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Leonhard Bleich-Rossi: Gang Zhao, du bist hier in Peking geboren, du lebst und arbeitest hauptsächlich in New York. Siehst du dich selbst als einen Botschafter für die Verquickung beider Kulturen?

Gang Zhao: Nein. Ich glaube, dass in der modernen Kultur jede Nation ihre eigene Interpretation davon hat, was Kultur ist.

LBR: Welchen Rat könntest du einem jungen Chinesen, einem jungen Amerikaner geben betreffend die Frage, was sie von einander lernen könnten?

GZ: Ich glaube nicht, dass sie von einander lernen wollen würden- sie würden nach einer Lösung suchen, um ihr Gegenüber zu unterwerfen. Kultureller Dialog ist wie Krieg, wie Sport, der Ball wird hin und hergespielt, du versuchst, ein Tor zu schießen, abhängig vom Spielfeld, und wie groß dieses Spielfeld ist.

LBR: Während Österreich Mozarts 250ten Geburtstag feiert, erinnert sich China an den 40ten Jahrestag des Beginns der Kulturrevolution. Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, sollen wir sie immer noch eine Revolution nennen, und gibt es Veränderungen, die noch immer spürbar sind?

GZ: Ja, es war eine echte Revolution, und deren Veränderungen sind heute noch stark spürbar. Es war die Anwendung einer westlichen Idee, die von Deutschland und Russland ausging. Und Mozart wurde sowohl von den Kommunisten als auch den Nationalisten geschätzt.

LBR: Würdest du sagen, dass sich Spuren des Konfuzianismus in deinem Werk finden?

GZ: Nein. Nun, vielleicht dessen Traurigkeit. Ich wuchs in Leere und Traurigkeit auf. Ich wanderte über die Felder, begierig nach Veränderung. Ich fühlte mich sehr stark vom Taoismus angezogen. Der ist mehr eine Philosophie als eine Religion, eine Philosophie, die es dir möglich macht, auch die schlimmsten Zeiten zu überleben und die guten Zeiten zu überleben, ohne in Selbstgerechtigkeit zu verfallen.

LBR: Du wurdest 1961 hier in Peking geboren. Die Stadt hat viele Veränderungen mitgemacht. Würde dein Großvater sie wieder erkennen? Magst du persönlich diese Veränderungen? Und würdest du sagen, sie waren eher zum schlechteren oder zum besseren?

GZ: Keiner kann Peking wieder erkennen, nicht einmal ich. Was die Veränderungen betrifft- als ich jung war, ums Jahr 1976, war ich sehr niedergeschlagen. Ich war an der ersten Avantgarde- Fraktion beteiligt, Sing-Sing-Group genannt, was so viel bedeutet wie Star-Star-Gruppe. Wir wollten eine Veränderung, wir wollten, dass die Repression aufhört. Wir hatten diesen konfuzianischen Totalitarismus von der Kaiserzeit weg bis hin zum neuen Regime. Wir waren Eisbrecher. Und wir wurden gezwungen, China zu verlassen. Ich ging 1983 nach Holland, um Malerei zu studieren. China war bis 1989 tot. Bis, wieder einmal, die Studenten einen Aufstand gegen die Unterdrückung versuchten. Und ich weiß nicht, ob ich die Veränderungen mag. Modernismus ist eine interessante Sache, solange sie nicht übertrieben wird, denn jede Überdosis macht eine Sache langweilig.

LBR: Kannst du dich an dein erstes Mal in New York erinnern? Hattest du irgendwelche Vorstellungen von den USA? Und wie vertrugen sich diese Vorstellungen mit der Realität?

GZ: Nun. Das war 1984, und es war ein richtiges Erweckungserlebnis. Aber ich habe New York erst 20 Jahre später verstanden. Die Wirklichkeit ist immer verschwommen. Und die Erwartungen werden da noch draufgepackt. Realität ist niemals greifbar.

LBR: Fördert der chinesische Staat eine bestimmte Kunstrichtung? Oder können Künstler tun und lassen, was sie wollen?

GZ: Ja. Klassische europäische und chinesische Kultur und Musik werden dazu hergenommen, um das hohe kulturelle Niveau der Regierung zu unterstreichen. Aber sie hat die Kontrolle über die Kunstszene verloren. China ist extrem frei im Moment. Also geht die Regierung her und versucht, Künstler entweder dazu zu verleiten oder zu bestechen, damit sie den Standpunkt der Regierung malen. Das sind Hofmaler. Die Regierung besteht aus einem Haufen Neureicher, die repräsentieren und repräsentiert werden wollen.

LBR: Gibt es einen bestimmten Meister der antiken chinesischen Kunst, den du magst?

