Städel Museum, Frankfurt

Städelsches Kunstinstitut und Städtische Galerie | Dürerstr. 2
60596 Frankfurt

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Hans Baldung genannt Grien (1484/85-1545) war einer der bedeutendsten deutschen Maler des 16. Jahrhunderts und der wohl talentierteste Zeitgenosse und Schüler Albrecht Dürers. Der große deutsche Renaissancekünstler fertigte zahlreiche Gemälde, Zeichnungen und Kupferstiche, aber auch Holzschnitte und Glasmalereien für kirchliche und private Auftraggeber. Dabei beschränkte er sich in seinen Werken nicht auf traditionelle religiöse Sujets, sondern wandte sich während seiner gesamten Schaffensphase immer wieder seinem Lieblingssujet zu: dem Frauenkörper. Baldung war fasziniert, ja geradezu besessen vom nackten weiblichen Körper, dem er immer wieder neue Interpretationen abgewann, so z. B. als sündiger Eva oder als blutjunger, vom Tode bedrohter Schönheit. Vor allem aber dienten ihm die weiblichen Akte zur Gestaltung eines Themas, das in jener Zeit die Gemüter bewegte und an das sich vor ihm kaum ein Künstler gewagt hatte: die Darstellung von Hexen. Wiederholt hat Baldung die Hexen und ihre mysteriösen Rituale in Zeichnungen und Drucken geschildert; ein einziges Mal hat er sie auch gemalt.

Sein Frankfurter Gemälde „Die zwei Hexen“ steht im Mittelpunkt der Ausstellung. Es bietet nicht nur einen Ausflug in die Welt der schwarzen Magie; der zeitgenössische Betrachter wurde vielmehr durch das Bild zu Reflexionen über die unterschiedlichsten Themen angeregt: über die erotische Ausstrahlung der Frau, über käufliche Liebe und ihre möglichen Folgen wie die Syphilis, über die Gesetzmäßigkeiten körperlicher Schönheit und den Versuch, ihnen im Maleratelier auf die Schliche zu kommen. Ironisch kommentiert Baldung in seinem Bild nicht nur zeitgenössische Ansichten zum Hexenwesen; er spielt auch auf die kunsttheoretischen Lehren des Meisters Dürer an. Die Ausstellung präsentiert sämtliche Hexendarstellungen Hans Baldung Griens: delikate, mit dem Betrachter als lüsternem Voyeur kalkulierende Hell-Dunkel-Zeichnungen auf getönten Papieren ebenso wie Holzschnitte, die zu den allerersten Experimenten mit dem Farbdruck gehören. In den neun verschiedenen Stationen der Ausstellung werden insgesamt über 40 Exponate von Baldung und weiteren Künstlern das einzigartige Tafelbild in den Kontext zeitgenössischer Anschauungen und in Baldungs Gesamtwerk einordnen. Damit wird dem Besucher ein Erfahrungshorizont eröffnet, den auch ein zeitgenössischer Betrachter des Bildes um die Mitte des 16. Jahrhunderts gehabt haben könnte.

Die Ausstellung wird von der Hessischen Kulturstiftung und der Ernst von Siemens Kunststiftung gefördert.

