press release only in german

FERNANDO SÁNCHEZ CASTILLO - TLATELOLCO... WINTER GAMES 19.11.2016 - 04.02.2017

In Zusammenarbeit mit der Sala Arte Público Siqueiros und dem Centro Cultural Universitario Tlatelolco – Memorial 68, Mexico


Sound Archiv der Ausstellung:
De Tlatelolco A Tlatelolco – Produccion. Mascarones (1972)
From Tlatelolco To Tlatelolco – Produced By Mascarones (1972)

Track 1

1. Volveremos. (Testimonios De Carteles, Consignas, Canciones De México 68.) – We Will Be Back. (Witness of Boards, Signs And Songs México 68.) 
 2. Un Lugar De Javier Sánchez Arreglo: “Los Nakos” – A Place By Javier Sánchez Arreglo „Los Nakos“ 3. 2 De Octubre. De Victor Sanen – 2nd Of October. By Victor Sanen.

Track 2
1. Matanza Templo Mayor (Año 1521) (Texto Indigena)
– Slaugther of the Main Temple (Year 1521) (Native Mexican Text) 2. Ultimos Dias De Tlatelolco (Año 1521, Texto Indigena)
– Last Days of Tlatelolco (Year 1521, Native Mexican Text)
3. 6.10 P.M. Tlatelolco 1968. Un Minute De Silencio. De Mascarones
– 6:10 pm Tlatelolco 1968: One Minute of Silence. By Mascarones.  

Track 3
4. Homenaje A Los Estudiantes Mexicanos. De Angel Parra (Chile)
– Homage to the Mexican Students. By Angel Parra (Chile)

Die Ausstellung „Tlatelolco … Winter Games“ des spanischen Künstler Fernando Sánchez Castillo thematisiert die blutige Niederschlagung des Studentenaufstands in Mexiko im Jahre 1968, der kurz vor dem Beginn der Olympischen Sommerspiele sich in unterschiedlichen Studentengruppierungen formierte, um ein politisches Signal zu setzten. Die politische Diskussion war getragen von der politischen Strömung der 68er Bewegung, wie sie in Prag oder Paris stattfand. Aber auch bewegt durch das politische Klima der kubanischen Revolution oder dem vietnamesischen Widerstand. Ziel war es ein Zeichen gegen die Geldausgaben für Olympische Spiele zu setzen, um für mehr Mitbestimmung und gerechte Verteilung der Mittel für Infrastruktur und Bildung zu stehen. Diese Bewegung, die sich durch alle Fakultäten, sowie auch durch die Oberstufen der Schulen zog, fand ihren Höhepunkt mit der gewaltsamen Niederschlagung der Demonstration am 2. Oktober auf dem „Plaza de las Tres Culturas“ im Stadtteil Tlatelolco (dt. Platz der drei Kulturen). Die Kundgebung, die sich in Auflösung befand, eskalierte durch einen plötzlichen Schusswechsel, der das Militär traf und eine offensive Reaktion provozierte, und somit das Feuer auf die Studierenden eröffnete. Die Anzahl der Todesopfer ist bis heute noch nicht offiziell bestätigt, aber man geht von ca. 300 Toten und zahlreichen Festnahmen aus, bis heute blieben fast 2.000 Personen verschwunden. Heute belegen inoffizielle Dokumente, dass die ersten Schüsse von den Dächern durch Spezialeinheiten der Regierung abgegeben wurden. In der Ausstellung findet sich Archivmaterial, sowie auf Teppiche gedruckte Skizzen, die die Bewegung der demonstrierenden Studierenden durch Mexiko City, sowie am Universitätsgelände zeigen bzw. die Skizze, die den Vorfall des Schusswechsels durch dritte belegt. Der Titelzusatz „Winter Games“ bezieht sich auf Innsbruck, selbst 2-malige Olympia Stadt, aber auch jener Ort, an die die Eltern der 43 ermordeten Studierenden die Asche zur finalen DNA Analyse schickte. Jedoch waren die menschlichen Überreste derart verbrannt, dass nur 2 Personen identifiziert wurden.

Sánchez Castillo schafft herausragende Arbeiten zum Thema kommunales Gedächtnis. Während andere Künstler sich ebenfalls diesem Phänomen widmen, haben sie sich ihm in erster Linie bloß als Thema genähert, indem sie inhaltliche Kritik geübt, Form und Ästhetik ironisiert oder indem sie Einfluss auf reale Monumente genommen haben. Sánchez Castillo dagegen entwickelt, oft mit Humor, eine radikale Kritik des üblichen Diskurses von Denkmälern, in der er deren Funktion als Instrumente der Macht und Repräsentation hinterfragt.

Seine Dekonstruktion von Denkmälern ist, abgesehen von dem eben Gesagten, ein Mittel, um genauer auf die Widersprüche der Geschichte zu blicken, die Repräsentationen und Manipulationen von offiziellen Erzählungen zu unterlaufen, ihre Kanons, Helden, Diskurse und gefestigten Wahrheiten zu entmystifizieren. Geschichte ist sein Hauptthema, und seine bevorzugte Methode, sich ihr zu nähern, ist – wie im vorliegenden Fall – jene mithilfe von Dokumenten, die für ihre Konstruktion und Repräsentation maßgeblich waren. Der Künstler hat gesagt, dass er sich für die interne Geschichte der Geschichte interessiere, da sie tiefgründiger sei als die Versionen, die für den öffentlichen Konsum zurechtgemacht wurden. Seine Arbeit ist ein Versuch, die Erzählungen der Historie neu zu schreiben oder zumindest uns ihre Komplexitäten und Spuren bewusster zu machen und zu zeigen, dass Geschichte aus einer Position der Macht heraus konstruiert wird.

