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Mit Women are Beautiful zeigt das Fotomuseum WestLicht die wohl berühmteste und am kontroversesten diskutierte Serie des großen Street Photographers Garry Winogrand (1928-1984). Die 85 Fotografien, die in den 1960er- und 70er-Jahren entstanden und von Winogrand 1975 im gleichnamigen Buch veröffentlicht wurden, sind ein Porträt einer Zeit des Aufbruchs: Die Ausübung neu gewonnener – und neu erkämpfter – innerer und äußerer Freiheiten brachte in den Nachkriegsjahrzehnten einen Wandel im Selbstbild der Frau. Winogrands Serie dokumentiert, wie die gesellschaftliche Veränderung im öffentlichen Leben Form annimmt. Seine Kamera folgt den Frauen durch die Straßen von Manhattan, durch die Parkanlagen und auf High Society Partys und beobachtet, wie sie mit selbstbewusster Eleganz den öffentlichen Raum für sich beanspruchen und sich soziale Transformation in Körpersprache, Auftreten und Habitus manifestiert. So sehr freilich die Serie Frauen als Subjekte der Geschichte zeichnet, so sehr bleiben sie Objekte eines männlichen Blicks und Beute eines brillanten Bilderjägers.

Garry Winogrand ist einer der einflussreichsten Fotografen seiner Generation. In den 1950er- und frühen 1960er-Jahren entwickelte er eine oft als instinktgeleitet apostrophierte fotografische Sprache, die sich wenig um klassische Konventionen des Bildaufbaus kümmert, sondern nach einer direkteren Repräsentation des Lebens in der Fotografie sucht. Winogrand, der „Prince of the Streets“, gilt als der Prototyp des Street Photographers: die Leica permanent im Anschlag, sein hochsensibles Gespür für den Augenblick gepaart mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit gegenüber seinen Motiven. Niemand vor ihm hat wohl die Dynamik der Straßen seiner Heimatstadt New York City so unmittelbar eingefangen wie er. Verzerrungen, stürzende Linien und immer wieder der gekippte Horizont in den Fotografien verkörpern die Rastlosigkeit des großstädtischen Alltags ebenso wie Winogrands atemlose Arbeitsweise.

Winogrand war ein fast manischer Fotograf, das Bildermachen war ihm kein Metier, sondern eine Lebenseinstellung. Einem ähnlich obsessiven Bildersammler – dem tschechischen Künstler Miroslav Tichý (1926-2011) – widmet WestLicht eine ergänzende Kabinettausstellung mit einer Auswahl von Arbeiten aus der eigenen Sammlung. Ausschließliches Motiv seines seit den 1960er-Jahren entstandenen fotografischen Werks sind die Frauen und Mädchen seines Heimatorts Kyjov. Tichý fotografierte sie auf seinen täglichen Streifzügen durch die Stadt mit aus Altwaren zusammengebauten Kameras. Mit fast konzeptueller Rigorosität setzte er sich ein Tagespensum von einhundert Aufnahmen. Der voyeuristische Appeal von Tichýs Fotografien wird durch die technische Unvollkommenheit der selbstkonstruierten Objektive gleichzeitig zurückgenommen und verstärkt. Oft legen sich Unschärfen wie ein Schleier über die Körper der Frauen, mal wirken die Fotografien wie Erscheinungen zwischen Traum und Wirklichkeit, mal wie die Aufnahmen eines Überwachungsapparats. Ähnlich ungreifbar ist auch der Künstler Tichý selbst geblieben. Mit exzentrischem Eigensinn hat er sich Zeit seines Lebens allen Vereinnahmungsversuchen – durch den sozialistischen Staat ebenso wie in späteren Jahren durch den Kunstmarkt – entzogen.

In den zentralen Vitrinen des Kameramuseums präsentiert WestLicht eine Sonderausstellung zum Thema Detektivkameras mit ausgewählten Miniatur-, Geheim- und Spionagekameras. Mit der Einführung der Fotografie im Jahr 1839 beginnt zugleich eine Zeit der Entwicklung verschiedenster Kameratypen. Ausgehend von den unterschiedlichen Einsatzgebieten steigt auch der Anspruch an die Handlichkeit, Transportfähigkeit und Unauffälligkeit der Apparate. Insbesondere das Ziel unbemerkt fotografieren zu können, steht bei vielen Nutzern im Mittelpunkt. Die kleinen, hochtechnischen Gebrauchsgegenstände werden hier zusammenfassend als Detektivkameras bezeichnet. Mit ihrer mobilen Einsetzbarkeit revolutionieren sie die Fotografie: Sowohl Amateur- als auch Berufsfotografen haben nun erstmals die Möglichkeit, zu jeder Zeit bewegte und unbewegte Objekte abzulichten. Bis 1920 erfreut sich dieser Kameratyp großer Beliebtheit und inspiriert den Amerikaner George Eastman zum Bau der ersten Kodak-Boxkamera. Diese Neuheit begeistert innerhalb kürzester Zeit die breite Masse und ebnet den Weg für eine innovative Art zu fotografieren. Die Momentaufnahme ist geboren.

Garry Winogrand. Women are Beautiful in Zusammenarbeit mit der Lola Garrido Collection