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Auf den ersten Blick lassen sich die Arbeiten von Florian & Michael Quistrebert und Amy Yoes als Referenzen an die Formensprachen und ästhetischen Strategien der Moderne lesen. Die KünstlerInnen bedienen sich konstruktivistisch anmutender geometrischer Grundformen (Linie, Kreis, Rechteck, Quadrat, Raute) sowie avantgardistischer Methoden wie Montage, Collage, Fragmentierung und Sequenzierung. Doch entgegen der anfänglichen strukturellen Klarheit und Ordnung entfalten die Arbeiten unstete bildräumliche Dynamiken und schreiben sich in zunehmend komplexen Prozessen fort. Die Bildobjekte und Raumgegenstände, die stets „etwas vorzuhaben“ scheinen, entwickeln ein ästhetisches Eigenleben. Die geometrischen Elemente changieren zwischen Bewegtem und Unbewegtem, An- und Abwesenheit, zwischen räumlicher Präsenz (Skulptur) und immaterieller Erscheinung (kinetischem Lichtbild). In beiden Arbeiten wird schließlich die Frage nach dem Verhältnis des Betrachters zum Betrachteten virulent – raumperzeptiv-phänomenologisch bei Amy Yoes und semiotisch-referentiell bei Florian & Michael Quistrebert: Während der/die BetrachterIn bei Yoes integraler Teil einer vierdimensionalen dekomponierten Bildräumlichkeit ist, wird er/sie bei Florian & Michael Quistrebert auf geradezu halluzinatorische Weise gefangen.

Amy Yoes und Florian & Michael Quistrebert konfrontieren den/die BetrachterIn mit bildräumlichem Geschehen, das eine ambivalente Beziehung zur Moderne unterhält. Die Arbeiten schaffen Vexierbilder zwischen Gegenwart und Vergangenheit, aktueller Wahrnehmung und Erinnerung, ohne diese voneinander scharf abzugrenzen, oder, gedächtniskybernetisch betrachtet, ontisch substantivieren zu wollen. Yoes' und Florian & Michael Quistreberts Arbeiten fokussieren eine situative und relationale Wahrnehmung, bei der der/die BetrachterIn der eigenen Wahrnehmungs- und Erinnerungstätigkeit gewahr wird. Die aktuelle Wahrnehmung bildet ein mnemisches Scharnier, das die kulturell eingelagerten, meist semiotisch unscharf umrissenen und mehrfachcodierten Bilder des Formenvokabulars der Moderne aktiviert und ästhetisch wie auch diskursiv anschlussfähig zu machen vermag.

Amy Yoes konfrontiert den/die BetrachterIn in der Rauminstallation Ohne Titel mit einem begehbaren, dynamisierten Raumbild, einem skulpturalen Gefüge aus dreidimensionalen Objekten (Kuben) und Lichtprojektionen, dessen Erscheinung permanenter liminaler Veränderung unterliegt. Die vierdimensionale Skulptur verdichtet Malerei, Skulptur und Bewegtbild zu einem intermedialen Dispositiv, das den/die BetrachterIn immersiv einbindet. Die dekonstruktivistisch anmutende Skulptur synthetisiert unterschiedliche ästhetische, ja ontologische Bereiche: In seiner physischen Präsenz – gestapelte und verkeilte Kuben im Raum – bildet Ohne Titel ein Strukturgefüge, das vom Lichtgeschehen verdeckt applizierter Neonröhren konterkariert wird. Die innerhalb der Kuben installierten Projektoren lassen die Skulptur zugleich zum „Bildwerfer“ werden, wobei das Medium des Lichts der Physis des Gebildes transzendierend gegenübertritt. Ephemere Lichtgestalten und räumliche Präsenz treten in Interferenz und kommentieren einander.