Die spektakulärste für diese Ausstellung gestaltete Arbeit ist eine Fortsetzung seiner Reihe von Monumenten für anonyme Helden, eine paradoxe Kanonisierung von historischen Figuren, die von der hegemonialen Repräsentation ignoriert worden sind. Der bekannteste Teil dieser Reihe ist eine kolossale Statue von Tank Man, der unbekannten Figur, die sich 1989 auf dem Tiananmen-Platz in Peking einer Kolonne von Panzern entgegenstellte und sie erfolgreich aufhielt, am Tag nach einem Massaker an Zivilisten ebendort. In der Sala de Arte Público Siqueiros präsentiert der Künstler eine große Statue – bloß einen Zentimeter kleiner als Michelangelos David – von einem anonymen Studenten, festgenommen in Tlatelolco, dessen Abbild er einem Foto von den Ereignissen entlehnt hat. Wie beim Tank Man ist dies die Statue eines Helden, dessen Identität unbekannt ist. Sein Gesicht bleibt für immer verborgen, da wir in dem berüchtigten Foto nur seinen Rücken sehen. Es gibt verschiedene Bilder, die dokumentieren, wie die festgenommenen Studenten in Tlatelolco von Soldaten gezwungen wurden, ihre Hosen runterzulassen, um zu beweisen, dass sie nicht bewaffnet waren, und sie so erniedrigten und in eine Situation von moralischer und physischer Hilflosigkeit versetzten. Die bombastische Darstellung eines dieser namenlosen Studenten schafft eine offensichtlich paradoxe Spannung, dank der Monumentalisierung eines hilflosen Opfers, das in eine erniedrigende Position gezwungen wurde, anstelle der Erhöhung eines Helden oder eines Anführers durch verschiedene Posen. Diese Geste invertiert die übliche und offizielle Rhetorik der Erinnerung. Das Denkmal lenkt unsere Aufmerksamkeit auch auf eine weniger offensichtliche, aber trotzdem wichtige Tatsache in Bezug auf die Unterdrückung von Tlatelolco: die große Zahl von Personen, die während des Ereignisses und danach inhaftiert wurden.

Die Ausstellung zeigt auf Teppiche gedrucktes Archivmaterial, unter anderem die Demonstrations-Route der Studierenden, den Grundriss der Universität, wie auch die Karte des „Plaza de las Tres Culturas“, auf der die Standorte der Scharfschützen und ihrer Schusswinkel eingezeichnet sind. Das Originaldiagram tauchte zwischen den Akten von General Marcelino García Barragán auf, der während des Massakers Verteidigungsminister war und dessen Archive nach seinem Tod, und auf Wunsch des Generals selbst, von seiner Familie dem Journalisten Julio Scherer übergeben wurden. Die Karte dokumentiert die Taten der Scharfschützen, die, dank dieser und anderer Quellen als Regierungsagenten entlarvt worden sind. Die Mitglieder des Olympia Battalion, die für den Generalstab des Präsidenten arbeiteten, führten eine geheime Operation durch, auf höchster Ebene dazu konzipiert, die Armee zu provozieren, gegen die Studenten vorzugehen, indem man sowohl auf die Uniformierten als auch auf die Demonstranten schoss. Das Diagramm zeigt also den verborgenen Auslöser hinter dem Massaker, das Zentrum eines sogar noch mysteriöseren Plans.

Die zentrale Arbeit der Ausstellung ist ein Video, das den Flug einer Drohne über Tlatelolco zeigt. Auf Basis der vorhandenen Dokumentation vollzieht es den Flug eines Helikopters über den Schauplatz am Tag der Vorkommnisse nach, als eine Art fiktive Nachstellung von Geschichte. Das Video illustriert eine Lichtaktion auf der Plaza, die mithilfe von grünen und roten Leuchtfackeln die Pyrotechnik nachahmt, welche den Beginn der Militäraktion im Jahr 1968 signalisierte, und kulminiert in einem weißen Licht, das die symbolische Komposition der mexikanischen Flagge abbildet – eine posthume Hommage. Dreiundvierzig Granaten wurden für die Produktion des Videos eingesetzt, dieselbe Zahl – laut der Dokumente von García Barragán – wie jene der Todesopfer des 2. Oktober, eine Chiffre, die in einer bedeutungsvollen Koinzidenz ebenso mit der Zahl jener Studenten korrespondiert, die im September 2014 in Ayotzinapa verschwanden, wodurch die Würdigung auf die gegenwärtigen Opfer einer Geschichte ausgeweitet wird, die sich im Kreis dreht. Andere Arbeiten, Dokumente und Bilder komplettieren dieses Projekt. Sein Titel spielt auf einen Satz an, der fälschlicherweise einem Nachrichten-Kommentator zugeschrieben wurde, der aber in der kollektiven Vorstellung des Massakers als eloquentes Zeichen für die Verschleierungen der Geschichte haften geblieben ist.

Karin Pernegger, unter der Hinzunahme von ausgewählten Passagen des Textes von Gerardo Mosquera, Kurator der Sala Arte Público Siqueiros und des Centro Cultural Universitario Tlatelolco – Memorial 68, Mexico