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Die Ausstellung FURTHER PROCESSING nimmt die Open Source Software „Processing“ als Ausgangspunkt, um aktuelle Positionen softwaregestützter Kunst vorzustellen. Programmieren war immer schon Bestandteil der Medienkunst, das Interesse an Software und dem Computercode als Methode künstlerischer Untersuchungen hat sich nun verstärkt. Der Code wird zum ästhetischen Material, die Software zum neuen Kunstobjekt. Inspiriert von den Experimenten in digitalen Medien der späten 90er Jahren, entstand in den letzen Jahren ein Bewusstsein bei Künstlern und Designern, die mit digitalen Medien arbeiten, dass es einer codegestützten „Software Fertigkeit“ bedarf. Verbunden mit dem Aufkommen einer neuen Generation, die sich rund um Mikrocomputer, BASIC Programmieren und dem Internet formierte, entstand eine neue Bewegung innerhalb der Medienkunst Szene, die sich mit codegestützter Abstraktion und auf Datenbanken basierender Kunst beschäftigt. „Generative Kunst bezieht sich auf jede Kunstpraxis, in der Künstler ein System anwenden, vergleichbar mit einem Satz natürlicher Sprachregeln, einem Computerprogramm, einer Maschine oder einer anderen prozessorientierten Erfindung, das mit einem gewissen Maß an Eigenständigkeit in Bewegung gesetzt wird und damit einen Beitrag oder das Ergebnis eines vollständigen Kunstwerkes liefert.“ Philip Galanter, „Was ist generative Kunst? Komplexitätstheorie als Kontext für Kunsttheorie“

GENERATIVE KUNST: Das System als Kunstobjekt

Jede Art von Software basiert per se auf einem System. Es überrascht also nicht, dass softwaregestützte Kunst sich mit dem System selbst als Objekt für Untersuchungen befasst. Etwas allgemein unter dem Begriff Generative Kunst zusammengefasst, reicht diese Auseinandersetzung über den einfachen Wunsch den Code als Werkzeug zu verwenden hinaus. Stattdessen werden Algorithmen und Codestrukturen zu Materialien für die künstlerische Arbeit. Historische Kunstbewegungen wie Konzeptkunst, Minimalismus, Fluxus und Op Art, sowie Künstler wie Bridget Riley und Sol LeWitt können als Hintergrund für das Verstehen dieser Kunstpraxis herangezogen werden. Gleichzeitig sollte die Bedeutung aktueller wissenschaftlicher Diskurse um Komplexitäts-, Emergenz- und „Artificial Life“-Theorien nicht vergessen werden. Der Vorstoß in zeitgenössische elektronische Musik ist ein anderer Einfluss im Zuge dessen einige der Künstler mit Musikern zusammenarbeiteten, um softwaregestützte Performancesysteme für die synästhetische Verbindung von Ton und Bild in einem Live-Kontext herzustellen. In FURTHER PROCESSING nehmen einige Künstler eine generative Position ein, jedoch mit merklich unterschiedlichen formalen Interessen. Lia und C.E.B. Reas verwenden kinetische Prozesse als Entsprechung zur Zeichnung, indem sie komplexe Strukturen auf Projektionsflächen einschreiben, die sich zu vielschichtig aufgebauten Oberflächen entwickeln. Die sparsame Verwendung von Farbe und Form lässt an eine minimalistische Ästhetik erinnern, obwohl die Arbeiten selbst sehr komplex strukturiert sind. Fabio Franchino untersucht die Struktur von Mustern, die selbst als eine Anwendung von Regeln bezeichnet werden kann. Seine „Unfinished Wall“ beschreibt ein Muster, das theoretisch auch in einem enormen Maßstab dargestellt werden kann. Karsten Schmidt und Marius Watz beschäftigen sich mit der Entwicklung von räumlichen Strukturen, indem sie virtuelle, skulpturale Formen auf dem Bildschirm entwickeln. Wirkungsvoll werden kräftige Farben eingesetzt und eine formale Dichte entwickelt, um ausladende räumliche Kompositionen zu schaffen. Schließlich ist Mark Napiers „Genesis (7 bit)” eindrucksvoll genug, um den Text „Genesis“ aus dem Alten Testament als Rohmaterial zu verwenden, indem die Buchstaben als Koordinaten für Punkte im Raum verwendet werden. Die resultierenden Bögen und drahtähnlichen Strukturen sind fein und hypnotisierend. Die generativen Arbeiten in FURTHER PROCESSING repräsentieren eine ästhetische Komplexität, die sich mit formalen Untersuchungen von räumlichen und zeitlichen Parametern beschäftigen. In einer Spannbreite von opulent bis minimalistisch überbrücken diese Werke mühelos die Kluft zwischen einer elektronischen Bildkultur und Traditionen in Zeichnung und Malerei.