Hans Baldung wurde 1484 oder 1485 in Schwäbisch Gmünd geboren. Er stammte aus einer Gelehrtenfamilie. Vermutlich trat er 1503 als bereits ausgebildeter Geselle in die Werkstatt Albrecht Dürers in Nürnberg ein. Aus dieser Zeit scheint jedenfalls sein Rufname „Grien“ herzurühren, der auf eine Vorliebe für diese Farbe oder auf ein grünes Festtagskleid des Malers anspielen könnte. Noch in der Dürerwerkstatt fertigte er 1506/07 für den Magdeburger Erzbischof Ernst von Sachsen in Halle einen Dreikönigsaltar und einen Sebastiansaltar. Im Frühjahr 1509 übersiedelte Baldung nach Straßburg, erwarb dort das Bürgerrecht und heiratete Margarete Herlin, die Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns. In der ersten Zeit befasste er sich – vermutlich in Ermangelung großer Gemäldeprojekte – vor allem mit dem Holzschnitt und experimentierte mit Tonplatten. Von 1512 bis etwa 1516 fertigte er in Freiburg im Breisgau den Hochaltar des dortigen Münsters, die Krönung seines frühen Schaffens. Nach der Rückkehr Baldungs nach Straßburg und seinem erneuten Erwerb des Bürgerrechts betrieb das Ehepaar ab den 1520er Jahren gemeinsam Geld- und Immobiliengeschäfte. Neben steigendem Wohlstand brachte es Baldung Grien in Straßburg zu hohem gesellschaftlichen Ansehen und Einfluss: seit 1533 vertrat er seine Zunft als Schöffe und kurz vor seinem Tod wurde er Ratsherr. Seine merkantilen und gesellschaftlichen Aktivitäten traten aber keineswegs an die Stelle des künstlerischen Werkstattbetriebs. Baldung blieb ein gefragter Maler. Zwar wurden die kirchlichen Aufträge nach der Reformation zunehmend weniger, dafür arbeitete Baldung nun verstärkt für vermögende private Kunstliebhaber, was sich auf die Thematik seiner Bilder auswirkte. Er schuf Zyklen großer Aktgemälde und Serien zur antiken Geschichte und Mythologie. Auch malte er weiterhin Madonnen, offenbar für altgläubige Auftraggeber, einzelne Andachtsbilder und eine beachtliche Anzahl an Porträts. Dabei passte er seinen Stil schrittweise und je nach dem Charakter des Auftrags dem Zeitgeschmack an und bereitete damit dem Manierismus in Deutschland den Boden. Seine gelegentlichen Kopien nach Erfolg versprechenden Vorbildern wie z. B. Jan Gossaerts oder Lucas Cranach verraten Kalkül. Dennoch war Baldung alles andere als ein Eklektiker. Seine Kunst profitiert von einem hohen Grad an Selbstreflexion und Reflexion der Werke anderer, vor allem von einer lebenslangen kritischen Stellungnahme zum Schaffen seines Lehrers Albrecht Dürer: In seinen besten Werken brachte Baldung immer auch Kunst über Kunst hervor und war darin seiner Zeit erstaunlich weit voraus. Nach Dürers Tod wurde Baldung dessen Locke überbracht; als den wahren und eigentlichen Nachfolger des großen Nürnbergers schätzten ihn bereits die Zeitgenossen ein.

Das Gemälde „Die zwei Hexen“ ist nicht nur das früheste, sondern in jener Zeit auch das einzige autonome Tafelbild, das diesem Thema gewidmet ist. Dargestellt werden zwei nackte Frauen, von denen die linke in Rückenansicht gegeben ist und ihren Blick über die Schulter dem Betrachter zuwendet. In der Hand hält sie ein Tuch, das in sanftem Bogen neben und hinter ihrem Körper verläuft. Die rechte, üppiger geformte Frau sitzt auf einem Ziegenbock und hält ein Gefäß mit einer Drachendarstellung hoch. Hinter ihr erscheint ein nackter Knabe mit einer Fackel, deren Flamme im Feuersturm des Bildhintergrundes aufzugehen scheint. Die gängige kunsthistorische Theorie deutet die beiden dargestellten Frauen als Wetterhexen, die durch magische Rituale einen Hagelsturm auslösen. In juristischen und theologischen Traktaten des 16. Jahrhunderts finden sich Holzschnitte, die genau dies abbilden. Sie zeigen jedoch bekleidete Frauen aus der Alltagswelt, keine nackten Idealschönheiten. Außerdem fehlt auf dem Städel-Bild der „Schmierhafen“, also der Zauberkessel, der zum Hagelsieden benötigt wird, ebenso wie der Hagel. Daher lässt sich vermuten, dass hier keine historischen Hexen dargestellt werden, vielmehr handelt es sich, wie auch bei weiteren Auseinandersetzungen Baldungs mit dem Thema, um kunstvolle Kompositionen über das Hexenthema.

