Kunstsammlung Jena

Jena Kultur | Städtische Museen Jena, Stadtmuseum & Kunstsammlung Jena | Markt 7
07743 Jena

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Donnerstag, 23. Juni 2022, 17 Uhr

ohr, mic, grosz!
Live-Hörspiel mit IFSKUR

Zum Abschluss der Ausstellung „Follow George Grosz“ soll George Grosz noch einmal selbst zu Wort kommen. Florian Füger vom Institut für Schwingungskoordination und Resonanz IFSKUR aus Gera hat sich Grosz‘ Autobiografie mit dem Titel „Ein kleines Ja und ein großes Nein“ angenommen. IFSKUR ist ein Künstlerkollektiv, das auf dem Resonanzfeld zwischen Klang und bewegtem Bild balanciert in Verbindung mit digitaler Weiterverarbeitung, gewürzt mit einer Prise Intuition.
In einem Live-Hörspiel werden Grosz‘ Schilderungen, in denen er ein schonungsloses Sittengemälde der Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts skizziert, zu hören sein. Im Klappentext seiner Autobiografie steht:
Hier schrieb einer der originellsten und unabhängigsten Köpfe des 20. Jahrhunderts sein bewegtes Leben auf: George Grosz. Der aufsässigste und explosivste unter den Grafikern und Malern, der Ankläger des Militarismus, Kapitalismus und der Bourgeoisie der zwanziger Jahre, zieht die Bilanz seines Lebens, die gleichzeitig eine Kunst- und Zeitgeschichte der Moderne ist.
Die Auszüge, die thematisch auf die in der Ausstellung präsentierten Kunstwerke abgestimmt sind, verlebendigen das radikal-entlarvende Schaffen des scharfsinnigen Beobachters Grosz. Füger reichert diese mit einem Klangteppich aus Geräuschen und Tönen an, welche die gelesenen Episoden des Buches ergänzen und zu einem sinnlichen Hör-Erlebnis werden lassen. Darunter sind auch Original-Aufnahmen von Grosz, in denen er vor allem über seine Zeit in den USA spricht. Diese Ur-Aufführung findet live und exklusiv im Rahmen der Ausstellung statt.
Zur Einstimmung auf das Hörspiel wird Erik Stephan eine kurze thematische Einführung in das bildkünstlerische Werk von George Grosz geben.
Die Ausstellung kann noch bis zum Sonntag, 26. Juni um 17 Uhr besucht werden.

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10.09.04.2022 – 26.06.2022
Vernissage in der Rathausdiele: Freitag, 8.4.2022, 19 Uhr
Presserundgang: Freitag, 8.4.2022, 11 Uhr / Kunstsammlung Jena, Markt 7

Follow George Grosz
Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken und Filme

George Grosz nimmt in der europäischen Kunstgeschichte eine wichtige Position ein. Er gehört zur Generation jener Künstler und Künstlerinnen, die zwei Weltkriege miterlebt haben und die mit ihren Werken das Geschichtsbild des 20. Jahrhunderts maßgeblich prägten. Dem Bild seiner Epoche stellt Grosz ein wagemutiges, geradezu radikal-entlarvendes Werk gegenüber, das mit klarer Formensprache und ungewöhnlicher Schonungslosigkeit seiner Zeit mit künstlerischer Brillanz und einer präzisen sozialpolitischen Zustandsbeschreibung darstellt.

In der Ausstellung zeigen wir 150 Werke aus Grosz‘ wichtigsten Schaffensperioden, schwerpunktmäßig sind das Arbeiten auf Papier aus den Berliner Jahren, aber auch Blätter aus seiner Zeit der Emigration in New York und Huntington. Vor dem Hintergrund der nachhaltigen Wirkkraft seiner Werke präsentiert die Ausstellung zudem ausgewählte Positionen nachfolgender zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler, die eine vergleichbare Hinwendung zu gesellschaftspolitischen Themen anstreben. Dabei bilden die selten gezeigten frühen Arbeiten von Andy Warhol in Zusammenhang mit dem Life-Magazin sicherlich das erstaunlichste Bindeglied. In der Ausstellung werden – neben den Werken von George Grosz – Arbeiten folgender Künstlerinnen und Künstler gezeigt:

Micha Brendel, Birgit Brenner, Werner Büttner, Andrè Butzer, Martha Colburn, Don Doe, Neal Fox, Felix M. Furtwängler, Andy Hope 1930, Dorothy Iannone, Sebastian Jung, Jonathan Meese, Daniel Richter, Julian Röder, Julian Rosefeldt, Erik Schmidt, Dash Snow und Andy Warhol.

Grosz‘ Ikonografie ist von der Verarbeitung des Ersten Weltkriegs geprägt. Thematisch hielt Grosz die Welt und den Menschen im Umbruch fest: Einstürzende Häuser, Soldaten, Generäle, Kriegsversehrte, Kapitalisten, Spießer und Prostituierte, ein Panoptikum der vom Krieg Gezeichneten als auch dessen Folgen: Klassenkampf, Korruption, Vertreter der Obrigkeit und Klerikale werden sein großes Thema. Grosz‘ Werke geben Zeugnis von den Folgen des Krieges und nicht zuletzt von seinem eigenem Leben als Migrant, der vor der Gestapo in die USA floh und jedweden Faschismus an den Pranger stellte. Auch das Hinterfragen des Selbst und der Geschlechter ist ihm ein Anliegen – nicht jenseits der Politik, sondern als dessen Abbild.

