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Einheit der Zwietracht?

Unter dem Titel „Einheit der Zwietracht“ führt die Galerie Gölles unter ihrem Dach zwei Künstler zusammen, wie sie auf den ersten Blick gegensätzlicher nicht sein könnten: Günter Brus, ehemaliger Wiener Aktionist, Begründer der Körperkunst, Erfinder der Bild-Dichtung, Zeichner und Schriftsteller, der vom „meistgehaßten Österreicher“ zum Staatspreisträger mit eigenem Museum avancierte. Und Enrique Fuentes, vierzig Jahre jüngeres Talent aus Mexiko, der an der École des Beaux-Arts in Paris Malerei studierte, zwischen Mexiko City, Paris, Berlin und Wien pendelt und von 2005 bis 2011 Assistent von Arnulf Rainer war. Die Einheit, die der Ausstellungstitel evoziert, scheint primär eine räumliche zu sein, denn visuell verweigern sich die Zeichnungen und Gemälde einer apostrophierten Harmonie, um in unversöhnlicher Zwietracht schweigsam nebeneinander zu hängen. Enrique Fuentes präsentiert neue großformatige Leinwände, die einer expressiven Abstraktion huldigen und mit wahren Farbexplosionen überwältigen, wohingegen Günter Brus kleinformatige Zeichnungen und die sechzehnteilige in Schwarz-Weiß gehaltene Bild-Dichtung „Sieben Tage Zorn“ (1996) zeigt. Brus' Zeichnungen wie „Fragwürdiges Produkt der Ratlosigkeit“ (1991), „Liebe ist ein anderes Wort für Tastsinn“ (1987) oder „Die große Kunst der Gezeiten“ (1989) fügen sich nahtlos in ein bildzeichnerisches Kontinuum, das die körperlichen Gesten des Informel mit den existenziellen Entäußerungen der Aktionen, den herrschaftskritischen Überzeichnungen der Irrwisch-Zeit und den poetischen Vereinigungen der Bild-Dichtungen verbindet. Nach Experimenten mit informeller Zeichnung und Malerei Anfang der 1960er Jahre hat Brus bekanntlich die gängigen künstlerischen Parameter verlassen und eine existentielle Körperkunst mit stark autoaggressiven Tendenzen entwickelt. Der Strich auf dem Papier wurde zunächst zur Linie auf dem Körper und schließlich zum Schnitt in das Fleisch. Die „Zerreißprobe“, die 1970 seine aktionistische Phase beendete, führte ihn zurück ins Medium der Zeichnung, oder wie Brus es 1975 selbst zum Ausdruck brachte „Der Strich gilt für den Schnitt ins Herz. Deshalb ist Zeichnen Geburt aus der Auslöschung.“ In den 1970er Jahren hat Brus seine Zeichnungen mit seinem literarischen Schaffen kombiniert und damit den Begriff der „Bild-Dichtung“ geprägt, die keine bloße Illustration meint, sondern ein Aufeinandertreffen von Bildhaftem und Textlichem, ohne aber zwangsläufig eine gegenseitige Abhängigkeit zu bedingen. “Sieben Tage Zorn“ eröffnen mit einem Kelch bitteren Gesöffs und verknüpfen assoziativ die sieben biblischen Schöpfungstage mit den sieben apokalyptischen Zornesschalen. Doch zelebriert Brus nicht den Untergang des Abendlandes, sondern ein „endlos dahingrauendes Morgengrauen“ führt den Betrachter in die kleinbürgerliche Scheinmoral einer „Scheiß Welt“ mit doppelköpfigen Fratzen und unheimlichen Zwitterwesen, deren geographische Lokalisation durch die Attribute auf den „Textseiten“ erleichtert wird: ein barocker Putte, ein Wanderhut mit Gamsbart und ein Hakenkreuz. Aus dem „Alptraum im Alpenraum“, in dem „geniale Professoren Kinder hassen“ gibt es jedoch kein Erwachen, denn „kein Schlaf weit und breit“ in diesen schönen Landen. Den herrschaftskritischen Zeichnungen und Bild-Dichtungen von Günter Brus, mit ihren Tier-Mensch-Wesen, kybernetischen Organismen, Schädel- und Embryoformen, Körperfragmenten und -verletzungen stehen die farbgewaltigen Ölmalereien Enrique Fuentes gegenüber. Bereits die frühen Arbeiten des Künstlers zeugen von einem energiegeladenen, wilden Malstil, der dominierende Formen auf dichte Farbflächen prallen läßt, die einander bedrängen und keine Transparenz zulassen. Von Anfang an steht der Körper im Zentrum seines bildnerischen