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In den letzten Jahren ist der Wissensstand um Vallottons Leben und Werk merklich gestiegen. Wir erachten es deshalb als sinnvoller, anstelle einer weiteren, breit angelegten Retrospektive eine Ausstellung zusammenzustellen, die sich auf einen einzigen, aber hoch interessanten Aspekt in seinem Schaffen konzentriert: das Motiv des Sonnenuntergangs. Anhand von rund 20 Holzschnitten und 60 Bildern soll diese Schau zum erstenmal sichtbar machen, welch wichtige Rolle dieses urromantische Bildmotiv in Vallottons Landschaftswerk spielte und zu welch unerhört kühnen gestalterischen Lösungen es ihn anzuspornen vermochte. Nie stiess Vallotton weiter in die Abstraktion vor als in den zwischen 1900 und 1925 gemalten «Couchers de soleil», und die verblüffende Radikalität, mit der er das Geschaute oft auf wenige horizontale Streifen und ein paar grelle, hart kontrastierende Farbtöne reduzierte, steht den gleichzeitigen Abstraktionsversuchen anderer Pioniere der Moderne wie Hodler, Munch oder Mondrian in nichts nach.

Inspirieren liess er sich zu diesem ungewöhnlichen Werkkomplex vor allem durch die berückende Meereslandschaft um Honfleur, die kleine Hafenstadt in der Normandie, in deren Nähe er seit 1909 regelmässig den Sommer verbrachte, und auch wenn andere Gegenden dargestellt sind, spiegelt sich der leuchtende Abendhimmel oft in einer grossen Wasserfläche – einem See oder einem Fluss. Vor dem Bild selber lassen sich die Motive allerdings nur selten lokalisieren. Seinen Grund hat dies vor allem darin, dass Vallotton, im Gegensatz zu seinem zwölf Jahre älteren Landsmann Hodler, seine Landschaften nicht nach der Natur malte, sondern zu Hause, in seinem Atelier, wobei ihm kleine, direkt vor dem Motiv angefertigte Bleistiftskizzen als Erinnerungshilfe dienten. Da zwischen dem Augeneindruck und der Ausführung oft Tage, Wochen, ja Monate liegen konnten, fiel die Umsetzung ins Bild gezwungenermassen sehr frei aus, und genau dies war auch Vallottons Absicht. In diesen Bildern geht es weder um topographische Erkennbarkeit noch um eine bestimmte atmosphärische Stimmung: wichtig ist vielmehr, was ein Landschaftsmotiv dank dem überlegten Einsatz von Form und Farbe im Betrachter an Gedanken und Gefühlen auszulösen vermag.

Was Vallotton auf diesem Gebiet als Maler zu leisten vermochte, war nur möglich, weil ihn viele Jahre zuvor die intensive Beschäftigung mit dem Holzschnitt zu einem völlig neuen Umgang mit den gestalterischen Mitteln gezwungen hatte: mit der Linie und der Fläche ebenso wie mit dem Helldunkel. Da hatte er gelernt, das Vielgestaltige und Flüchtige so zurechtzubiegen und zusammenzufassen, dass es sich zu einer höheren Einheit fügt, und schon da hatte er begonnen, Helligkeiten und Dunkelheiten so hart gegeneinander auszuspielen, dass eine fast quälende Spannung entsteht. Auffallend übrigens, wie häufig auch in seinem Holzschnittwerk das Motiv des Sonnenuntergangs auftritt, vielfach in Verbindung mit badenden Frauengestalten, wie später in seiner Malerei auch.

Von «komponierter Landschaft» pflegte Vallotton im Hinblick auf seine späten, stark stilisierten Landschaftsbilder zu sprechen, in bewusster Bezugnahme auf die «ideale» Landschaftsmalerei der Barockzeit, also auf Meister wie Poussin, Lorrain oder Rubens, die ebenfalls eine Vorliebe für dramatische Himmelsphänomene wie den Sonnenuntergang hatten. So gilt denn auch für Vallottons eigene Landschaftsbilder, was er einst über die Landschaftsmalerei von Rubens gesagt hat: In diesen Bildern gehe es nicht um topographische Zufälligkeiten, es handle sich vielmehr um Zurschaustellungen der Natur – «des spectacles de la nature». Rudolf Koella

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Félix Vallotton - Die Sonnenuntergänge