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Ausstellungseröffnung: Freitag, den 20. Juni 2008 um 19 Uhr

Arbeiten von den drei KünstlerInnen Luca Frei (Lund), Marine Hugonnier (London), Sean Snyder (Tokyo) werden ab den 20. Juni direkt in die laufende Vojin Bakic’s Soloausstellung intervenieren und werden zum Teil des räumlichen Ensembles. Durch das Nebeneinander lassen sich die verschiedenen autonomen Projekte wie ein Dialog auf Ausstellungsebene lesen.

Luca Frei‘s Collagen, Texte und Installationen scheinen beständig auf der Suche nach neuen Blickwinkeln und Möglichkeiten dafür, wie zeitgenössische Kunst ihr veränderndes Potenzial in die Formation gesellschaftlicher Wirklichkeit einbringen kann. Zugleich spiegeln seine Methoden dabei ein kritisches Verhältnis gegenüber jeder Art totalisierender Vision. Autoritären und autorschaftliche Gesten setzt er teils fiktive, teils reale Situationen entgegen, in denen die Betrachter aufgefordert werden, sich aktiv an der Erstellung von Ideen und Handlungszusammenhängen zu beteiligen. In solchen Konstellationen spielt Frei wiederholt mit Ideen und Mustern der Reformpädagogik, neuen Methoden des Lernens und des assoziativen Denkens, ohne aber deren partizipatorischen Angebote als einfach wiederholbar anzunehmen. Für den Grazer Kunstverein wird eine neue, in Bezug auf den Raum entwickelte Skulptur entstehen, die gemeinsam mit der leitmotivisch zu verstehenden Druckgrafik „The smoke of the chimneys“ (2004) gezeigt wird.

Für Art for Modern Architecture (Homage to Ellsworth Kelly), 2005, hat Marine Hugonnier Farbflächen aus Kelly's Buch Line Form Color (1951) ausgeschnitten und auf die Layouts von Titelseiten unterschiedlicher Zeitungen aufgeklebt. Die Zeitungen kommen aus Ländern, die die Künstlerin bereiste. Das Buch mit den ausgeschnittenen Seiten, sozusagen das Teilelager für die Collagen, begleitet die Zeitungsseiten in einer nebenstehenden Vitrine. Wie eine Tiefbau-Architektur graben sich die Ausschnitte segmentartig in das Volumen des Buches. Hugonnier scheint mit dem Projekt ein Postulat Kelly’s wörtlich zu nehmen, dass Kunstproduktion für den öffentlichen Raum anwendbar zu machen sei. Dabei überträgt sie die Definition öffentlichen Raums prototypisch auf einen medialen Raum. Medialer Raum, der - wie auch weiter unten bei Snyder – mit seinen Formaten Wirklichkeit durch Bilder und Information vermittelt und konstituiert.

Mit einer neuen Fassung der Arbeit "Schema (Television)“ untersucht Sean Snyder die Konzepte Transparenz und Manipulation anhand der Bildwelten des Satellitenfernsehens. Er nähert sich den Codes und dem rigiden Schematismus der Bilder in Bezug auf herrschende Konventionen der Genres und in Bezug darauf, wie bestimmte Sendeformate den Konsum von Realität bieten. Auf der Schnittebene zieht er formale Referenzen zu Dziga Vertovs Kino-Pravda Wochenschauen. Zwischentitel stellen das gezeigte visuelle Material in Frage. Dabei scheint die Montage zuerst einem obsessiven „Zappen“ zu ähneln, der sich durch die endlosen Nachrichten-, Koch-, Wetter-, Verkaufs- und Unterhaltungssendungen der Kanäle arbeitet. Snyders Auseinandersetzung mit medialen Architekturen steht in Kontinuität zu seinem langjährigen Interesse daran, wie modernistische Architektur und Städteplanung verschiedenen ökonomischen, geografischen und politischen Umständen entwachsen sind. Er recherchiert in seinen Arbeiten Stadtbildern und Institutionen innewohnende Erzählungen. Wie finden die Anliegen und Entscheidungen bestimmter Konzepte und visueller Codes ihre weltweite Verbreitung?

Während von WHW anhand der Rezeption Bakic's exemplarisch gezeigt wird, wie eine bestimmte Kunst in wechselnden gesellschaftlichen Zusammenhängen zum Gegenstand signifikanter Neucodierungen werden kann, sind Frei, Hugonnier und Snyder allgemeiner daran interessiert, wie sowohl die Wahrnehmung als auch die Produktion von Zeichen und Formen durch Ideologie und verschiedene Möglichkeiten sowohl freiwilliger als auch unfreiwilliger Anwendungen determiniert wird. Alle Arbeiten halten dabei fragend ein kritisches Moment der Moderne lebendig; erneut behaupten sie die Bedeutung von deren gesellschaftskritischen Potenzials für die Gegenwart. Jedoch ohne dieses als universal gültiges Dogma zu proklamieren. Der durch die historische Perspektive hinzugewonnene Zweifel am „großen Projekt“ scheint es gerade zu ermöglichen, sich wieder dafür zu interessieren.

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Luca Frei, Marine Hugonnier, Sean Snyder
Kuratoren: Sören Grammel und WHW  (Ivet Curlin, Ana Devic, Natasa Ilic, Sabina Sabolovic) mit Ana Bakic