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Was treibt eine Fotografin aus Berlin aus der urbanen in die wirkliche Wüste? Was verheißt der Gang aus den Metropolen der Gegenwart in die magisch aufgeladenen Zonen versunkener Kulturen, zeitferner Monumente und Mumien? Und schließlich: wo öffnet sich der Freiraum unverbrauchter Wahrnehmung inmitten massentouristisch betonierter Reisepisten, archäologischer Erklärungskrusten und populärer Mythen?

All diese Fragen eines in der Gewohnheit hockenden Mitteleuropäers hat sich Gundula Schulze el Dowy ganz sicher nicht gestellt, als sie, in plötzlicher Gewißheit, die New Yorker Phase ihres Daseins beendete und nach Ägypten ging. Denn ein solches Umschlagen der Lebensrichtung, in pathetischeren Zeiten als Bekehrung oder Offenbarung erfahren, verdankt sich nie nur grüblerischen Willensakten. Wahrscheinlicher ist, daß ein beständig wachsendes Unbehagen am Fortgang routinierter Erstarrung schließlich alle Bereiche der Existenz besetzt und, gegen die Konsequenz des Endes, den möglichen Ausweg schlagartig, zwanghaft und doch in völliger Klarheit eröffnet. Dies gilt umsomehr, wenn der betreffende Mensch der zyklichen Spannung künstlerischer Produktion unterworfen ist und also ein wacheres Gespür für Anfang und Ende eines Zustands besitzt als der ans Beständige sich haltende Bürger. Wie auch immer, für Gundula Schulze el Dowy kam es Anfang der Neunziger zur Zäsur, und ein Blick auf das Davor und das Danach dieser Entscheidung könnte einige Hintergründe der seitdem erarbeiteten und hier auszugsweise vorgelegten Serie Das weiche Fleisch kennt die Zeit noch nicht erhellen.

Die Prägungsphase der Künstlerin fiel in die klaustrophobische Realität des geschlossenen Systems DDR, der sie schonungslose Innensichten aus der offiziösen Oberfläche schnitt. Die Eindringlichkeit dieser frühen Schwarzweiß-Serien wirkt auch heute, längst nach der Implosion des gesellschaftlichen Kontextes, noch ungeschmälert auf jene Betrachter, die ein so altbackenes Etwas wie ein soziales Gewissen mit sich herumtragen und sich das Elend der Anderen nicht durch coolen Zynismus vom Leibe halten können. Und doch: die Indifferenz der Gegenwart gegenüber Alter, Armut, Krankheit, Einsamkeit ist um ein Vielfaches höher als zu Zeiten, da deren Negation zum staatstragenden Eiapopeia gehörte; und alle diesbezüglichen Moralappelle der Neunziger münden letztlich in ein zwar politisch inkorrektes, aber desto herzhafteres Gähnen. Dieser gänzlich unterschiedene Resonanzraum ist es, der Portfolios wie Tamerlan, Zeit an Zeit, Akt oder Arbeit zu dokumentarischen Protokollen historisiert, die bei aller erschütternden Authentizität über eine gewisse Einschichtigkeit nicht hinausgelangten und die Künstlerin schließlich, selbst als sie noch wie sozialer Sprengstoff gehandelt wurden, zu Neuansätzen führten.

Da war zunächst die Verwendung von Farbe, die die tristen Behausungen und erloschenen Physiognomien aus dem Nachkriegslicht in den Taumel letzter Selbstinszenierungen eines immer absurderen Systems überführte und dessen grelle Agonie illuminierte (Der große und der kleine Schritt). Da war aber vor allem ein anhebendes Ich-Sagen und Selbstbefragen, das sich zunehmend zwischen den sprechenden Bildausschnitt und die bis dato schweigende Protokollantin schob und schließlich die künstlerische Blickrichtung Gundula Schulze el Dowys umkehrte: vom Gegenüber hin zum eigenen Selbst. Dieser grundlegende Perspektivenwechsel bildet die Voraussetzung ihrer Arbeit bis heute und fiel nur scheinbar paradox zusammen mit der endlichen Öffnung der Welt. Denn die nun einsetzende Sturzflut neuer Eindrücke und Erfahrungen brauchte einen Punkt, von dem aus sie wahrnehmbar blieb, einen Grat, an dem der heranschäumende Bildmüll sich brach, eine Stille, in der das Tosen hörbar blieb. Diesen Schutz bot vorerst nur die Zwiesprache mit der eigenen Erscheinung, dem erkundeten Körper, dem Spiegelgesicht (Waldo's Schatten).

