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Halluzinatorische Traumgespinste
Zu den Zeichnungen von Gustav Metzger aus den 1950er Jahren

In der zeitgenössischen Kunstwahrnehmung ist Gustav Metzger bekannt als Schöpfer der "autodestruktiven" und der "autokreativen" Kunst, als Autor zahlreicher Manifeste, die meist das große Ganze ins Blickfeld nahmen und als Initiator eines Kunststreiks, mit dem er auf die prekären Bedingungen, unter denen Künstler arbeiten, hinweisen wollte.

Ein Konzeptmensch somit, der, nicht ganz unähnlich etwa einem Marcel Duchamp, wenn auch mit anderen Mitteln und Strategien, Möglichkeiten und Grenzen des Künstlerischen in der posttraumatischen Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg ausloten wollte. Dass es darüberhinaus im Werk von Gustav Metzger noch riesige Konvolute an Zeichnungen gibt - also eine vergleichsweise konventionelle künstlerische Ausdrucksform - ist eine Überraschung und erst seit relativ kurzer Zeit bekannt: Viele Zeichnungen und Skizzen, die man den frühen 1950er Jahren zuordnet, die aber weder datiert noch signiert sind, wurden auf dem Dachboden eines entfernten Verwandten gefunden, wo sie jahrzehntelang unbeachtet lagerten.

Für die Kunstöffentlichkeit mag das Auftauchen dieser Werke ein Schock gewesen sein, der die Figur Gustav Metzger in ein völlig neues Licht rückt, für den Künstler selbst war sie ein logischer Entwicklungsschritt im Rahmen seiner Ausbildung: Er habe lange in der Zeichenklasse von David Bomberg gelernt: "Da mussten wir nach dem Leben und nach der Natur arbeiten. Gelegentlich zeichneten wir die Sankt Pauls-Kathedrale."

Dieser quasi-akademische Hintergrund wirkt zumindest in Spurenelementen auf die Massen an Zeichnungen, die bis 1959, kurz vor der Veröffentlichung des ersten Manifestes, entstanden. Es sind Arbeiten, die in ihrer klaren Gliederung - mal vertikal, dann wiederum diagonal - an Architekturzeichnungen erinnern. Metzger hat ja immer wieder darauf hingewiesen, wie sehr es ihn fasziniere, dass aus einer kleinen Skizze auf einer Papierserviette ein riesiges Gebäude wie das Shard-Building in London entstehen könne. In seinen Drawings gewinnt der Betrachter den Eindruck, dass sich im abstrakten Liniengewebe und in den mit roten und violetten Kreidetönen aufs Blatt geworfenen Schraffuren, wie durch einen Gazeschleier betrachtet, Figurationen entbergen lassen, die aber weniger klar erkennbare Formationen sind, als halluzinatorische Traumgespinste. In Farben und Formen gefasste Visionen von möglichen Architekturen, die sich als schwach konturierte Zukunftspotentiale seriell zu faszinierenden Konstellationen zusammenfügen lassen, die erst in der Masse ihre suggestiven Wirkungen zu entfalten wissen.

In Gustav Metzgers Zeichnungen finden Tradition und abstrakt-expressionistische Gegenwart in einer Art von dessin automatique zueinander. Es geht um den unmittelbaren Transfer von Vorstellung und materieller Konkretion auf dem Papier, der sich offenbar nur in der Maximalisierung der Produktion erreichen ließ. Hier scheint der Metzger'sche Imperativ, der auf die Zerstörung des Kunstwerkes zielte, nicht wirkmächtig geworden zu sein. Die Zeichnungen besiedeln einen dritten Raum zwischen Autodestruktion und Autokreation und sind eben überhaupt nicht auto, sondern nur durch die gestalterische Hand des Künstlers herzustellen, der in der Formenverwirbelung und der emotionalen Agitation, die seine Blätter imprägnieren, durchaus Clement Greenberg zu folgen scheint, der etwa zur selben Zeit über die amerikanischen Abstrakten geschrieben hat: "Die Farbigkeit, das Vertikale, das Konzentrische, die Verschränkung von Formen, all das existiert nicht um seiner selbst, sondern zuallererst um des Gefühls willen. Wenn diese Arbeiten als Ausdruck und Vermittler von Gefühlen scheitern, so scheitern sie gänzlich." (Thomas Miessgang, 2018)