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11. September – 28. November 2021
Eröffnung: Freitag, 10. September 2021, 18–21 Uhr

Éric Baudelaire. Death Passed My Way and Stuck This Flower in My Mouth

Der Filmemacher und Künstler Éric Baudelaire (*1973 in Salt Lake City/US, lebt und arbeitet in Paris/FR) präsentiert in der Kunst Halle Sankt Gallen eine Serie von Werken, die im letzten Jahr entstanden sind. Brennende The- men der Gegenwart bilden die inhaltliche Klammer für die Neuproduktionen des Künstlers, der 2019 mit dem ‹Prix Marcel Duchamp› ausgezeichnet wurde. Besonderes Interesse seiner forschungsbasierten Praxis gilt der Entwicklung einer künstlerischen Sprache zur Erkundung einer von Repräsentationssyste- men geprägten Realität, die die gesellschaftliche und individuelle Erfah- rung strukturiert. Für die Ausstellung realisiert Baudelaire eine raumgrei- fende Videoinstallation und weitere Arbeiten, bei denen die Blume – real und metaphorisch – als Ausgangspunkt zur Erforschung der ‘conditio humana’ im Moment globaler Krisen dient.

Im Zentrum des Mehrkanal-Films im ersten Raum der Ausstellung steht die grösste Kühlhalle Europas, in der jeden Morgen 46 Millionen Blumen aus Far- men in Afrika und Südamerika eingeflogen und versteigert werden. Die Arbeit in der Kühlhalle ist in Form einer hypnotischen, visuellen Anthropologie gefilmt, die gleichzeitig verführt, weil Blumen etwas Schönes sein können, und beunruhigt, weil das ökologische Ausmass dieses globalisierten Handels offenbart wird. Die dokumentarischen Aufnahmen verbindet Baudelaire mit Szenen eines fiktiven Beobachters, der nachts durch die Strassen streift: Sie sind inspiriert von Luigi Pirandellos Theaterstück L'Uomo dal Fiore in Bocca (1922) (dt: Der Mann mit einer Blume in seinem Mund). Die Blume, die auch der Ausstellung ihren Titel gibt, ist Referenz für ein Epitheliom, ein Tumor, der zu der Zeit als Pirandello das Stück schrieb eine unheilbare Krankheit war. Der Protagonist, dem Tod nahe, projiziert sich durch Gesprä- che mit Fremden und intensiven Beobachtungen in die kleinsten Details sei- ner Umgebung; ein Versuch seinem drohenden Schicksal zu entgehen. Pirandel- los Theaterstück dient Baudelaire als Ausgangspunkt und Versatzstück, um eine narrative Ordnung zu schaffen, in der unsere Beziehung zur Welt und deren Endlichkeit thematisiert wird.

Flüchtige Augenblicke und zyklische Prozesse bilden ein Raster in der Aus- stellung. Die ephemere Lebensdauer der Blumen kontrastiert den unendlich erscheinenden, maschinellen Kreislauf des Marktes und liest sich als Zei- chen jener Verletzlichkeit, die der Natur und Gesellschaft innewohnt. Die während der Pandemie gesammelten statistischen Daten, die Baudelaire in skulpturale Wachsreliefs übersetzt, erweitern seine Formensprache und schaffen eine lockere Poesie der Blumen, drohenden Katastrophen, Krankhei- ten und wirtschaftlichen Prozesse, während sie die Frage nach ihrer Reprä- sentation aufwerfen. Indem Baudelaire die Bilder, die unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit prägen, auf verschiedene Ebenen projiziert, ermöglicht er uns, ein eigenes Netz an Verbindungen zu knüpfen; nicht als Illusion eines Ganzen, sondern als fragmentierte, schmerzhafte und lyrische Schichten.

Éric Baudelaire
*1973, Salt Lake City/US) lebt und arbeitet in Paris/FR.