Bei näherer Betrachtung des Tafelbildes entpuppt sich Baldungs linke Hexe als Aktmodell in einer typischen Körperhaltung aus dem Atelierbetrieb, eine Modellsituation, die der Künstler sicher aus der Werkstatt Albrecht Dürers und Aktstudien wie der „Studie eines weiblichen Rückenakts mit Draperie und Stab“ oder „Weibliche Aktstudie mit Draperie und Heroldsstab“ kannte. Im Stich wie im Tafelbild kulminieren Dürers Aktstudien jeweils in der Beschäftigung mit dem Urelternpaar des Sündenfalls, Adam und Eva. Die gegensätzlichen Konstitutionen, Ansichtsseiten, Stellungen und Bewegungen der beiden Hexen bei Baldung entsprechen genau den Problemen, die Dürer in seinen Studien zunächst mit Zirkel und Lineal, später in seiner Proportionslehre mit komplexer Arithmetik zu lösen suchte. Baldungs lebensvolle weibliche Akte in der Rolle von Hexen könnten dies insgeheim ironisieren, etwa nach dem Motto, dass nackte Leiber viel mehr und viel Gewagteres darstellen können als Adam und Eva.

Die linke Hexe auf Baldungs Bild gibt darüber hinaus einen deutlichen Hinweis auf die käufliche Liebe. Mit ihrem frivolen Schulterblick aus den Augenwinkeln stellt sie die sittenlose Verführerin dar, ebenso wie die Frauen in Baldungs Darstellungen „Ungleiches Paar“ und „Käufliche Liebe“. Allgegenwärtig war in den Jahren um 1523 das Risiko für den Freier, sich im Bordell mit der Syphilis zu infizieren. Allerdings ging die Mortalität gerade damals leicht zurück. Die Zeitgenossen sahen die Ursache im Erfolg der damaligen Standardtherapie mit quecksilberhaltigen Salben. Alchemistischen Traktaten zufolge wird das Element Quecksilber durch den Drachen symbolisiert, den die sitzende Hexe auf Baldungs Gemälde triumphierend in die Luft hebt. Quecksilber verdunstet schnell; daher ist das Gefäß sorgfältig mit einem Stopfen versiegelt. Die Verführung durch die weibliche Sexualität, auf die Baldung in vielen seiner Werke anspielte, hatte für ihn auch eine ernste, ja, tragische Komponente: Wie kein zweiter Künstler seiner Zeit identifizierte er die Ursünde mit dem Geschlechtsakt. Dies wird in Werken wie „Der Sündenfall“ und „Adam und Eva“ deutlich. Der Preis der irdischen Wonnen ist die Sterblichkeit. Und weil Eva die Schuld an der Ursünde trägt, sind es junge, sich entblößende Frauen, die der Tod verfolgt („Der Tod verfolgt ein Mädchen“) und sogar mit einem Kuss oder zärtlichen Liebesbiss bedrängt („Der Tod und die Frau“). So verbindet Hans Baldung in seinen Werken Liebe, Sünde und Tod zu einem geheimnisvollen Dreiklang. Der Verlust des Paradieses ist für ihn auf verhängnisvolle Weise an die menschliche Sexualität gekoppelt. Und um die düstere Seite der Sexualität drastisch schildern zu können, bedient sich der Künstler schließlich sogar der Tierfabel: Seine berühmte Holzschnittfolge „Wilde Pferde“ und sein „Behexter Stallknecht“ sind Beispiele des hilf- und hoffnungslosen Ausgeliefertseins an den Geschlechtstrieb.

Kurator: Dr. Bodo Brinkmann

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Hexenlust und Sündenfall
Die seltsamen Phantasien des Hans Baldung Grien
Kurator: Bodo Brinkmann