrer gewohnten Umgebung ab – und reiste deshalb durch Japan, die USA, Kanada und Deutschland.

Wenn Queen Elizabeth ein Gruppenselfie mit Enkel William und dessen Frau Kate mit dem kleinen George macht, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ALISON JACKSON dahintersteckt. Die Fotografin und Videokünstlerin ist dafür bekannt, mit Doppelgängern berühmter Persönlichkeiten intime Situationen zu inszenieren. Eine perfekte Täuschung.

Ist das Kunst, ist es eine Fälschung oder eine gefälschte Fälschung? Der deutsche Künstler ANDREAS SCHMIDT zeigt 19 Abbildungen, auf denen berühmte Künstler wie Roy Lichtenstein, Andy Warhol oder Gerhard Richter neben ihren Arbeiten stehen. Doch der Schein trügt: Die Serie Fake Fake Art zeigt nicht die wahre Szenerie. Schmidt veränderte die Originalaufnahmen der eigentlichen Foto-Reihe „Real Fake Art“ von Michael Wolf, die weltbekannte Kunstwerke und ihre Fälscher ablichtet.

Die DNA trägt unsere Erbinformation und definiert uns. HEATHER DEWEY-HAGBORG stellt mittels gefundener DNA – beispielsweise verlorene Haare, ausgespuckte Kaugummis oder weggeworfene Zigarettenstummel – computergenerierte 3-D-Porträts her. Mit dem Kunstprojekt Stranger Visions möchte die Vertreterin der „information art“ und Biohackerin auf die Gefahren der genetischen Überwachung aufmerksam machen.

Kunst im Netz oder im realen Raum?

EGO UPDATE präsentiert die Kunst nicht im sterilen White Cube. Für einige Arbeiten ist eine konstante Internetgeschwindigkeit von Nöten. So startet die Ausstellung mit einer Livestreaming-Onlineperformance The Artist is present von FLORIAN KUHLMANN. Zur Eröffnung am 18. September 2015 wird der Netzkünstler per Webcam von seinem eigenen zu Hause ins NRW-Forum Düsseldorf geschaltet.

Eine vollkommen digitale Arbeit ist die des Berliner Netzkünstlers KIM ASENDORF und seiner Kreativagentur NETRO: Auf der Website des NRW-Forum Düsseldorf wird die virtuelle Sitcom TEH LIFE zu sehen sein. Außerdem bei EGO UPDATE: Asendorfs Selfie-Templates. Die Vorlage ist ein Spiegel-Selfie, aus dem er das Gesicht des Selbstporträtierten geschnitten und das er auf einen Spiegel geklebt hat. So kann der Betrachter das entstandene Loch mit seinem eigenen Gesicht füllen.

Performancekunst auf Instagram: AMALIA ULMAN nutzte ihre Social Media-Profile für die Online-Performance Excellences & Perfections (2014). In der fünfmonatigen, geskripteten Aktion auf der Foto-und Video-Sharing-App unterzog sie sich einem extremen, teilweise fiktionalen Makeover. Durch ihre öffentlich gemachten Veränderungen konzipierte Ulman einen Boykott ihrer eigentlichen Online-Persönlichkeit.

Bilder mittels Codes erzeugen. Mit generativer Gestaltung beschäftigt sich die Berliner Agentur ONFORMATIVE von CEDRIC KIEFER und JULIA LAUB. EGO UPDATE zeigt die Arbeiten Google Faces: Sie sind entstanden durch einen Facetracking Algorithmus. Dieser entdeckte über Google Maps verschiedenste Gesichter in Landschaften. Das Projekt entstand, um das psychologische Phänomen der Pareidolie maschinengeneriert hervorzurufen.

EVAN ROTH ist selbst ernannter Hacker-Künstler. In seiner Rauminstallation Ideas Worth Spreading können Besucher ihren eigenen TED-Vortrag kreieren. Außerdem ist er mit dem Wallpaper Internet Cache Portrait bei EGO UPDATE vertreten: Das ist sein virtuelles Selbstporträt, quasi sein digitaler Fingerabdruck.

*

Begleitprogramm

Welterste Cyborg-Messe

Anlässlich EGO UPDATE. Die Zukunft der digitalen Identität findet im NRW-Forum Düs-seldorf vom 6. bis 8. November 2015 die welterste Cyborg-Messe statt. Mitorganisiert und co-kuratiert wird die Veranstaltung unter anderem von dem Cyborg e.V., der Gesellschaft zur Förderung und kritischen Begleitung der Verschmelzung von Mensch und Technik. Geplant sind Messestände, Vorträge und Live-Acts wie Performances oder Konzerte.

Streaming Egos – digitale Identitäten in Europa ist ein Projekt der Goethe-Institute in Südwesteuropa in Kooperation mit dem Slow Media Institut (Bonn) und dem NRW-Forum Düsseldorf. Es geht, ebenso wie in der Ausstellung EGO UPDATE. Die Zukunft der digitalen Identität, um die Einwirkung digitaler Kommunikation auf die Grundfrage der Menschheit „Wer bin ich?“. Das Projekt konzentriert sich dabei aber auf die kollektive Version der Frage: „Wer sind wir?“ – als gesellschaftliche Gruppe oder auch als Nation, als Europäer. Es sollen Diskurse und künstlerische Ausdrucksformen von digitaler Identität in den einzelnen Ländern angeregt, kreativ entwickelt, untersucht und präsentiert werden. Die initiierten nationalen Diskurse gehen in transnationale Themendiskurse über und ermöglichen eine europäische Perspektive auf individuelle wie kollektive Identitäten und wie sich diese in Zukunft mit den Potentialen digitaler Kultur weiterentfalten können.

Die „Identity Convention“ am 15. und 16. Januar 2016 im NRW-Forum Düsseldorf ist Teil dieses Projekts. Kuratiert wird es von Sabria David vom Slow Media Institut (Bonn), die Projektverantwortliche ist Ulla Wester vom Goethe-Institut Paris.