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Gerwald Rockenschaub (geb. 1952) zählt zu den international renommiertesten bildenden Künstlern Österreichs. Er gilt als analytisch denkender Pragmatiker, dessen Arbeitsweise durch das Prinzip der Konzentration und Reduktion auf wenige, aber wesentliche Elemente und Strukturen geprägt ist. Mit seinen Bildern, Objekten, Animationen und Rauminstallationen bezieht sich Gerwald Rockenschaub gleichermaßen auf Ideen und Positionen der Moderne wie auf Phänomene der Alltags- und Popkultur.

Zu Beginn der 1980er Jahre entstanden kleinformatige Ölbilder, die auf einfachen Formen, Piktogrammen und einer klaren Farbigkeit basierten und zunächst im Kontext der so genannten ‚Neo Geo' Bewegung rezipiert wurden. Wenige Jahre später markiert der Einsatz industriell hergestellter Materialien und maschineller Produktionsverfahren gravierende Veränderungen in Rockenschaubs Werk.

Die Funktion gemalter Oberflächen übernehmen von nun an farbige oder transparente Plexiglasscheiben und computergenerierte Folienbilder. Die Auseinandersetzung mit Raum als komplexer sozialer Struktur führt zu neuen dreidimensionalen Objekten und zu präzisen Eingriffen in die vorhandene Architektur: begehbare Gerüste, Treppen, Glaskuben, Vorhänge oder Wandeinbauten lenken die Bewegungen der Personen im Raum und offerieren ihnen neue, sinnliche Wahrnehmungsmöglichkeiten.

Für die Ausstellung 2275 m3 in der Kunsthalle Nürnberg hat Gerwald Rocken-schaub einen Parcours konzipiert, der mit prägnanten Beispielen seiner Arbeit Einblick in die wichtigsten Werkgruppen und Ideen seit den 1980er Jahren gibt. Doch ist diese Ausstellung kein Aneinanderreihen einer sorgfältigen Auswahl von Werken, sondern sie zeigt eine genau überlegte Dramaturgie, bei der die Arbeiten mit dem Raum, aber auch untereinander in Beziehung gesetzt werden und so ein neues eigenständiges Werk bilden, das insgesamt das Raumvolumen von 2275 m3 der Kunsthalle Nürnberg umfasst.

Raum 1: Die Ausstellung beginnt mit einer dicht gehängten Gruppe von Farbfolienbildern. Die zeichenhaften Formen und die Kombination der Farben bilden einen zwischen Bekanntem und Erfundenem oszillierenden Code, der nicht allein nach kunsthistorischen Gesichtspunkten wie Form- und Stilgeschichte zu entschlüsseln ist, sondern auch andere kulturelle Muster und Bezugssysteme einbezieht wie etwa Embleme und Logos. Schon der Hamburger Privatgelehrte Aby Warburg (1866-1929) legte in einer seiner bekanntesten Anthologien dar, weshalb er z.B. in der Fotografie einer Golfspielerin das Nachleben einer Kopfjägerin erkennen konnte. Diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen sowie der Rückgriff auf andere Bezugssysteme wie beispielsweise die Musik (Bewegung, Energie und Rhythmus), können für Rockenschaubs Folienarbeiten Anregungen gegeben haben.

Der monumentale transparente Kubus in Raum 2 ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Mitte der 1990er Jahre begonnene Werkgruppe der aufblasbaren Objekte. Mit dem aufgeblasen zwar massiven, aber dennoch fragilen Kubus und wie er im Raum präsentiert wird, bezieht sich Gerwald Rockenschaub zugleich auf die Minimal Art und ruft den intensiven Diskurs über die autonome Plastik, ihre Materialität und ihre Positionierung im White Cube des Museums in Erinnerung.

