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Eine Firewall (wörtlich Brandschutzmauer) ist eine Sicherungsschwelle für Computer oder Computernetzwerke: eine digitale Tresortür, die den eigenen Datenbestand vor unbefugter Einsicht, Diebstahl, Manipulation und Spionage schützen soll. Der weltweit wachsende Datenverkehr stellt uns vor neue Herausforderungen, bringt er doch neben elektronischen Schutzwällen zugleich entsprechende Lauschsysteme hervor. Definiert das daraus entstandene Netzwerk elektronisch gesteuerter Überwachungsmethoden das Verhältnis von persönlicher Freiheit und allgemeinem Schutz, individueller Verantwortung und gesellschaftlichem Konsens nach neuen Kriterien? Was bedeutet dies für unsere Gesellschaft, wenn Telefonate und E-Mails systematisch abgefangen werden oder wenn wir immer häufiger dem Blick der beobachtenden Linse einer Videokamera ausgesetzt sind? Sicherheit – z. B. vor terroristischen Anschlägen - und Anspruch auf Unantastbarkeit der Privatsphäre bzw. freier unkontrollierter Meinungsäußerung geraten in einen schwer auflösbaren Widerspruch.

Acht Künstlerinnen und Künstler haben für die Eröffnungsausstellung der neuen Ausstellungshalle malerische skulpturale, installative und Video-Arbeiten entwickelt, in denen sie das Phänomen „Firewall“ untersuchen - nicht nur in seiner wörtlichen Dimension, sondern im übertragenen Sinn: verstanden als psychische Grenzziehung eigener Identität. Beim Eintritt in die Ausstellungshalle wird man umfangen von dem elektronisch aufgerüsteten Käfigensemble der Amerikanerin Julia Scher: ein künstlerischer Hochsicherheitstrakt, der die Ambivalenz von Schutz und Überwachung auch physisch erfahrbar macht; eingesperrt oder ausgesperrt, geschützt oder gefangen? Daneben ein separates Raumensemble, in dem der Niederländer Aernout Mik eine psychologisch surreale Aufladung einer Überwachungssituation vornimmt. Der Betrachter ist Objekt wie Subjekt einer nahezu undurchschaubaren Überwachungssituation in zwei identischen Raumabteilen. Der Kölner Künstler Andreas Köpnick stellt unsere Technikgläubigkeit in Sachen Schutz und Sicherheit in Frage: Mit skulpturaler Metaphorik lässt er in einem Bassin ein schwimmendes U-Boot internet- wie kameragesteuert und dennoch – oder gerade deswegen? - vergeblich gegen die verspiegelten Grenzen seines Beckens anlaufen. Johannes Wohnseifer aus Köln kommt dagegen ganz ohne Hightech aus. Ein Ensemble aus Spielplatzgerüsten, hölzernen überdimensionierten Playstation-Geräten und Aluminiumabgüssen der Styroporverpackungen von Macintosh-Rechnern ist um einen in orangeroter Signalfarbe gestrichenen Raum gruppiert: Eine Blackbox, leicht angehoben und nur im Kriechgang zu betreten. Darin acht heute geradezu vorsintflutlich anmutende Computergrafiken der Gruppe „Kraftwerk“ aus dem Jahr 1981; der schillernde historische wie skulpturale Kern eines spielerisch überzogenen Sicherheitsparcours rund um den Computer.

Der Schwede Jonas Dahlberg bricht am direktesten in die Intimsphäre der Besucher ein: Für seine „Safe Zone“ lässt er Überwachungskameras im Toilettenbereich installieren. Endlich ein sicherer Abort? Wären da nicht jene zugeschalteten Monitore, die gut einsehbar im Ausstellungsbereich den direkten Blick auf die WC-Räume freigeben. Oder bilden sie nur den Blick auf die im Vorraum installierten Modelle der Toilettenräume ab? Der schwedische Künstler Magnus Wallin entführt den Betrachter in seiner neuen Videoprojektion in die künstlich animierte Welt eines großen Archivs. Doch trotz ständiger Kameraüberwachung scheinen die Dinge außer Kontrolle geraten. Ein Skelettarm greift ins Leere und wird von einem rasenden Rollstuhl befreit, eine Wirbelsäule marschiert an den Magazinschränken vorbei und skurrile Steineier rumpeln durch die endlos scheinenden Gänge: Im scheinbar perfekten Schutz der Sicherungsanlagen nimmt die Welt absurde Lebensformen an. Schließlich kommt die Malerei zu Wort: Der Düsseldorfer Markus Vater interpretiert in der für ihn charakteristischen Mischung aus Comic und malerischen Verve das Verhältnis Mensch und Web. Mit ironischem Unterton setzt er seinem Diptychon ein Sperrholz-„Memorial“ für einen Hacker entgegen: „Tonight I hacked into the computer of the Chinese Foreign Ministry and replaced everywhere the word „revolution“ with the word „chocolate“. Schließlich gemahnt die in Addis Abeba gebürtige und in New York lebende Malerin Julie Mehretu in ihrem monumentalen Wandbild „Auge des Ra“ an jene hochtechnologisierten Militäroperationen, die aus der Luft gezielte Treffer setzen. Ein virtuos mit tuschartigem Pinselzug in Szene gesetztes Schlachtenbild; eine dramatisierende Herausstellung jenes Ortes, an dem die entscheidenden Schlachten - mit und gegen die Firewall – heute geführt werden: der Ort der Überwachung im Fokus des technisierten Blicks. Doch im Zentrum dieses Blicks steht der Mensch; z. B. jener, den Markus Vater in seinem Bild gegenüber als einsames Individuum den Weiten des Weltraums entgegenstellt. Text und Konzept: Dr. Martin Henatsch

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Firewall - Eröffnungsausstellung
Kuratoren: Martin Henatsch, Gail B. Kirkpatrick

mit Jonas Dahlberg, Andreas Köpnick, Julie Mehretu, Aernout Mik, Julia Scheer, Markus Vater, Magnus Wallin, Johannes Wohnseifer

Stationen:
27.06.04 - 05.09.04 Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster
18.02.05 - 17.04.05 Württembergischer Kunstverein, Stuttgart