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Vernissage: Freitag, 24. Oktober 2008, 20h

Subjective Events, Sometimes Recorded

Umgangssprachlich umfasst der Begriff „Ereignis“ zwei verschiedene Bedeutungen: einmal ein Ereignis, das Grenzen übertritt, oder eines, das sie im Gegenteil bekräftigt. Das eine ist destruktiv, das andere restriktiv; das eine ähnelt dem Chaos einer Revolution, das andere gleicht einer peinlich genau ausgeführten Zeremonie mit einem strikten Regelwerk. Die Arbeiten in der Ausstellung konzentrieren sich auf die zweite Bedeutung: Sie kommentieren zeitgenössische Rituale oder ein besonderes Interesse an sozialen Codes, die oftmals in Krisenzeiten wiederbelebt werden. Die KünstlerInnen untersuchen, wie sich sogenannte „wendige Persönlichkeiten“ auf Vorgänge mit spezifischen und hauptsächlich selbstauferlegten Regeln einlassen, indem sie Beispiele heutiger ritueller Verhaltensweisen aufnehmen, inszenieren oder nachspielen.

Die Gruppe Reinigungsgesellschaft beobachtet BewohnerInnen des Berliner Bezirks Marzahn dabei, wie sie den neu eröffneten Japanischen Garten besuchen. Alexander Vaindorf untersucht einige ungewöhnliche Therapiesitzungen, Katarina Zdjelar filmt einen Amateur- Chor dabei, wie dieser John Lennons „Revolution“ singt, und Ana Hušman verspottet ein perfektes Abendessen mit geladenen Gästen. Man könnte sagen, dass die TeilnehmerInnen oder SchauspielerInnen in diesen Videos sich selbst spielen, während sie Grenzen erproben. Indem sie diese freiwilligen ‚zeremoniellen Verhaltensweisen’, die heutzutage derart um sich greifen, analysieren, lenken die KünstlerInnen in der Ausstellung unsere Aufmerksamkeit auf aktuelle Veränderungen in der Bedeutung von Grenzen und sozialen Verboten.

Mit dem Begriff „Subjective Event“ – eine Erfahrung, die nicht bewiesen werden kann und deren Existenz keinesfalls sicher ist – umschreibt die Ausstellung das Spannungsfeld zwischen der Inszenierung alltäglicher und unbegreiflicher Aktionen als Ausgangsmaterial für künstlerische Arbeiten. Yevgeny Fiks spielt subversive Gesten und Interventionen nach, die für das allgemeine Publikum völlig unauffällig und beinah unsichtbar sind. Indem er speziell hergestellte Briefmarken mit den Gesichtern ehemaliger Vorsitzender der Amerikanischen Kommunistischen Partei verwendet, um seine Rechnungen zu bezahlen, macht Fiks aus einem Ritual der kapitalistischen Weltordnung – Rechnungen bei Gesellschaften zu bezahlen – eine Gedenkfeier für die amerikanische kommunistische Bewegung. Kent Hansen und Jo Zan von DEM führen bei tv-tv ein „emanzipatorisches Experiment“ durch, indem sie zufälligen Gruppen eine Kamera übergeben. Sie ziehen den Schluss, dass die aufgenommenen Filme nie über persönliche Erzählungen hinaus gehen. Schlussendlich rekontextualisieren einige Werke gut sichtbare öffentliche Ereignisse als eine Art „Subjective Event“. Das gefundene Filmmaterial von Staatsbesuchen diverserer Staatoberhäuptern in Frankreich, das Frank Leibovici Giulia Di Leonarda und Armin Linke verwendet, oder Durchsuchungen auf dem Flughafen von Gulnara Kasmalieva and Muratbek Djumaliev verändern ihre mögliche Lesart durch Kontextverschiebungen. Diese Rituale, die die KünstlerInnen beobachtet haben, kollabieren in bedeutungslose Wiederholungen, die nie zu jener Handlung werden, die sie versprechen.

Elena Sorokina, 2008

Elena Sorokina ist Kuratorin und Autorin, lebt in Paris und Brüssel. Sie hatte ein Whitney ISP fellowship inne und kuratierte die Ausstellungen Petroliana auf der Moscow Biennial 2007, Laws of Relativity in der Fondazione Sandretto Re Rebaudengo, Turin, und On Traders' Dilemmas am YBCA, San Francisco. Sie schreibt für Artforum, Moscow Art Magazine und andere Publikationen.

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Kuratoren aus Ost- und Mitteleuropa II:

Elena Sorokina
Subjective Events, Sometimes Recorded

Künstler: Reinigungsgesellschaft , Alexander Vaindorf, Katarina Zdjelar, Ana Husman, Yevgeniy Fiks, Kent Hansen, Jo Zan / DEM , Frank Leibovici Giulia Di Leonarda, Armin Linke, Gulnara Kasmalieva, Muratbek Djumaliev