Also gewappnet wurde die Megametropole New York zur kräftigenden Herausforderung. Die Simultanität schwirrender Wirklichkeit, das Fließen unbegrenzbarer Momente, die immerwährende Bewegung dieser Stadt - all dies spottete einer Statik, einem todesgleichen Stop und mußte doch fixiert werden, sollte es nicht ins ohnehin Geschehende, Vergehende zerfließen. Eine Auflösung dieses inneren Dilemmas jeder Fotografie verhieß die Zertrümmerung des Oberflächenscheins: Spiegelung, Splitterung, Schichtung hießen fortan die Verfahren, mit denen Gundula Schulze el Dowy sich in die Tiefe hinter den Dingen grub. Doch weder postfuturistische Bewegungssimulation noch surreale Traumgesichte traten dabei zutage, sondern eine hellwache Intensität der Alltagswahrnehmung, die das Zugleich und Ineinander lebendiger Substanz ins Bild transformierte. Hier wurden die Ränder des Denkens porös, das Blei alter Ordnungen wurde flüssig, alles Festumgrenzte löste und verband sich neu in assoziativer Durchdringung (Spinning on my Heels). Die Bildstrukturen werden sublim, die Farbnuancen subtil, das Empfinden sensitiv: die Zeit war reif, eine bis dahin nie vernommene Stimme endlich zu hören.

Also Ägypten. Pharaonen, Pyramiden. Nil und Mumien? Ja und Nein. Hier wie immer gilt für Kunst: nicht der Gegenstand entscheidet, sondern die Art seiner Behandlung. Ägypten ist für Gundula Schulze el Dowy Vorwand, Etikette, Vereinbarungsbegriff für etwas Anderes. Sie ist auf der Suche nach metaphysischen Bildstrukturen, die das den Dingen geraubte Geheimnis neu erschaffen. Sie inszeniert den Tiefensog ins Bild, um Räume der Ahnung, der Möglichkeit, der Imagination zu öffnen. Sie geht ins Licht, um das Gleißen der Sinne zu spüren und die kosmische Zeit. All diese Seinszustände und -sehnsüchte haben wenig mit ägyptischer Gegenwart und noch weniger mit Pauschalreiseepidemien zu tun, aber viel mit den Defiziten der westlichen Zivilisation am Ende dieses Milleniums. Lauert hier der Gauguin-Effekt? Enttäuschte Ursprungsutopie im Wirklichen, idealischer Aufschein im Bild? Für solch verkopfte Dualitäten ist Gundula Schulze el Dowy zu lebendig. Sie bezieht die Energie ihres Lebens, ihrer Arbeit aus dem Gespür für die Strahlung von Menschen und Orten. Solange diese Strahlung von Ägypten ausgeht, wird sie hier mit offenen Sinnen eine innere Sicht auf die Geheimnisse des Lebens entwickeln, die woanders so nicht mehr zu haben sind. Sie wird im Schatten der Zeit lagern und die Welt als Ganzes denken. Wo gelänge dies einer Berliner Fotografin besser als in der wirklichen Wüste?

Weitere Ausstellungsorte: Dresdner Bank Leipzig, Kunstverein Ludwigshafen a. Rhein

Katalog: Edition Stemmmle, 120 Seiten mit Texten von Harald Kunde, Thomas Schirmböck und Gundula Schulze el Dowy

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Gundula Schulze el Dowy
Herbstbellen. Ägyptische Tagebücher