DATA ART: Die Kunst der Datenbanken

Ein weiterer erkennbarer Trend in FURTHER PROCESSING ist die Visualisierung von Daten als eine neue Art von kulturellem Artefakt. Ben Frys „Isometric Blocks“ stellt eine wissenschaftliche Visualisierung von Segmenten genetischer Codes dar, während Golan Levins „The Dumpster“ die Datenwelt der Blogs untersucht, um Muster in romantischen Postings zu finden, die mit Beziehungskrisen und Trennungen in Verbindung stehen. Martin Wattenbergs „Thinking Machine“ zeigt dem User, wie ein spielender Schachcomputer das Spielbrett als ein Feld von Energieflüssen „sieht“. Pablo Miranda Carranza experimentiert mit architektonischen Prinzipien und parametrischen Symbolen und schafft so Systeme, die es lernen ihren eigenen Output zu gestalten. Diese Arbeiten ähneln äußerlich Designobjekten oder den Resultaten von wissenschaftlicher Forschung, ihr Erfolg unter einem breiteren Publikum ist jedoch ein sicherer Beweis für ihre emotionale Wirkung. Ihrem Stellenwert als „objektive“ Visualisierung von trockenen Daten widersprechend, können diese Arbeiten tatsächlich als reine Form von computerbasierter Kunst gesehen werden. Innerhalb des Kontextes von FURTHER PROCESSING werden diese Arbeiten exemplarisch als eine aktuelle Art eines kulturellen Artefakts gezeigt, mit dem Hinweis darauf, dass es besserer Werkzeuge bedarf, um die komplexe Welt der Information, welche uns umgibt, zu verstehen.

PROCESSING: Das Werkzeug

„Processing“ wurde ursprünglich von C.E.B. Reas und Ben Fry im Jahr 2001 während ihrer Tätigkeit in der Aesthetics & Computation Group (ACG) am MIT Media Lab (Boston) entwickelt. Unter der Leitung von John Maeda war das ACG eines der ersten akademischen Programme, das computerbasierte und ästhetische Theorie interdisziplinär untersucht hat. „Processing“ versucht die Schwellenangst technisch nicht versierter Personen im Experimentieren mit Codes mittels einer Reihe von Strategien zu reduzieren: oe Eine vereinfachter Sprachsyntax, die sofortiges Experimentieren mit visuellem Output ermöglicht. oe Ein Programmier-Interface, das intuitiv und nicht technisch ist. oe Eine Open Source Architektur, die es dem User erlaubt, das Werkzeug weiterzuentwickeln. Im Laufe seiner (permanenten) Entwicklung hat „Processing“ beträchtliche Anerkennung erworben und wird heute als Standard-Unterrichtstool von vielen Kunst- und Designschulen verwendet. 2005 hat „Processing“ eine Goldene Nica beim Prix Ars Electronic gewonnen. Schließlich basiert das Projekt FURTHER PROCESSING auf einem kontinuierlichen künstlerischen Austausch, dessen Effekte sich auf einer ästhetischen, technologischen und diskursiven Ebene zeigen. Neben den Arbeiten von zehn bekannten internationalen Medienkünstlern ist daher auch die Software „Processing“ ausgestellt, damit die Besucher einige Tools ausprobieren können und vielleicht selbst auf den Geschmack im Umgang mit Codes kommen.

Pressetext

only in german

Further Processing
Generative Kunst, offene Systeme
Koproduktion steirischer herbst & Kunstverein Medienturm
Kuratiert von Sandro Droschl, Marius Watz

mit Pablo Miranda Carranza, Fabio Franchino, Ben Fry, Lia, Golan Levin, Mark Napier, C.E.B. Reas, Martin Wattenberg & Marius Watz