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Zum ersten Mal eröffnen wir am 15.1.2010 um 19.00 Uhr mit Fränze Hoppe und Corinna Schnitt gleichzeitig zwei Ausstellungen, die auf den zwei Ebenen der Galerie unabhängig von einander gezeigt werden.

Mit heiß / kalt duschen präsentieren wir die erste Einzelausstellung von Fränze Hoppe (*1985, Neuruppin). Hoppe studiert seit 2004 an der HBK in Braunschweig, seit 2005 ist sie in der Klasse von Walter Dahn. parallel dazu wird sie mit ihrer Klasse ab dem 17. Januar 2010 (Eröffnung: 12:00 Uhr) in der Ausstellung La Bonne Horse im Bonner Kunstverein zu sehen sein.

Auf unterschiedlichen, oft gefundenen, zumeist unregelmäßig beschnittenen Papieren zeichnet Hoppe mit hartem Bleistift menschliche Figuren. Teilweise sind die Figuren oder Szenen in hellblau oder türkisgrün koloriert. Oft sind sie kaum zu entziffern, so dünn sind die Linien, so brüchig und (scheinbar) unentschlossen erscheint der Strich. Zeichnungsweise und die gezeichneten Sujets kongruieren, denn auch die oft geschlechtslosen Figuren selbst wirken, als wüßten sie nicht, wohin sie sich wenden sollen, was sie mit ihren übermäßig gelängten, in prekären Stellungen situierten Körpern anfangen sollen. Es kann einen Austausch, einen Dialog geben, wenn mehrere Figuren zu sehen sind; aber worum es geht, erfährt der Betrachter nicht. Narrativ sind diese Blätter nicht, auch wenn man – gerade vor dem Hintergrund des Ausstellungstitels – immer wieder assoziativ Abläufe und Funktionen in sie hineinliest, so daß man schließlich verführt ist, zu meinen, hier gehe es um die Darstellung möglicher Szenen in einer Badeanstalt. Hoppe unterläuft die Narration genauso wie ganz generell jede einfache Lesbarkeit ihrer Zeichnungen. Statt dessen schafft sie Atmosphären, die an Werke moderner Künstler wie etwa Egon Schiele erinnern, die jedoch in ihrer stummen Sprachlosigkeit und letztlich auch Vereinsamung der Protagonisten sehr zeitgenössisch und aktuell sind (und insoweit auch an aktuellere Arbeiten, etwa von Miriam Cahn oder Rita Ackermann denken lassen). Allerdings wird dem Betrachter nicht auf realistische (und vielleicht platt anklagende) Art und Weise der im endlosen www ortlos suchende und zugleich mit allen chattende Mensch vorgeführt, sondern wir sehen Metaphern eines solchen Lebens der Vereinzelung und Unsicherheit.

Bisweilen wird den Figuren, die auch zeichnerisch nicht als Körper im Raum, sondern eher als zweidimensionale Abziehbilder funktionieren, auf formaler Ebene durch flächig in Ölkreide oder Buntstift ausgeführte Podeste, räumliche Körper, Architekturen, Wannen oder Schirme ein gewisser Halt gegeben. Damit allerdings konterkariert Hoppe die prekären Situationen, in denen sich ihre Figuren befinden, nicht, im Gegenteil! Die Sicht- und Spürbarkeit der Differenz zwischen dem, was sein kann – körperliche Substanz und Solidität – und dem was für ihre Figuren gilt – Unsicherheit, Instabilität – wird durch den Kontrast zwischen den angewandten Techniken nur noch verstärkt.

