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Vom 5. Oktober 2007 bis 13. Januar 2008 zeigt das Kunsthaus Zürich rund 90 Gemälde von Félix Vallotton (1865-1925). Der auch im Kreis der Nabis-Künstler arbeitende Schweizer Avantgardist scheute in seinen Portraits und Interieur-Szenen weder karikierende Anspielungen noch wahrte er den Schein der bürgerlichen Idylle. In seinem fotografischen und psychologisierenden Blick klingen formale Elemente an, die im Surrealismus, der Neuen Sachlichkeit und in der Metaphysischen Malerei stilbildend werden sollten.

Félix Vallotton gilt als intelligenter Beobachter seiner Zeit. Kritisch und ironisch ging er mit bürgerlichen Konventionen um. Seine messerscharfen «Körperportraits», die für die Zeitgenossen die Grenze des Erträglichen übersprangen, machten ihn zu einem international beachteten Künstler. In Lausanne geboren, studierte er in Paris im Kreis der Künstlergruppe Nabis. Er arbeitete als Illustrator für avantgardistische Zeitschriften und schrieb Stücke, die wie seine Kunst bisweilen von beissendem Sarkasmus und schwarzem Humor getragen sind.

INTERIEUR UND EHEBRUCH Seine symbolhafte Bildsprache rückt ihn in die Nähe der Psychoanalyse – insbesondere, wo es um die Darstellung des Verhältnisses der Geschlechter zueinander geht, wie im Werk «La Visite» (1899). Das Gemälde, dessen Szene aus einem gesellschaftskritischen Theaterstück von Ibsen oder Strindberg geschnitten scheint, zeigt, wie sich eine Dame der Gesellschaft die Freiheit nimmt, die Wohnung ihres Liebhabers aufzusuchen. Neben Eingefrorenheit und Statik zeichnen sich diese wie andere Interieurszenen durch eine knisternde Spannung aus.

ENTBLÖSSUNGEN MIT FOTOGRAFISCHEM BLICK Der Schwerpunkt der insgesamt 90 Exponate liegt bei Aktbildern, die Frauen in stilisierten Umgebungen zeigen. Vallottons unverblümte Darstellung eines nackten weiblichen Körpers – das kann ein sanftes Schielen, zwei unterschiedlich geformte Brüste, ein tiefer Haaransatz oder eine seltene Farbe der Iris sein – haben viele seiner Zeitgenossen irritiert. Denn obwohl der Künstler malerisch und kompositorisch Elemente von Klassizisten wie Ingres aufnahm, brach er mit dem idealisierten Akt. Was bei Vallotton als Hang zur Deformation interpretiert werden könnte, ist zu allererst der Versuch, die weibliche Figur mit den Mitteln der Malerei zu beschreiben, ohne sie zu idealisieren, ihr vielmehr eine individuelle Gestalt zu verleihen.

MAGISCHER REALISMUS IN LANDSCHAFT UND STILLLEBEN Unverfänglicher ist seit jeher die Gattung des Stilllebens, die ebenfalls vertreten ist. Doch bei Vallotton sind selbst diese von einer befremdlichen Künstlichkeit. Neben den «Poivrons rouges» (1915), blankpoliert auf einem jungfräulich weissen Teller präsentiert, liegt ein rot beflecktes Messer. Ist es Blut oder nur eine Spiegelung der Peperoni? Vallotton enthüllt und verhüllt zugleich. Leere Landschaften aus klar abgegrenzten Farbflächen und jähen Hell-Dunkel-Kontrasten wechseln sich mit Porträts von eigenwilliger Härte ab. Was den Impressionisten noch heilig war – das Licht, die Natur und die wissenschaftliche Zerlegung des Spektrums der Farbe – rückt Vallotton aus dem Blickfeld des Betrachters. Er seziert sein Gegenüber mit Blicken und überzieht die Gegenstände, denen er eine Bühne bereitet mit einer eigenen Seelenstimmung. In Technik und Inszenierung nimmt er dabei formale Elemente des Surrealismus, der Neuen Sachlichkeit und der Pittura Metafisica vorweg.

MYTHOLOGIE MIT IRONIE Gemälde mit historischen und mythologischen Themen bilden einen weiteren Schwerpunkt der Auswahl. In ihnen stattet der Maler Figuren mit modernem Make-Up und Frisuren aus – wie in «Persée tuant le dragon» (1910), wo er aus dem Drachen ein Krokodil werden lässt, und anstelle des traditionell an einen Felsen geketteten, schönen Opfers stellt er eine emanzipierte Frau des 20. Jahrhunderts dar, die mürrisch dreinblickend den Kampf des Mannes mit dem Ungeheuer fast unbeteiligt miterlebt. Vallottons Umgang mit literarischen Stoffen und dem Stofflichen ist ironisch und virtuos und wird im Katalog zur Ausstellung eingehend erklärt.

AUSSTELLUNGSGESCHICHTE GESTERN UND HEUTE Nach über vierzig Jahren ist dies erstmals wieder eine Einzelausstellung, die dem Publikum Félix Vallotton als bedeutenden Symbolisten der Schweizer Kunst am Beginn der Moderne näher bringt. Durch Heirat selbst Teil der Bourgeoisie geworden, blieb er ein distanzierte Beobachter unter Bürgerlichen. Gezeigt wird das gesamte Spektrum des kühnen und radikalen Künstlers, der mit wichtigen Arbeiten in der Sammlung des Kunsthaus Zürich vertreten ist. Hier fand 1909 seine erste Einzelausstellung mit rund 70 Gemälden und einem Dutzend Holzschnitten statt, zu der Mädchen keinen Zutritt hatten, weil die Aktdarstellungen als anstössig empfunden wurden. Damals erwarb die Zürcher Kunstgesellschaft direkt aus der Ausstellung das Interieur-Bild «La visite». Seitdem kamen über 20 weitere Gemälde hinzu. Diese werden durch über 70 namhafte Leihgaben aus wichtigen Schweizer und internationalen Museen und zahlreichen, selten gezeigten Werken aus Privatbesitz ergänzt. Die Ausstellung ist bis zum 13. Januar 2008 zu sehen. Sie wird von Kunsthaus-Direktor Christoph Becker und der Kunsthistorikerin Linda Schädler kuratiert.

Unterstützt von der Banca del Gottardo.

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Félix Vallotton. Idylle am Abgrund
Kurator: Christoph Becker