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Eröffnung: 20.09.2007, 19.00

Die Kooperation zwischen der Pinakothek der Moderne und dem Siemens Arts Program, die mit der Übergabe der Siemens Fotosammlung im Jahre 2003 begonnen hat, findet nun eine Fortsetzung: Gemeinsam erarbeiteten die Kuratorinnen Inka Graeve Ingelmann (Pinakothek der Moderne) und Angelika Nollert (Siemens Arts Program) die Ausstellung »Fiona Tan | 80 Tage«. Sie gibt Gelegenheit zu einer konzentrierten Betrachtung der jüngeren Foto-, Film- und Videokunst der in Amsterdam lebenden Künstlerin. Zu sehen sind sieben Film- und Fotoinstallationen. Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die tableauartigen Werke »Vox Populi« (2004-2007) und die Filminstallation »Countenance« (2002). Ein wesentliches Thema der Künstlerin ist die Frage nach dem zeitgenössischen Porträt in Fotografie und Film. Es gibt in Tans Werk eine fortwährende Auseinandersetzung mit Vorstellungen von individueller und kollektiver Identität. Im Angesicht von sozialem Wandel und der Vernetzung verschiedener nationaler Kulturen erforscht die Künstlerin verzweigte Formen kultureller Anbindung.

»Fiona Tan | 80 Tage« ist eine Ausstellung, die den Stellenwert von Kultur und Tradition für den Menschen in der Gegenwart beleuchtet und in diesem Zusammenhang bestimmte Funktionen und gesellschaftliche Gebrauchsweisen von Fotografie und Film thematisiert. In ihren Arbeiten kombiniert die Künstlerin dokumentarisches Archivmaterial, Fremdfotografien und eigene Filmaufnahmen zu bildhaften Sequenzen und lässt die Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion verschwimmen.

Aus drei Ländern verschiedener Kontinente entwickelte Fiona Tan ihre Arbeiten mit dem Titel »Vox Populi«, deren drei Teile in München erstmalig gemeinsam zu sehen sind. In Norwegen, Australien und Japan sammelte sie Amateurfotografien unbekannter Personen, vereinheitlichte sie durch gleiches Format und Rahmung und fügte sie zu einer rhythmischen Struktur an der Wand zusammen. »Vox Populi« befragt die Bedeutung von historischer und zeitgenössischer Fotografie als Möglichkeit, die Welt zu archivieren. Aus dem dokumentarischen Material, das Erinnerungen von Privatpersonen trägt, entwickelt Tan eine Art kollektives Fotoalbum, das von der Geschichte und Kultur verschiedener Länder erzählt. Kulturelle Identität als passiv übernommenes, einheitliches Schema wird in Tans Arbeit abgelöst von einer produktiven, offenen Praxis, die fortwährend neue Identifikationen entstehen lässt. »Vox Populi« ist der Versuch, monokulturelle Standpunkte zu transzendieren und die Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremdem immer mehr aufzuheben.

Fiona Tans Arbeit »Countenance« entstand während ihres Aufenthalts in Berlin und zeigt etwa 200 filmische Ganzfigurenporträts von Männern und Frauen. Tan interessieren bestimmte berufliche Milieus, wie das eines Bäckers, eines Künstlers oder eines Büroangestellten sowie deren sozialer Hintergrund. In Anbetracht von Globalisierung und hoher Arbeitslosigkeit fragt sie nach unserem gegenwärtigen Verständnis von Arbeit. Der Schwarz-Weiß Film »Countenance« ist eine Referenz auf das in den 1920er Jahren entstandene Mappenwerk von August Sander »Menschen des 20. Jahrhunderts«. Mit seinen von vorne und in unbewegter Haltung aufgenommenen Personen besitzt der Film die Ästhetik aneinander gereihter Fotografien. Die von Sander ursprünglich enzyklopädisch gedachte Untersuchung wird bei Tan in eine soziokulturelle Studie umgewandelt.

»Countenance« bildet Menschen einer Stadt ab, die durch das Zusammenwachsen von Ost und West geprägt ist. Der Betrachter blickt dabei nicht wie gewöhnlich von außen auf die ihm dargebotenen Verhältnisse, sondern wird direkt mit einbezogen: Die statische Haltung der Protagonisten verursacht beim Betrachter zunächst eine gewisse Irritation, die durch ein kleines Blinzeln oder eine kaum wahrnehmbare Kopfbewegung des filmischen Gegenübers wieder aufgehoben wird. Psychologische Faszination und Anziehungskraft, die von einem Porträt seit jeher ausgehen, sind hier gesteigert.

Tans ausgeprägtes Interesse an verschiedenen Formen der Identitätsbildung, insbesondere an der kulturellen Prägung als einen wichtigen ausschlaggebenden Faktor, rührt von ihrem persönlichen Hintergrund her: Sie wurde 1966 in Indonesien geboren, wuchs in Australien auf, studierte in Europa und ist heute in den Niederlanden ansässig. So versteht sich die in verschiedene kulturelle Zusammenhänge eingebundene Künstlerin, deren Leben durch viele auch unfreiwillige Reisen stark geprägt ist, selbst als »Weltenbürgerin«. Mit ihrem Ausstellungstitel »Fiona Tan | 80 Tage« spielt sie deshalb auch auf die Expeditionsreise in Jules Vernes Roman »In 80 Tagen um die Welt« an.

Fiona Tan besuchte die Gerrit Rietveld Academie sowie die Rijksakademie van Beeldende Kunsten in Amsterdam. Derzeit lebt und arbeitet sie in den Niederlanden. Ihre Werke haben über die letzten zehn Jahre hinweg große internationale Beachtung erlangt. Die letzte Ausstellung »Mirror Maker«, die in den Jahren 2006 und 2007 in verschiedenen europäischen Ländern gezeigt wurde, war für den Deutsche Börse Photography Prize 2007 nominiert. Des Weiteren fanden Einzelausstellungen in der De Pont Museum voor Hedendaagse Kunst in Tilburg, der Villa Arson in Nizza und der Akademie der Künste in Berlin statt. In Gruppenausstellungen war Tan 2005 auf der Sujeto im Museum für zeitgenössische Kunst in Castilla y Léon vertreten, auf der Kunst-Biennale in Istanbul 2003, auf der ICP-Triennale in New York, auf der Documenta XI in Kassel, auf der 49. Biennale von Venedig und der Berlin Biennale 2001.

Begleitend zur Ausstellung erscheint bei Book Works die Publikation »Fiona Tan: Vox Populi, Tokyo«.

Die Ausstellung wird unterstützt durch die Mondriaan Foundation, Amsterdam.

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Fiona Tan
80 Tage
Kooperation Pinakothek der Moderne und Siemens Arts Program
Kuratoren: Inka Graeve Ingelmann, Angelika Nollert