Yoes stellt der „Unbelebtheit“ der geometrischen Skulpturbestandteile die „Belebtheit“ der animierten, autotelisch anmutenden Lichtformen gegenüber, die ihr ästhetisch-performatives Potential durchzuspielen scheinen. Die Lichtgeschehnisse, bewegte Linien, Rechtecke und repetitive Strukturen aus kleinen Kreisen, die sich morsecodeartig fortschreiben, erwecken jedoch zugleich den Eindruck, als wären sie nicht auf ein Gesehenwerden ausgerichtet, sondern vielmehr auf intrinsischen Prozessen beruhende Subroutinen der ästhetischen Maschine selbst.

Wenn Yoes sich der konstruktivistischen Formensprache annähert, so nicht im Sinn einer Affirmation der Moderne; stattdessen evoziert die Künstlerin unterschiedliche Lesarten kollektiver Gedächtnisbilder, die oftmals diffus, morphologisch sowie referentiell unscharf und fragmenthaft, erinnert werden. Der Blick selbst fungiert dabei als „Bilderwerfer“, das Wahrgenommene wird in Beziehung zu erinnerten, ergo projizierten Bildern gesetzt. Das Formenvokabular der Moderne bildet im Gesamtwerk von Amy Yoes nicht den ausschließlichen ikonischen Bezugspunkt; vielmehr erforscht die Künstlerin die Konstruktion des visuell-kulturellen Gedächtnisses im Allgemeinen, sein Un- und Halbbewusstes. In Ohne Titel untersucht Yoes die visuellen Rudimente der Moderne, indem sie Sedimente abträgt, um medial codierte Schichten freizulegen. In ihren Installationen und Animationen schlägt die Künstlerin keine „Lösungen“ der semiotischen Lektüre, keine (Zu-)Ordnungen vor, ihre Arbeiten versuchen vielmehr, das Lesen der Bilder zu keinem Abschluss kommen zu lassen. Ohne Titel fordert eine aktive Lektüre, das Herstellen eines aktuellen Bezugs zum Vergangenen sowie die Überprüfung von Bildern des Vergangenen in Beziehung zum je eigenen, soziohistorisch geprägten Standpunkt.

Florian & Michael Quistreberts Filme scheinen auf den ersten Blick der kinetischen Performanz geometrischer Grundfiguren nachzugehen. Ein Kreis, ein Quadrat oder eine Raute bilden die jeweiligen Grundelemente und formalen Ausgangspunkte. Die Künstler bedienen sich ausschließlich leicht verfügbarer Low-Tech-Materialien, die sie mit für heutige Bedingungen anachronistischen, analog anmutenden Methoden bearbeiten. In der Videoinstallation amnesic cisenma bildet beispielsweise – weil im Arbeitsprozess unmittelbar verfügbar – die schlichte Aufnahme einer weißen (Atelier-)Wand das Ausgangsmaterial, den Bildgrund, aus dem die geometrischen Formen „hergestellt“ werden. Dimension und Proportion der jeweiligen Grundformen sind auf die Seitenverhältnisse des Monitors abgestimmt. Anfänglich scheinen die Videos noch deutlich von einer Logik innerbildlicher Reziprozität, vom Prinzip der Umkehrung und Spiegelung der piktoralen Verhältnisse, bestimmt. Jede Figur trifft auf ihr inverses Pendant, Schwarz stößt auf Weiß, Helles wechselt sich mit Dunklem ab. Zudem arbeiten die Künstler mit der Skalierung und Vervielfältigung der Grundform. Die „Variationen und Durchführungen“ des Motivs sind dabei stets auf das Bildzentrum ausgerichtet. Durch die daraus resultierende kristalline Verspiegeltheit des Bildraums wird der/die BetrachterIn sukzessive perzeptiv überfordert. Die Ephemerisierung der Gestalten und Strukturen mündet in ein beinahe stroboskopartiges Pulsieren. Das Spiel mit dem Wechsel von Transparenz und Opazität und der Sog zum Screenmittelpunkt vermögen den medialen Träger, den Bildschirm, zu transzendieren. Im interferierenden Zusammenspiel der drei getrennt voneinander positionierten Monitore kommt es zu einer weiteren Form perzeptiver Überforderung; statt sich auf den einzelnen Monitor zu zentrieren, verliert sich der Blick des/der Betrachters/in im kontingenten Zusammenspiel des asynchronen Bildgeschehens. Der Fokus verschiebt sich von der strukturellen Performanz der Formen auf die interferenten visuellen Abläufe. Entgegen der anfänglichen Klarheit der geometrischen Erscheinung werden die BetrachterInnen in eine diffuse, geradezu halluzinatorische Bildräumlichkeit geführt. Indem ihnen die Wahrnehmungsautorität und -gewissheit entzogen wird, sehen sie sich einer sie überfordernden perzeptiven Situation ausgesetzt.

