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„Tekeli-li!“ ist der Ausruf des Entsetzens, wenn die Eingeborenen von Tsalal in Edgar Allan Poes Roman „Der Bericht des Athur G. Pym“ der Farbe WEISS begegnen. Weiß, die hellste unbunte Farbe, ist die Farbe der Heiligkeit in Juden- wie in Christentum, die der Reinheit und Transzendenz. Mit der Moderne wird Weiß zur Farbe der Leere, blendend weiß zur Menschheits-katastrophe. 1838 lässt Poe die Entdeckungsreise des modernen Abenteurers Pym in einem phantastischen Sog aus Weiß enden. Hier ist Weiß Trägerin des Unfassbaren und Medium des menschlichen horror vacui.

In den Papierschnitten und neueren Malereien von Gabriele Basch schreibt Weiß den Entstehungsprozess in die Werke ein - ist oft Ausgangspunkt und Ergebnis, Mittel und Botschaft zugleich. Die Bilder lauf und falter (beide 2010) beispielsweise sind das Resultat zahlreicher Schichtungen, die mit Schüttungen und Drippings von weißer Farbe beginnen. Durch die Ummalung der Formspiele entstehen zufällige Strukturen, die mit kalkulierten Figuren so selbstverständlich verwoben werden, bis sie ein gemeinsamer Rhythmus prägt. Die Umrisse der weißen Formen brennen sich in den Blick ein wie „Abdrücke“ von Blendungen auf der Netzhaut. Das Gefühl der diffusen Erinnerung an Gesehenes, Bekanntes, lösen auch die cutouts wie fahne (2010) aus. Umrankt, überwuchert und verfremdet von einer chaotischen Ornamentik scheinen in den Papierschnitten Elemente unserer Wirklichkeit auf, wie Maschendrahtzäune, Netze, Gewächse, Ruinen, Vögel und Falter.

Schnappschüsse zeichenhafter Details und Fotografien, in denen Abgründiges, Mehrdeutiges zu Tage tritt, bilden oft die Arbeitsgrundlage für Baschs Werke. Zwischen der Fotografie auf der Einladungskarte zur Ausstellung „tekeli-li“ und einigen Werken lässt sich eine geheimnisvolle Verwandtschaft herstellen. Gleichzeitig mag der Blick in die Tiefe dem ähnlich sein, der sich Poes Protagonist von oben in die schwarzen Schluchten auf Tsalal bietet. Auf der Suche nach einem Weg, um der Insel zu entfliehen, gerät Pym in eine Reihe dunkler Schluchten, die in ihrer Form ein fremdes Wort ergeben: schattig sein aber auch weiß sein. Pym fehlt die Distanz, er kann die Zeichen, ihre warnende Botschaft, nicht deuten und hält sie für merkwürdige Formationen der Natur. Mit diesem Moment spielt auch Gabriele Basch, indem sie Details bis zur Unkenntlichkeit vergrößert.

Ihre Farbwirkung erhalten Baschs Papierschnitte durch die bunten Schatten, die sie auf die weiße Wand werfen. Ihre Formen entstehen aus dem Zusammenspiel von Materialität und Leere, ihr Zeichenhaftes aus Signifikat und Chaos. Denn Weiß ist nicht nur, was die Dunkelheit aufhebt (L. Wittgenstein) sondern Weiß ist auch, was Dunkelheit zeigt. Die von Poe evozierten paradoxalen Zustände für die menschliche Erkenntnis sind dieselben aus denen sich die Wirkung von Baschs Werken nährt: Sie sind Artefakt und Naturprodukt, Zufall und Kalkül, schattig und weiß, bedeutsame und undeutbare Zeichen zugleich. Im Formvokabular des Alltäglichen forscht Gabriele Basch nach dem Fremden und erwirkt etwas, wonach wir in der Kunst wie die Metaphysiker in Jorge Luis Borges „Thlön, Uqbar Orbis Tertius“ immer auf der Suche sind: Sie „... suchen nicht die Wahrheit, ja nicht einmal die Wahrscheinlichkeit: sie suchen das Erstaunen.“

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Gabriele Basch
tekeli-li