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Gustav Vriesen und die Entdeckung der Moderne in Bielefeld
10.4.–4.9.2022

Das Kunstforum Hermann Stenner zeigt vom 10.4. bis 4.9.2022 eine groß angelegte Ausstellung, die erstmals das Werk eines Museumsdirektors und Kurators in ihr Zentrum stellt und dessen kunsthistorische Entdeckungen präsentiert.

Gustav Vriesen (1912–1960) war der Stadt Bielefeld sehr verbunden, insoweit er von 1954 bis zu seinem frühen Tod das Städtische Kunsthaus, Vorläufer der heutigen Kunsthalle Bielefeld, leitete und dort vor allem auch den frühverstorbenen Expressionisten Hermann Stenner wiederentdeckte, den das Kunstforum zum Namensgeber des 2019 eröffneten Ausstellungshauses wählte.

Der aus Essen stammende Kunsthistoriker war zuvor am Landesmuseum Oldenburg und dem dortigen Kunstverein tätig, wo er 1948 eine der ersten Nachkriegsausstellungen zu August Macke präsentierte. Durch seine Ankaufs- und Ausstellungspolitik ist er ein relevanter Zeitgenosse, der den kulturellen Wiederaufbau nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aktiv vorantrieb und mit seinen künstlerischen Leitfiguren an die im Nationalsozialismus verfemte Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts anknüpfte. Sein Fokus lag auf den bedeutenden Jahren von 1910 bis 1914, in denen Hermann Stenner, August Macke und Sonia und Robert Delaunay Höhepunkte ihres Schaffens erlebten und die deutsch-französischen Dialoge einen bedeutungsvollen Knotenpunkt der europäischen Avantgarde bildeten.

Vriesens Aufarbeitung des bis dahin unveröffentlichten Materials aus dem Macke-Nachlass in intensiver Zusammenarbeit mit der Familie Macke mündete in einer grundlegenden Monografie mit erstem Werkverzeichnis, Ausstellungen, mehreren Aufsätzen sowie zahlreichen Vorträgen im In- und Ausland. Mit seiner Forschung zu Mackes Zeitgenossen und Künstlerkollegen Hermann Stenner gelang es Vriesen, den Maler in der öffentlichen Wahrnehmung der Nachkriegszeit nach Jahrzehnten des Vergessens bekannt zu machen. Die Forschungen zu Macke und Stenner finden ihre systematische Fortsetzung in der Auseinandersetzung mit Sonia und Robert Delaunay.

Gustav Vriesens grundsätzliches Bestreben, kunsthistorisches Neuland aufzuschließen, ist u. a. durch seine Entdeckung des Bildhauers Richard Haizmann dokumentiert, dessen vergessenes Werk der 1920er und 1930er Jahre er in einer Ausstellung mit Œuvrekatalog 1955 dokumentarisch zusammenfasste. Durch seine programmatische Ankaufspolitik verfolgte Gustav Vriesen einen gezielten Sammlungsaufbau mit modernem sowie internationalem Anspruch und bewies sein Gespür für aufstrebende künstlerische Positionen. Zu einer Ausstellung der Bauhausschülerin Hedwig Thun, die mit Vriesen korrespondierte, ist es zu seinen Lebzeiten nicht gekommen. Die heute völlig vergessene Detmolder Künstlerin (1892–1969), deren Nachlass ebenfalls neu aufgearbeitet wird, wird im Rahmen dieser Ausstellung umfangreich als Neuentdeckung vorgestellt.

Leihgaben aus renommierten öffentlichen Häusern sowie privaten Sammlungen stellen einen Schatz der Avantgarde des 20. Jahrhunderts und der Nachkriegsmoderne erstmals in einen methodisch neuen Zugang. Die Ausstellung wird von Christiane Heuwinkel und Prof. Dr. Christoph Wagner, Universität Regensburg, kuratiert.