Sowohl hinsichtlich ihrer geometrischen, konstruktivistisch/futuristisch anmutenden Formensprache als auch der analogen Bildbearbeitung mittels Montage, Collage, Variation und Iteration rekurrieren Florian & Michael Quistrebert auf avantgardistische Bildtechnik und -ästhetik. Ihre Arbeiten sind weniger perzeptions- und wahrnehmungsreflexiv, denn als beunruhigende semiotisch-referentielle Befragung avantgardistischer Formensprache und deren Politisierung lesbar. In durchaus ambivalenter Weise, affizierend und befremdlich, affirmierend und kritisch-reflexiv zugleich, verweisen die Videos von Florian & Michael Quistrebert auf eine Dimension des Abgründigen. Ihre Arbeiten lenken den Blick auf das Verdrängte und Unbewusste der Moderne, den Bereich des Phantasmatischen und Irrationalen, gar Okkulten. Die Filme scheinen den/die BetrachterIn zu hypnotisieren, als wollten sie ihn in ihren Bann ziehen und in einen Zustand des visuellen Genusses, des Rausches versetzen. Die Faszination für das Maschinische verläuft in amnesic cisenma jedoch im Leeren, ein Verweis auf das Vakuum, das die konstruktivistische Formensprache in Form uneingelöster Versprechen – der Verbindung von Kunst und Leben, einer besseren, egalitären Gesellschaft usw. – hinterlassen hat.

In undisciplined oscillator rekurrieren die KünstlerInnen auf abstrakte Formensprachen der Moderne, die sich jedoch nicht amimetisch und nonreferentiell selbst genügen, sondern einen mnemischen Unruheherd bilden. Amy Yoes und Florian & Michael Quistrebert fokussieren das Vage und Unbestimmte der erinnernden Lektüre, ohne dabei auf begriffliche Klarheit abzuzielen. Der/die BetrachterIn wird auf die eigene Wahrnehmung zurückverwiesen, auf den Akt des Decodierens und letztlich auf kulturell eingeübte Lesarten des Vergangenen. Erinnerung erscheint dabei nicht als bloßer Prozess des Rückgriffs, sondern vielmehr als komplexes Zusammenspiel von Retention und Protention. Die Arbeiten bilden semitransparente Folien zwischen Gegenwart und Vergangenheit, die in ihrer doppelten Verweisfunktion auf ein Hier und Jetzt und zugleich auf ein Vergangenes die Kommunikation zwischen diesen beiden Polen erst herstellen. Sie halten dem/der BetrachterIn mnemisch einen Spiegel vor Augen, indem sie sich der komplexen Mehrfachkodierung des modernen Formenvokabulars bedienen. Yoes’ Rauminstallation Ohne Titel und Florian & Michael Quistreberts amnesic cisenma fungieren als paradoxe „Zeitfenster“, als Bilder, durch die hindurchgesehen/ gelesen werden kann, ohne die Gegenwart auf die Vergangenheit zu fixieren.

David Komary

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Florian Quistrebert & Michael Quistrebert, Amy Yoes
Undisciplined Oscillator