Die mit satirischer Schärfe zugespitzten Arbeiten präsentieren Kritik, Utopien, Grotesken und die Sehnsucht nach der neuen Welt. Schon 1916 hatte er seinen Namen von Georg Groß zu George Grosz anglisiert, um seine Antikriegshaltung zu demonstrieren und die patriotische Stimmung im Kaiserreich zu konterkarieren. Mit Hilfe des in Weimar ansässigen Kunstmäzen Harry Graf Kessler war Grosz vom Kriegsdienst befreit worden. Vom Misanthropen reifte er ab dann zum politischen, zeitweise dadaistischen Agitationskünstler, der in der Weimarer Republik, auf dem Höhepunkt seiner Popularität, zum Moralisten wird und warnend den Zeigefinger hebt.

Grosz‘ Werk zeugt von einer gesellschaftspolitischen Relevanz, die bis heute beeindruckt. Eine Eigenschaft, die ihn als ‚artist‘s artist‘ prädestiniert. Die Gegenüberstellung mit zeitgenössischen Positionen wie Brenner, Meese, Rosefeldt und auch Warhol machen deutlich, welche Ikonografie nachfolgende Generationen als Strategie des Entlarvens nutzen. Die Bezeichnung von George Grosz als geistigem Mentor wird dabei von manchen Künstlerinnen und Künstlern bejaht.

Zu wenig bekannt ist Grosz‘ Wirken in der Neuen Welt, als er 1933 mit seiner Familie der Gestapo entkam und nach New York emigrierte, um dort an der Art Students League angehende Größen der aufkommenden Pop Art Generation zu unterrichten. Hervorhebenswert ist die Begegnung mit Andy Warhol, dessen Werk Grosz in einer Jurysitzung gegenüber anderen seine Zustimmung gab. Das war im Jahr 1949, in dem Warhol nach New York übergesiedelt war. In dieser Zeit entwickelte Warhol seinen Stil der Umrisslinie, bezugnehmend auf Berichterstattungen aus der Zeitschrift ‚Life‘: Eine Auswahl dieser Werke wird in der Ausstellung zu sehen sein.

George Grosz erreichte in den USA nicht die Popularität, die er kannte, aber ihm wurden auch dort regelmäßig Ausstellungen gewidmet. Seinem Sujet, den Menschen der Straße und den Medien blieb er zugewandt, veröffentlichte z.B. in der satirischen Zeitschrift ‚Americana‘, der ‚Vanity Fair‘ und der ‚Life‘. Im ‚Esquire‘ publizierte er eine politisch engagierte Serie gegen den spanischen Bürgerkrieg.

Die Ausstellung in der Kunstsammlung Jena folgt der Annahme, dass politisch motivierte Kunst bis in unsere Zeit ein wirkungsvolles und adäquates Mittel der Auseinandersetzung ist. Angesichts der Wirkung von George Grosz liegt die Vermutung nahe, dass die groteske Zuspitzung die Anschaulichkeit deutlich erhöht und den Betrachter engagiert und integriert.

Für den Glauben daran, dass „Kunst als Waffe“ tauglich ist, gibt es bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten – neben George Grosz – auch andere Beispiele. Nach dem Zweiten Weltkrieg war diese Art im Westen wenig populär und im Osten zunächst gefördert und später als Beitrag „für den revolutionären Kampf der Arbeiterklasse“ ideologisch verklammert. Zweifellos hat politische Kunst aber seit den 2000er Jahren mit nur kurzer Vorwarnzeit eine völlig neue Breite und Vielfalt erreicht. Im Hinblick auf die Indienstnahme der Kunst für die Darstellung von politischen Problemen und deren Lösungen sind die Meinungen jedoch unverdrossen gegensätzlich und die Ausstellung wird einige exemplarische Wege aufzeigen.

Für die wertvollen Leihgaben aus Ihren Beständen danken wir folgenden Sammlungen auf das Herzlichste:
Akademie der Künste, Berlin, Galerie Brockstedt, Berlin, Galerie Michael Haas, Berlin/Zürich, Sammlung Conen-Schmalhausen, Berlin, Sammlung Wemhöner, Herford/Berlin, Universität zu Köln, Theaterwissenschaftliche Sammlung, Galerie Eigen + Art, Leipzig/Berlin, Sammlung Schaub, München, Galerie Daniel Blau, München, Knust Kunz Gallery Editions, München und Sammlung Blau, Salzburg, Sammlung Klewan, München, Sammlung Kopp, München und all jene, die hier nicht genannt werden möchten.

Die Ausstellung wird von Annette Vogel (München) und Erik Stephan (Jena) gemeinsam kuratiert.

Für die Förderung der Ausstellung danken wir der Staatskanzlei des Freistaates Thüringen.