GZ: Künstler kritisieren immer die Gesellschaft. Die Nachwelt wundert sich, wie diese Kritik in der Vergangenheit vollzogen wurde, sie wurde zu einem Geheimnis, und das ist sehr interessant, denn die politischen Absichten waren immer die wichtigsten in der Kunstgeschichte. Ich mag die Song-Epoche. Das war die wichtigste Phase. Kaiser Zhao Ji erfand seine eigene Kalligraphie. Er gründete die erste Akademie für Malerei und wurde selbst ein wichtiger Künstler. Ba Da Shan Ren ist ein weiterer Meister, den ich mag. Er war der achte Sohn des letzten Ming-Kaisers, Chongzen. Nachdem die Ming ihre Macht an die Mandschu abgetreten hatten, wurde er Mönch und kreierte eine sehr persönliche, unverwechselbare Form der Kalligraphie.

LBR: In welchem Ansehen steht der Künstler in China, was ist seine Rolle?

GZ: Sie werden als verrückt und unzuverlässig betrachtet, gesellschaftlich interessant zwar, aber gesellschaftlich immer am Rande, nie drinnen. Daraus ergibt sich, dass der Künstler verzweifelt nach Respekt trachtet. Im Grunde geht es nicht darum, finanziell erfolgreich zu sein, sondern darum, respektiert zu werden. Wenn du Teil der Gesellschaft sein wolltest, würdest du Banker, nicht Künstler. Und nebenbei gesagt, von 1991 bis 1996 war ich Investmentbanker. Ich war ein ziemlich guter Banker, wenn auch nicht besonders kommerziell erfolgreich. Ich war nicht wirklich am Geld interessiert, sondern betrachtete es als eine Performance, die über sechs Jahre dauerte.

LBR: Gab es einen westlichen Künstler, der dich beeinflusst hat?

GZ: Solange ich in China lebte, war das Max Ernst. Weil er mit Kunst fertig werden konnte, mit Philosophie und später, mit Verfolgung, weil er ein Künstler der Avantgarde war. Als Künstler wirst du ständig vom Mainstream verfolgt. Ich fühle mit den Verfolgten mit. Im Ausland wurde ich von Sartre und Heidegger beeinflusst. Also ist mein Verständnis von und Umgang mit Kunst ziemlich deutsch, meine Technik ist europäisch, meine Inhalte chinesisch. Für mich als Chinesen ist es sehr schwer, Zustimmung zu finden, in dieser Hochkultur des Weißen Mannes.

LBR: Trotz der offiziellen Linie wird die dekadente kapitalistische Gesellschaft des Westens oft zitiert, um die hohe Qualität von Produkten hervorzuheben oder um ein Konzept von Schönheit zu propagieren. So gibt es viele chinesische TV-Spots, in denen ein westlicher Wissenschafter, mit Brille und weißem Labormantel, der dir auf chinesisch erklärt, warum du gerade seine Zahnpasta kaufen sollst, die Models in einer Werbung für Antifaltencreme sind alle weiß, und ich habe jede Menge Werbeplakate mit blauäugigen Blondinen gesehen, die sich grade an Sodawasser oder Parfum labten. Ziemlich bizarr. Wie erklärst du das?

GZ: Ganz einfach: Weil der Westen ständig mit neuen Ideen, Erfindungen, Konzepten, Produkten überrascht. Wir Chinesen finden diese geistige Flexibilität sehr attraktiv. Ich zum Beispiel, bin total materialistisch. Ich liebe gute Marken, Anzüge, Uhren, hochqualitative Materialien. Ich schätze erstklassige Produkte wirklich. Ich will nicht herum lügen und sagen: „Nöö, ich bin Künstler, ich bin ein spiritueller Mensch, ich brauch das nicht.“ Fuck that. Ich bin kein Scheinheiliger. Und persönlich bevorzuge ich Rothaarige.

LBR: Ich war genauso überrascht, im TV eine Reihe von Seifenopern zu entdecken, die im kaiserlichen China spielen, und gleich der nächste Kanal strahlt einen sozialistischen Propagandafilm aus, hier opfern sich Revolutionshelden zum Wohle des Volkes. Wie gibt’s das?

GZ: Das ist alles dasselbe. Denn es geht nur um eines: Um China. Die Menschen werden mit imperialen Kostümen und revolutionären Idealen einer Gehirnwäsche unterzogen. Und das Ziel ist immer dasselbe: Die Glorie Chinas. Damit die Leute den Rest vergessen, sich über die ganze Scheiße nicht mehr so aufregen. In dieser Ausstellung geht es um gebrochene persönliche Erzählstränge. Es geht um die Schönheit eines Sonnenuntergangs in den Feldern. Es geht darum, dass die Dinge, die ich in diesen Feldern heute sehe, nicht mehr so schmuck sind. Und ich bin genauso verrückt wie Van Gogh. Ich bin ein romantischer Narr. Ich möchte diese Ausstellung drei Frauen widmen, die im meinem Leben sehr wichtig sind: Ulrike Koch, Michelle Loh und Jenny Siegelman.

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Gang Zhao
broken narrative