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Fred Koch. Naturfotografie der 1920/30er Jahre
15. Januar bis 24. April 2022

„Wie herrlich kann selbst der kleine Kristall erscheinen, richtig beleuchtet und richtig vergrössert [...] hier ist Koch ein Bahnbrecher, der uns eine ganz neue Welt erschliesst, nicht wissenschaftlich echt, denn so wunderbar sehen die Sachen in natura gar nicht aus; doch künstlerisch wundervoll.“ – Adolf Herz (1931)

Fred Koch (1904-1947) zählt zu den wichtigsten Fotografen der Weimarer Republik. Seine neusachlichen Schwarzweißfotografien zeigen vorrangig Detailaufnahmen von Pflanzen und Kristallen, aber auch Eisblumen, Korallen, Conchylien, Insekten sowie Röntgenfotografien. Koch war aufgrund seiner anonymen Veröffentlichungen, der Hinwendung zur Pressefotografie und seines frühen Todes in Vergessenheit geraten. Nun kann er Dank aufwändiger Recherchen und Zuschreibungen in einer umfangreichen Einzelausstellung der Alfred Ehrhardt Stiftung mit rund 100 Werken aus den 1920er bis 1930er Jahren entdeckt werden. Die Leidenschaft für Naturformen eint ihn mit Alfred Ehrhardt (1901 - 1984) der dessen Kristallaufnahmen zum Vorbild nahm. Freunde der Fotoästhetik von Karl Blossfeldt (1865-1932), Aenne Biermann (1898-1933), Albert Renger-Patzsch (1897-1966) oder Alfred Ehrhardt werden auf ihre Kosten kommen.

Bereits seit 2004 befasst sich die Alfred Ehrhardt Stiftung mit Fred Kochs Werk. Dass seine Fotografien von Kristallen und Mineralien in der Qualität die Fotos des großen Meisters der Neuen Sachlichkeit Albert Renger-Patzsch weit übertreffen, dokumentierte schon die vorangegangene Ausstellung Lebendiger Kristall (2004) deutlich. Koch kommt 1922/23 durch Renger-Patzsch mit der Fotografie in Berührung, als dieser das Bildarchiv des Folkwang-Verlags des Schriftstellers und Verlegers Ernst Fuhrmann (1886-1956) leitet und dafür im großen Stil Pflanzen aufnimmt. Mit jenen Pflanzenfotografien nimmt die Fotografie der Neuen Sachlichkeit ihren Ausgang. Pflanzenfotoarchiv, das Eingang findet in Fuhrmanns Publikation Die Pflanze als Koch wird 1928 Rengers Nachfolger und erweitert das Pflanzenfotoarchiv, das Eingang findet in Fuhrmanns Publikation Die Pflanze als Lebewesen. Eine Biographie in 200 Aufnahmen.

Fred Koch betont die florale Schönheit, Anmut und Pracht von Pflanzen und reizt dabei die Stilmittel der neusachlichen Fotografie maximal aus. Er richtet den Blick frontal auf die Pflanze, fotografiert in Untersicht, dramatisiert mit gezielter Lichtführung bis zur surrealen Verfremdung und abstrahiert durch extreme Ausschnitte. Koch arbeitete durch Lichtreflektionen und starke Schatten die Plastizität der Pflanze dramatisierend, fast schon theatralisch heraus. Auch der andere Großmeister der neusachlichen Fotografie, Karl Blossfeldt, nimmt seine Pflanzen eher nüchtern, sachlich und streng auf, während Koch die Pflanzen wie Porträts inszeniert. Fred Koch entwickelt in der intensiven Auseinandersetzung mit Ernst Fuhrmanns „Biosophie“ eine stilistische Eigenheit, die ihresgleichen sucht. Fuhrmanns organisch-ökologische Lehre von den Zusammenhängen menschlicher und pflanzlicher Lebensprozesse geht von einer animalischen Funktion der Pflanze als dämonisches und sexualisiertes Lebewesen aus. In seinen Texten und Bildunterschriften vergleicht er Pflanzenteile mit Fleisch, Knochen, Händen, Muskulatur, Geschlechts- und Sinnesorganen. Fuhrmanns Vorstellungen folgend, erwecken Kochs Inszenierungen bewusst Assoziationen mit sexuellen Konnotationen, womit er das "Lebendige der Pflanzen" so pointiert hervorhebt wie kein anderer Fotograf seienr Zeit. 1931 würdigt der Schriftsteller Will Vesper Fred Kochs "meisterhafte Pflanzenaufnahen, die den fantastischen Bau dieser Lebewesen wie unter der Lupe zeigt [...]. Es ist, als sähe man zu, wie Pflanzen sich bewegen, sich formen, sich freuen, kämpfen, siegen, leiden und sterben, wie lebendige Wesen, die sie ja auch sind.“

Koch war ein unermüdlicher Tüftler, er entwarf Spezialkameras für extreme Tiefenschärfen im Makrobereich, optimierte seine Apparaturen und studierte die Ausleuchtungsmodalitäten bis ins kleinste Detail. Damit hebt er sich besonders bei seinen Fotografien von Kristallen und Mineralien hervor. In mehreren Texten verrät er seinen Lesern technische Raffinessen und Tricks: „Neben Formcharakter und Material muss man bei den Kristallen ihr Verhalten zum Licht ganz besonders beachten.“ In Kenntnis der komplexen Raumstrukturen, strengen Gesetzmäßigkeiten, Transparenz und Lichtbrechungsfaktoren von Kristallen stellt Koch die ästhetischen Qualitäten der stofflichen Beschaffenheit und die architektonische Konstruktion seiner Motive besonders brillant heraus. In Detailreichtum, Schärfe und Präzision übertreffen viele seiner Kristallaufnahmen die seiner

Nun kann und sollte Fred Kochs Name Einzug halten in zukünftige Veröffentlichungen zur Fotografie der Neuen Sachlichkeit. Die Alfred Ehrhardt Stiftung wagt den Schritt zu einer wirklichen Neuentdeckung.

Kuratorin: Stefanie Odenthal M.A., Stiftungsmanagerin und Kuratorin der Alfred Ehrhardt Stiftung

Leihgeber: Berlinische Galerie // bpk-Bildagentur, Berlin // LVR-LandesMuseum Bonn, Fotografische Sammlung // STÄDEL MUSEUM, Frankfurt // Stiftung F.C. Gundlach, Hamburg // Die Photographische Sammlung, SK Stiftung Kultur, Köln, Dauerleihgabe Rainer Stamm // Sammlung Ann und Jürgen Wilde, Zülpich // Dr. Hans Schön // Sammlung Claudia und Rolf Poss // Sammlung Rainer Stamm // Privatbesitz

Katalog: Anlässlich der Ausstellung erscheint der Katalog Fred Koch. Naturfotografie der 1920/30er Jahre (Dt./Engl., Texte Rainer Stamm, Stefanie Odenthal, Snoeck Köln, 2022).