Raum 3: Mit der raumfüllenden Arbeit aus verschiedenfarbigen Plexiglasplatten zeigt Gerwald Rockenschaub eine neue Installation, die seinen Beitrag seit Ende der 1980er Jahre zur Dekonstruktion des konventionellen Bildbegriffs und dessen Neubestimmung repräsentiert. Leicht übereinandergeschoben stehen die großen fragilen Farbflächen auf dem Boden bzw. lehnen an der Wand, und bilden eine überdimensionale Abfolge von Farbflächen. Mit dieser Installation bezieht sich Gerwald Rockenschaub auf die Abstrakte Farbfeldmalerei von Barnett Newman bis Mark Rothko, doch er katapultiert diese Positionen der Moderne direkt ins 21. Jahrhundert.

Raum 4: Mit den Videoanimationen greift Gerwald Rockenschaub zurück auf das Vokabular der Folienbilder, doch sind die Farbformen jetzt noch reduzierter und in rhythmisch ablaufende Bewegungen übertragen. Die Reihung der sieben Flachbildmonitore rahmt die selbstgenügsame Bewegung der Bilder und erinnert an die Diskussionen über die Erweiterung des Malereibegriffs um Videoarbeiten.

Raum 5: In der Auseinandersetzung mit dem architektonischen und institutionellen Raum versteht Gerwald Rockenschaub Raum immer auch als komplexe soziale Struktur und entwickelte ab Ende der 1980er Jahre dreidimensionale Objekte aus Plexiglas und PVC oder setzte präzise Eingriffen in die vorhandene Architektur. Der Vorhang tritt erstmals 1991 in Rockenschaubs Ausstellung im Kunstmuseum Luzern auf. In der Kunsthalle Nürnberg wird der größte Raum der Ausstellung wegen der in der Mitte liegenden Durchgangs-situation geteilt. Diese schon vorhandene Struktur wird von Gerwald Rockenschaub durch zwei symmetrisch neben den Türen angebrachten Metallschienen mit transparenten Vorhängen betont. Die Vorhänge schließen die dahinterliegenden Raumhälften und schaffen eine großzügige Passage, die zwar die symmetrische Mittelachse bildet, jedoch plötzlich das Gefühl vermittelt, draußen zu sein, außerhalb der geschlossenen Räume. Der Blick durch den Vorhang selbst liefert weitere Verunsicherungen: Was ist davor, was dahinter? Mit dieser präzise auf die Architektur bezogenen Arbeit lenkt Gerwald Rockenschaub die Bewegungen der Personen im Raum und stellt zugleich neue, sinnliche Erfahrungen und Wahrnehmungsmöglichkeiten zur Verfügung.

Raum 6: Die Farbe im Zentrum des runden Wandobjektes wirkt hier fast laut. Der rote Punkt lockt zum Weitergehen und funktioniert wie ein Scharnier zwischen den beiden Räumen mit Arbeiten aus transparentem Material, die davor und danach kommen.

Raum 7: Die massivste Skulptur findet sich im kleinsten Raum der Ausstellung, doch die Transparenz der quadratischen Plexiglaswürfel nimmt dem Kubus jede Schwere. Die aufeinander gestellten Kuben bilden an den Rändern eine regelmäßige Gitterstruktur, die den Blick nach oben führt. Die Gitterstruktur und die leichten Unschärfen, wenn man durch das transparente Material hindurchschaut, stellen einen Bezug zu der großen aufblasbaren Plastik im 2. Raum her. Gleichzeitig wird an dieser Skulptur aus Plexiglaswürfeln im wahrsten Sinn des Wortes ‚transparent’, dass Gerwald Rockenschaub häufig mit dem Phänomen des Moduls arbeitet, das in unterschiedlichste Formen und Zusammenhänge gebracht werden kann.

Zur Ausstellung ist in Kooperation mit dem Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien ein umfangreicher Katalog als Werkverzeichnis mit Texten von Roger M. Buergel, Wolfgang Drechsler und Jörg Heiser im Verlag Walther König (Köln) erschienen.

Ellen Seifermann

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