Wir freuen uns, Corinna Schnitts neuestes Video Hänschen klein vorstellen zu dürfen. Der Loop von 6'33", wurde in der Hopfenstraße in Hamburg in einem Neubaugebiet in Hafennähe gedreht. Er schafft trotz seiner sehr reduzierten Struktur – die Bilder sind in einer einzigen Sequenz ohne einen Schnitt aufgenommen – komplexe Verschränkungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Hänschen klein beginnt mit einem close-up einer gemalten Genreszene aus dem 18. Jahrhundert. Zu sehen sind zunächst zwei weibliche Figuren im Gespräch und ein Mann, der sich durch ein Tor nähert. Der Betrachter kann sich jedoch weder lange daran erfreuen. Denn mit Beginn des Filmes startet ein nicht enden wollender Zoom aus dem Bild heraus. Die distanzierende Bewegung zeigt, daß die Darstellung komplexer ist: es kommen drei weitere Figuren hinzu deren Funktion dem heutigen Betrachter nicht unmittelbar ersichtlich ist. Außerdem befindet sich die Darstellung auf einer wertvollen Tasse. Dann werden Elemente wie aus einem niederländischen Stilleben des 17. Jahrhunderts sichtbar. So entsteht für einen Augenblick der Eindruck, hier werde ein barockes Stilleben mit filmischen Mitteln gespiegelt. Wieder aber wird die Erwartung des Betrachters, er könne die einzelnen Elemente ausführlich studieren, dadurch unterlaufen, daß weiter aus dem Bild heraus- und zeitlich gesehen in die Gegenwart hineingezoomt wird. Folglich wird zunächst sichtbar, wo der Tisch steht – nicht in einem Innenraum, wie eigentlich zu erwarten, sondern auf einer von einer akkurat geschnittenen Hecke umfriedeten Terrasse eines neomodernen Neubaus mit pseudo-Holzfassade – und wie die Umgebung dieses Neubaus beschaffen ist: eine Siedlung identischer Häuser, die in einer Fußgängerzone stehen und die als unendliche Folge gleicher Häuser vorgestellt wird, weil kein Ende der Reihung sichtbar ist. Als die Kameraeinstellung schon in der Totalen ist, stoppt die lineare Bewegung, die als solche ein visueller Spiegel des Ablaufs der Zeit ist, und es kommen aus der Diagonalen des Bildes zwei hintereinander laufende Fußgänger, jeweils mit Hund. Während der erste die Kamera links liegen läßt, schwenkt der zweite – ein älterer Mann mit wehenden weißen Haaren – auf die Kamera zu, stellt sich in Position – Kameraeinstellung medium-close-up – und singt das unerwartete titelgebende Kinderlied Hänschen klein. Nach Abschluß seines Vortrages taucht er ab, geht Treppen hinunter, die sich offensichtlich direkt zwischen ihm und der Kamera befinden.

Die streng lineare Bewegung des Bildes, der scheinbar unbeirrbare Ablauf der Zeit, wird durch die verschiedenen Zoomeinstellungen, die allein das filmische Element des Zeitablaufs wie auf einer geometrischen Achse abbilden, bewirkt. Dies und die Härte der Architektur – gebrochen durch das durch die holzähnliche Fassadenverkleidung entstehende anheimelnde Gefühl, man befinde sich in einer Jagdhütte – wird durch die in das Bild laufenden, die Hauptachse räumlich kreuzenden Männer und durch einige Zufallselemente konterkariert. So sehen wir Vögel, die durch das Bild fliegen, eine Hausbewohnerin, die auf ihrem Balkon nach dem Rechten sieht oder die beiden Hunde, die ebenfalls ein Moment der Freiheit bilden. Die Korrelation aus heimatlicher, nostalgischer Idylle, die vom Stilleben und der intimen Situation der Terrasse suggeriert wird, und dem Moment der weiten Außenwelt, das durch die Originaltöne des naheliegenden Hafens und die auftauchenden, mehr oder minder freien oder wilden Tiere angedeutet wird, findet ihre metaphorische Darstellung in dem Vortrag des Liedes, das schon seit dem 19. Jahrhundert den Konflikt zwischen Heimat, Heimweh und Fernweh faßt.

Unsere Ausstellung wird ergänzt durch den Film Spielplatz (2007, 15', Loop), bei dem Schnitt ebenfalls mit einer kontinuierlichen Einstellung arbeitet, allerdings im Zeitraffer über 24 Stunden.

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Fränze Hoppe - heiß/kalt duschen
&
Corinna Schnitt - Hänschen klein