Schaffens. Menschen, Tiere, Gegenstände, die sich zunächst durch Farbmassen konstituieren, werden später mit dem Kohlestift als Konturen eingezeichnet, zugemalt, wieder freigekratzt, von neuen Farbschichten überdeckt und durch Lineamente wieder herausgeschält. Dieser langwierige Prozeß zeigt Fuentes' Ringen um die Möglichkeiten der Darstellbarkeit der Figur zwischen Auslöschung und Sichtbarmachung, seine Vergewisserung des Körpers zwischen Auflösung und Spurensicherung. Die zahlreichen Überlagerungen können als Struktur über Struktur, aber auch als Raum empfunden werden. Gerade seine Interieurszenen weisen dabei durch ihre geometrische Aufgliederung, bei der Blöcke und Kanten auf fahrige Linien und verstreute Farbflecken treffen, auf eine räumliche Einteilung hin. Das Nebeneinander von Farbflächen kann jedoch auch als ein Nacheinander von malerischen Abfolgen gelesen werden, womit eine zeitliche Dimension ins Sichtfeld rückt, die den prozessualen Charakter seiner Bilder zusätzlich unterstreicht. Es scheint, als würde auf den Leinwänden von Enrique Fuentes der Kampf zwischen der Dynamik der Abstraktion und der Unnachgiebigkeit der Figur toben und in den neueren Bildern endgültig in der reinen Feier der Farben aufgelöst worden sein. Gemälde wie „Spaziergänger“, „Schwarzer Regenbogen“, „Vertikalschmerzfragment“ oder „Nutzlose Schönheit“ scheinen keinerlei Gegenstands- oder Figurenbezug mehr aufzuweisen. Es sind Farbexplosionen, Pigmentfächer, Koloritkaskaden, Lichtbrandungen, Rinnsale, dynamische Schlieren und eruptive Manifestationen. Fuentes erreicht mit seinen neuesten Gemälden eine Bildlebendigkeit, die heftige Erregung widerstrahlt und von einer explosiven Energie durchdrungen ist. Diese Unmittelbarkeit der Wirkung erreicht er durch einen direkten Farbauftrag: er schüttet die Farbe, spritzt sie, läßt sie rinnen, klatscht sie direkt mit den Händen auf die Leinwand oder schleudert die ungebundenen Farbpigmente auf die Bildoberfläche. Formale Problembewältigungen treffen auf leidenschaftliche Expressivität. Doch auch in die „abstraktesten“ Kompositionen schleichen sich immer wieder Andeutungen des Figürlichen ein: der menschliche Schemen in „Der falsche Schwindler Enigma“, die Herzformen in den „Variationen über einen gefallenen Engel“ oder die immer wiederkehrenden Flügelmotive („Blauer Garten Eden“, „Edelweiß“, „Herbstzeitlose“, „Schwarze Tulpen“, „Feuervogel“). Fuentes' Arbeiten sind geprägt von einem Ringen zwischen Form und Auflösung, zwischen der Explosion der Farben und Linien und der Hartnäckigkeit der Figur. Worin besteht nun abschließend die Einheit des zwiefältigen Trachtens der beiden Künstler jenseits der räumlichen Parameter? Oder anders gefragt: Gibt es Gemeinsamkeiten außer jener, daß es keine gibt? Zu nennen wäre das selbstverausgabende schöpferische Arbeiten der beiden Künstler, das in der Dämmerung beginnt und sich in die Nacht hinein fortsetzt und oftmals den vollen Körpereinsatz abverlangt. Daß Brus zu Beginn seiner Karriere einen psychomotorischen Expressionismus verfolgte, der dem expressiven Zugang von Fuentes nicht unähnlich ist. Daß bei beiden der Körperbezug in ihrem Schaffen eine wesentliche Rolle spielt. Und schließlich, daß beide die Strategie des Ausstreichens und Übermalens bzw. Überzeichnens praktizieren. Der Begriff der „Ein-heit“ leitet sich etymologisch vom althochdeutschen Wort für „Person“ oder „Wesen“ ab, der wiederum mit der altindischen Wurzel für „Helle“, „Licht“ und „Gestalt“ verwandt ist, und bezeichnet wortgetreu „eine lichte Erscheinung“. Die Einheit der Zwietracht umschreibt somit bereits von ihrem Ursprung her trotz unterschiedlichen (künstlerischen) Trachtens eine gemeinsame lichte Erscheinung.

Roman Grabner, 2011

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Günter Brus / Enrique Fuentes
Einheit der Zwietracht
Kurator: Roman Grabner