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FLORAPHILIA. REVOLUTION OF PLANTS
Agency of Singular Investigations (Stanislav Shuripa, Anna Titova), Milena Bonilla, Magda Buczek, Igor and Ivan Buharov, Saddie Choua, Ines Doujak, Ruth Ewan, Dagna Jakubowska, Candice Lin, Cecylia Malik, Bianka Rolando, Beatriz Santiago Muñoz, Buket Sanati, Åsa Sonjasdotter

07.03.2020 - 07.06.2020
Eröffnung: 06.03.2020 19:00 Uhr

In den letzten Jahren erfreut sich die Pflanzenzucht als Hobby erstaunlicher Beliebtheit. Auf Instagram wimmelt es von Fotos mit Interieurs aus sorgfältig arrangierten Topfpflanzen (Sukkulenten scheinen besonders gefragt zu sein), nahezu täglich erscheinen neue Blogs zur Pflanzenpflege und auch das Thema Urban Gardening greift immer mehr um sich. Was verbirgt sich hinter diesem gesteigerten Interesse an der domestizierten Natur? Theodor W. Adorno behauptet in seiner „Rede über Lyrik und Gesellschaft“, die Sakralisierung der Natur rühre daher, dass das Individuum angesichts der Entfremdung in einer kapitalistischen Gesellschaft nach einem Zufluchtsort suche. Hinzu kommt, dass das Ansehen der Natur zunimmt, wenn in Zeiten politischen Desasters Hoffnungen auf revolutionäre gesellschaftliche Veränderungen enttäuscht werden. Die Natur wird zu einem Bereich, in dem das entfremdete Individuum Linderung verspürt. Und obwohl er die Ursache für das schlechte psychische Befinden nicht aus der Welt schaffen kann, so wirkt der Kontakt mit der Flora doch beruhigend.

Aber bleibt uns wirklich nur diese eine Vorstellung von der Natur als vollkommen entpolitisiertes Mittel zur Stimmungsverbesserung, als perfekt funktionierendes Konsumobjekt? Mitnichten. Die Ausstellung Floraphilia. Revolution der Pflanzen befreit die Welt der Pflanzen aus dem reaktionären Kontext von Einrichtungsmagazinen und Öko-Trends und beleuchtet ihr emanzipatorisches Potenzial für den gesellschaftlichen Wandel. Die Räume vom Zentrum für zeitgenössische Kunst Temporary Gallery verwandeln sich durch sie in ein anarchistisches Labor für die bevorstehende Revolution, die auf den Austausch zwischen den Arten baut. Pflanzen, die sonst unsere Regale und Fensterbänke zieren, werden zu Quellen der Inspiration für politisches Handeln. Was uns fasziniert, sind ihre Widerstandskraft, ihre Anpassungsfähigkeit und ihre Kommunikationsfähigkeiten, aber auch ihre Gleichgültigkeit gegenüber Staatsgrenzen. So bringt beispielsweise die kanadische Goldrute in uns ein Element des Ungehorsams zum Klingen, die Japanrose lehrt uns, im Einklang mit unserer Umgebung zu leben, und der Kalmus wird zum Symbol der Erneuerung und Reinigung. Pflanzen sind von Natur aus Gemeinschaftswesen – keine Individuen, die sich klar voneinander abgrenzen. Ihre Identität ist zutiefst pluralistisch: von Wurzeln als Quelle dezentraler Intelligenz bis hin zu Abhängigkeitsverhältnissen, die sie an andere Organismen binden. Wirkt das nicht wie ein Allheilmittel für den zeitgenössischen Individualismus?

Daraus folgt das Infragestellen des gängigen Verständnisses von der Pflanze als mechanisches, nur auf einfache Reize reagierendes „Ding“: Die Pflanze verlässt die niedrigste Position in der Hierarchie der Spezies und wird in einer Vision grundlegender Kontinuität zwischen Menschen und Pflanzen als Wesen begriffen, das – dynamisch, atmend und wachsend – Intentionalität und sogar ein Gedächtnis besitzt.

Die einzigartige Ausstellungsarchitektur verstärkt die rituellen, gemeinschaftlichen und wissenschaftlichen Fragen, die in den Kunstwerken verhandelt werden. Die altarähnlichen, mit Tüchern bedeckten Tische unterstreichen die Notwendigkeit, die Instrumentalisierung der Natur, die auf der Entzauberung der Realität beruht, hinter sich zu lassen: Ausgewählte religiöse oder schamanische Überzeugungen gehen Hand in Hand mit Entdeckungen der modernen Wissenschaft und zeigen, dass Pflanzen viel komplexere Organismen sind, als es gemeinhin scheint. Tische und Stühle laden die Besucherinnen zum Verweilen ein, dazu, die Werke zu betrachten, die Publikationen zu lesen und mit anderen Besucherinnen darüber zu sprechen. Auf diese Weise soll dem Ausstellungsraum eine andere Zeitlichkeit verliehen werden, die eher der sich langsam entwickelnden Pflanzenwelt und so gar nicht der üblichen Praxis des Ausstellungsbesuchs entspricht. So erinnert der Ausstellungsraum auch an den Versammlungsort einer geheimnisvollen Sekte, die das Beobachten und Untersuchen von Pflanzen als Beginn einer zukünftigen Revolution betrachtet.

Auch eine Sonderausgabe des SURPLUS-Projekts wird es geben: Die Künstlerin Magda Buczek stöbert in Diskursen, Lifestyle-Trends und modernen Ökologien nach neuen semantischen Fetischen, die von der Welt der Pflanzen inspiriert sind. Ihre Slogans werden in einer limitierten Auflage von zehn Stück auf gebrauchte Kleidungsstücke gedruckt.

Die Ausstellung knüpft an das Projekt „Floraphilia. Über die Verflechtungen von Pflanzenwelt, Botanik und Kolonialismus“ an, das in den Jahren 2018 bis 2019 von der Akademie der Künste der Welt in Köln realisiert und von der Kulturstiftung des Bundes gefördert wurde. Dessen Ziel war es, die sozialen und politischen Aspekte der Geschichte der Pflanzen, der Botanik und der botanischen Gärten, insbesondere die Vereinnahmung von Pflanzen im Laufe der Kolonialgeschichte, sowie deren ökonomischen, feministischen und migratorischen Kontext zu beleuchten. Das Projekt begann mit der Ausstellung “Floraphilia. Pflanzen als Archive”, dem Symposium „The botanical garden as a colonial site“ in der Akademie der Künste der Welt in Köln. Im Jahr 2019 wurde es mit Beteiligung internationaler Partnerinstitutionen an anderen Orten fortgesetzt; so gab es Veranstaltungen in Berlin (in Kooperation mit Savvy Contemporary), Aalst (vorbereitet vom CIAP Kunstverein und dem Netwerk Aalst) und London (im Rahmen des Forschungsschwerpunkts „Critical Ecologies“ am Goldsmiths, University of London). Die Ausstellung in der Temporary Gallery ist eine überarbeitete Version der Ausstellung “Floraphilia. Revolution of plants”, die während der Biennale Warschau 2019 stattgefunden hat.

Die Ausstellung wird von einem öffentlichen Programm begleitet.
Kuratorin der Ausstellung: Aneta Rostkowska
Ausstellungsarchitektur: Mateusz Okoński